Im ländlichen Brandenburg kommt es zur Wahl zwischen SPD und AfD. Die einen sehen die Zukunft der Region gefährdet. Die anderen fordern einen radikalen Wandel.
Erik Stohn kommt gleich zur Sache. Der SPD-Landtagsabgeordnete besucht an diesem Montag ein Biopharmaunternehmen im brandenburgischen Luckenwalde. „Die brauchen die besten Leute aus aller Welt“, sagt Stohn. „Aber die kommen nicht, wenn es einen braunen Fleck auf der Landkarte gibt.“
Der Unternehmer antwortet zurückhaltend. Er habe hier zwölf Mitarbeiter aus fünf Nationen, einige von ihnen leben hier. „Eine große Willkommenskultur spüren sie nicht wirklich.“
Southwest könnte kippen
Stohn ist der direkt gewählte Abgeordnete für den Landtagswahlkreis Teltow-Fläming II. Diesen Wahlkreis will er bei der Landtagswahl am Sonntag zum zweiten Mal verteidigen. Doch das könnte knapp werden für den 40-Jährigen, der auch schon Fraktionsvorsitzender im Landtag war.
Vor fünf Jahren gewann die regierende SPD im Westen Brandenburgs fast alle Wahlkreise, die AfD dagegen vor allem im Osten. Stohns südlicher Wahlkreis lag an der Grenze. Gewinnt die AfD hier, wird es für die SPD insgesamt schwer. In Umfragen liegt sie derzeit hinter der in Teilen rechtsextremen Partei.
Erik Stohn im Brandenburgischen Landtag
Stohn will, dass diese Region die Zukunft darstellt. Der Biotechnologiepark, in den 1990er Jahren von der Wirtschaftsförderungsgesellschaft des Kreises unter einem SPD-Landrat gegründet, ist „bis in den letzten Besenschrank“ vermietet. Das Unternehmen, das er mit einem Bundestagsabgeordneten besucht, forscht an Gentherapien gegen Arthritis. Die günstigen Mieten und die teilweise vorhandene Laborausstattung haben es hierhergebracht.
Das Unternehmen fühle sich wohl und wünsche sich mehr Verständnis in der Fördermittelverwaltung und mehr Büroflächen vor Ort. „Bei der SPD im Bezirk und beim Wirtschaftsministerium in Potsdam ist es in guten Händen“, sagt Stohn. Das höre er gern, entgegnet der Unternehmer. „Noch schöner wäre es, das zu sehen.“
SPD will Erfolge kommunizieren
Auch wenn es von hier aus nur 45 Autominuten zum Potsdamer Platz oder zum Flughafen BER sind, gehört Luckenwalde nicht zum Berliner Speckgürtel. Die Stimmung ist gemischt. Einige der Biopharma-Unternehmen expandieren derzeit, doch ein großer Autozulieferer hat hier im Winter seine Fabrik geschlossen. An den Schulen fehlt es an Lehrern, und die Busverbindungen in die ländlichen Regionen sind spärlich.
Stohn glaubt, dass die Politik die falschen Prioritäten setzt. Statt sich nach der Messerattacke in Solingen auf einen migrationspolitischen „Überbietungswettbewerb“ einzulassen, müsse man vielmehr Antworten darauf finden, wie die 300 unbesetzten Ausbildungsplätze im Kreis besetzt werden können. Vor allem müsse es zu einem „Umdenken“ in den Köpfen der Menschen kommen.
Als Stohn kurz darauf in einem Wohngebiet um die Ecke von Tür zu Tür ging, um dort Wahlkampf zu machen, sagte er über den Gartenzaun hinweg immer wieder folgenden Satz: „Keiner weiß, dass im Bio-Park 700 Menschen arbeiten.“
Unabhängiger Kandidat tritt anstelle des AfD-Kandidaten an
Es ist ein Schattenboxkampf mit der AfD. Die AfD ist in dem Wahlkreis nur mit der Zweitstimme wählbar. Einen Kandidaten für das Direktmandat hat die Partei nicht aufgestellt, sondern das Feld dem parteilosen Bürgermeister von Stohns Heimatstadt Jüterbog überlassen: Arne Raue.
Könnte die AfD einen Kandidaten nominieren, wäre Raue wohl die Wahl. Der 54-jährige Vater von drei Kindern hat in der DDR eine Ausbildung zum Bauarbeiter absolviert und wurde später Verwaltungsfachwirt. Er war Dorfbürgermeister und Beamter im Innenministerium. Seit 2011 regiert er Jüterbog.
Arne Raue, Bürgermeister von Jüterbog, begrüßt einen AfD-Landesparteitag in der Stadt.
Raue brach erst mit der SPD, dann mit der CDU. Heute sagt er Dinge, die sonst eher von der AfD kommen. „Die Politik“ habe ein großes Interesse daran, die Gesellschaft zu spalten, sagte er bei einer Veranstaltung. Denn eine Bevölkerung, die in Angst lebe, sei „formbar“. Etablierte Parteien, Medien, Kirche und Gewerkschaften seien daran beteiligt. Für Raue sind Aufrufe zur „Rettung der Demokratie“ Teil dieser angeblichen Verschwörung.
Raue sagt über die AfD: Wenn die etablierten Parteien nicht erkennen würden, dass sie eine Volkspartei geworden sei, würden sie „unter die Brandmauer gehen“.
Dass Raue kandidiert und die AfD nicht, hat auch mit parteiinternen Machtkämpfen zu tun. Über Absprachen schweigt sich der sonst so redselige Raue aus. Ob er in die Bundestagsfraktion eintreten würde, hat er offen gelassen. Die AfD will ihn allerdings aufnehmen.
Raue sagt, er sei gern Bürgermeister. Aber „da oben“ könne er „seinen“ Bürgern besser dienen. Er will die Arbeit der Ministerien kontrollieren und Missstände aufdecken. An den Diskussionen in den Ausschüssen muss er allerdings nicht teilnehmen. Raues Politikverständnis ist: „Was in seinem Kopf ist, muss der Politiker hier rausbringen.“ Er zeigt auf seinen Mund.
Proteste gehen weiter
Den Satz wiederholte er wenig später bei einer Demonstration in Dahme. Seit den von der Bundesregierung geplanten Kürzungen beim Agrardiesel treffen sich hier jeden Montag Landwirte, Handwerker und andere Menschen zum „Widerstand mit Vernunft“.
Die rund zweihundert Demonstranten haben alle Kandidaten im Wahlkreis zu einem Wahlforum eingeladen. Neben Raue kam auch der Kandidat der „Brandenburgischen Vereinigten Bürgerbewegungen/Freie Wähler“ – und ein Vertreter der Grünen. Der Mann wird immer wieder beschimpft und ausgebuht.
Raue dagegen erhält viel Beifall. Er spricht sich gegen Waffenlieferungen an die Ukraine aus, gegen Inklusion in Schulen, gegen Photovoltaik auf Ackerflächen. Er erwähnt, dass nach Jüterbog weniger Migranten zogen als in andere Städte und sagt über das Bürgergeld, dass die wenigsten, „die da reingreifen“, auch wirklich „Bürger“ seien.
Knapp 47 Prozent der Bürgergeldempfänger im Jahr 2023 waren nach Bundesangaben ausländische Staatsbürger. Der Großteil davon waren Flüchtlinge aus der Ukraine, Syrien, Afghanistan und dem Irak, darunter viele Minderjährige. Gründe für den Bezug von Bürgergeld können auch fehlende Betreuungsmöglichkeiten für diese Kinder sein.
Raue sagt über seinen Konkurrenten: „Außer Krankheit und Tod fällt mir keine Ausrede ein, warum ich nicht hier bei meinen Bürgern sein sollte.“ Erik Stohn sitzt zur selben Zeit im Kreistag, wo über eine Haushaltssperre diskutiert wird. Seine Antworten hat er per E-Mail geschickt.
Über den anderen will keiner der beiden Kandidaten wirklich reden. Er kann nur sagen: Arne Raue glaubt, Erik Stohn häufe in Jüterbog, im Kreis und im Landtag Ämter an, um seine eigenen Interessen zu verfolgen. Stohn nennt Rau eine „One-Man-Show“ mit „demagogischem Talent“, der in seiner Stadt ein „rechteres Klima“ geschaffen habe. Dazu zähle auch seine Nähe zur AfD.
Die Fronten sind verhärtet
Im ländlichen Brandenburg ist die SPD traditionell eng mit der Bauernschaft verbunden. Doch seit den Bauernprotesten spürt Stohn einen Wandel. Die Landesregierung habe gut reagiert und die staatlichen Hilfen ausgeweitet. Doch das habe vor allem die Betriebsleiter beruhigt. „Die Traktorfahrer wurden auf die Bäume getrieben und nicht wieder heruntergeholt“, sagt Stohn. Die Corona-Pandemie habe die Menschen schon vorher auseinandergetrieben.
Bei der Kreistagswahl im Juni konnte die SPD leicht gewinnen, die AfD überholte sie aber erstmals. Seitdem reist Stohn vor allem in die Dörfer des Wahlkreises. Viele wollen nicht mit ihm reden. Und wenn, dann meist über „die Ausländerfrage“. Er sagt dann, der Kurs der AfD sei ein Wohlstandsrisiko.
Stohn hat auch mehrere Spitzenpolitiker der SPD, etwa Bundeskanzler Olaf Scholz, in den Wahlkreis eingeladen, damit diese ihre Ukraine-Politik erläutern. Und wenn SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke oder der Musiker Sebastian Krumbiegel zu Stohn kommen, kommen mehrere Hundert Interessierte.
Doch Stohn stößt an seine Grenzen. Als er neulich auf einem Dorffest eine Bratwurst kaufen wollte, weigerte sich der Verkäufer, sie dem „sozialistischen“ Typen zu geben. Was ihn beunruhigt: Der Mann sagte ihm das, obwohl Stohn sein Kleinkind im Arm hielt.