Einen Grund dafür sieht der Autor in der Erinnerungsarbeit: Diese werde vor allem von ehemaligen Dissidenten geleistet – „durchaus zu Recht“, wie Gneuß betont. Die historische Repräsentation in Gedenkstätten, an Jahrestagen, aber auch im Schulunterricht einerseits und die individuellen Erinnerungen ehemaliger DDR-Bürger andererseits laufen also auseinander.“S„Das kollektive Gedächtnis der DDR ist, glaube ich, ein gestörtes Gedächtnis, ein uneinheitliches Gedächtnis“, sagt Gneuß.
Widerstand gegen Erzählungen von „da oben“
Eine wachsende Zahl von Menschen würde diesem Narrativ widersprechen. „Das ist konstitutiv, auch für das Selbstbild, für die Identität der Menschen“, sagt Gneuß, würde man sich dagegen wehren, würde man sich auch gegen die Narrative von „da oben“ wehren, die sich andere über das eigene Leben gemacht haben.
Der „Kampf um das Recht auf Interpretation“ ist normal und eine gesellschaftliche Debatte kann durchaus zu einem differenzierteren Blick auf die Geschichte führen. Doch zugleich besteht auch die Gefahr, dass die Opfer der Diktatur nicht mehr ausreichend berücksichtigt werden.
Gneuß weist zudem darauf hin, dass solche „erinnerungspolitischen Schlachten“, also die Aushandlung des Gedenkens an historische Epochen, auch von politischen Akteuren genutzt werden. Die Linke wolle die guten Seiten des Sozialismus für sich nutzen und die Rechte finde es gar nicht so schlimm, wenn an der Spitze ein starkes Regime herrsche. „Es geht nie nur um die Vergangenheit, es geht immer auch um die Gegenwart“, betont Gneuß.
Es geht nie nur um die Vergangenheit, es geht immer um die Gegenwart.
Debatte um die Interpretation des „Gittersees“
2023 veröffentlichte die Schriftstellerin ihren Debütroman „Gittersee“. Ein Buch, das im Dresden der 1970er-Jahre spielt und die Geschichte einer zerbrochenen Familie, von Verrat und Verlust erzählt und der Frage nachgeht, was manche Menschen in die Arme der Staatssicherheit trieb.
„Erst gab es den Jürgen-Ponto-Preis und dann war das Buch auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich habe mich wahnsinnig gefreut. Es gab sehr gute Kritiken“, erinnert sich Gneuß ein Jahr später. Das Werk sei zunächst beim Publikum und auch bei der Fachwelt gut angekommen.
Doch auch die Interpretation der DDR-Vergangenheit ist ein umstrittenes Feld. Schon vor seinem Erscheinen sorgte das Buch in der Literaturwelt für Kontroversen. Im Auftrag des S. Fischer Verlags hat sein Schriftstellerkollege Ingo Schulze eine Liste der historischen Fehler im Manuskript zusammengestellt.