Der Ursprung der Covid-19-Pandemie ist weiterhin unklar. Eine neu veröffentlichte Studie liefert Hinweise darauf, dass SARS-CoV-2 seinen Ursprung auf einem chinesischen Markt hat. Christian Drosten und andere Experten halten die Arbeit für wichtig, aber nicht ausreichend, um den Ursprung zu beweisen.
Mehr als viereinhalb Jahre nach dem Ausbruch ist noch immer unklar, wie es zur Covid-19-Pandemie kam. Sicher scheint lediglich der Ursprungsort von SARS-CoV-2: Wuhan. Es gibt Spekulationen, dass das Virus bei einem Laborunfall in der chinesischen Stadt entstanden sei. Von dort soll es über Infizierte auf den Huanan Seafood Market gelangt sein, wo die ersten bekannten Covid-19-Fälle auftraten.
Vieles spricht allerdings dafür, dass das Virus einen zoonotischen Ursprung hat, also von auf dem Markt gehandelten Wildtieren auf den Menschen übergesprungen ist. Zu diesem Schluss kommen auch die Autoren einer heute im Fachjournal „Cell“ veröffentlichten US-Studie. Sie werteten das Erbgut von mehr als 800 Proben aus, die auf dem Huanan Seafood Market und seiner Umgebung gesammelt wurden, nachdem dieser am 1. Januar 2020 wegen des Covid-19-Ausbruchs geschlossen worden war. Darüber hinaus analysierten sie die SARS-CoV-2-Gensequenzen der ersten Infizierten.
Studie soll Wissenslücken schließen
Eine erste Auswertung dieser Proben hatte das chinesische CDC bereits im vergangenen Jahr veröffentlicht. Allerdings blieben die genauen Identitäten einiger Tierarten, die als plausible Zwischenwirte für SARS-CoV-2 infrage kommen, unklar. Die aktuelle Studie versucht, diese Wissenslücken zu schließen. Die Arbeit wurde zuvor als Vorabdruck veröffentlicht und liegt nun als peer-reviewte, finale Fassung vor.
Für die Studie führten die Forscher eine sogenannte metatranskriptomische Sequenzierung der Proben durch. Dabei wurden sämtliche DNA- und RNA-Sequenzen der Proben ausgewertet, um alle vorhandenen Organismen wie Viren, Bakterien, Pflanzen, Tiere und Menschen zu identifizieren.
Gemeinsamer Vorfahre, Ansammlung bei Wildtieren
Die Wissenschaftler schreiben, dass das auf dem Markt gefundene Virus denselben gemeinsamen Vorfahren hat wie das SARS-CoV-2-Virus, aus dem die Pandemie hervorging. Dies würde zum ersten Auftreten des Virus auf dem Huanan-Markt passen.
Die Daten zeigten zudem eine erhöhte SARS-CoV-2-Positivität in der Nähe und innerhalb einer nahegelegenen Wildtierkäfiganlage. In allen Proben konnten die Forscher DNA von Wildtieren nachweisen, darunter auch von Arten wie Zibetkatzen, Bambusratten und Marderhunden, die zuvor als mögliche Zwischenwirte identifiziert worden waren. Die Autoren schreiben, ihre Daten stützen die Annahme, dass SARS-CoV-2 durch den Wildtierhandel nach Wuhan gebracht wurde und dort auf den Menschen übergesprungen sei.
„Starke Beweise“
Das bestätigt auch Charité-Virologe Christian Drosten. „Die Daten liefern weitere Belege dafür, dass das Virus ursprünglich von Tieren stammt und sein Ursprung mit dem Huanan-Markt in Verbindung steht“, sagt er. Die Indizien seien stark. „Das Virus, das in einigen der verdächtigsten Proben nachgewiesen wurde, kommt der rekonstruierbaren Ursprungsvielfalt des Virus sehr nahe. Zudem wurden auf dem Markt beide Gründungslinien der Pandemie nachgewiesen, was sich am besten durch mehrfache Übergänge vom Tier auf den Menschen erklären lässt. Erst in der Gesamtbetrachtung mit den Ergebnissen anderer Studien wird dieses Bild sehr deutlich.“
Die Genfer Virologin Isabella Eckerle stimmt dem zu. „Alle untersuchten Aspekte der Studie liefern stichhaltige Argumente dafür, dass der Markt der Ort war, an dem SARS-CoV-2 von einem wilden Tierwirt auf den Menschen übergesprungen ist, und dass die frühesten Virussequenzen der Pandemie auf dem Markt vorhanden waren“, sagt sie.
Übertragung von Mensch zu Mensch nicht ausgeschlossen
Sie kann wie Drosten nicht ausschließen, dass infizierte Menschen das Virus auf den Markt gebracht haben. Am häufigsten sei die Virus-RNA allerdings rund um Wildtierpopulationen mit verschiedenen Methoden nachgewiesen worden. „Da sich überall Menschen auf dem Markt bewegten, die Tiere aber nur in einer Ecke des Marktes verkauft wurden, erscheint diese Häufung für einen rein menschlichen Eintrag, etwa durch einen Besucher, unwahrscheinlich.“
Der Virologe Richard Neher von der Universität Basel weist allerdings darauf hin, dass «eine Häufung positiver Proben an einem Marktstand, an dem Tiere verkauft wurden, sowohl durch infizierte Menschen als auch durch infizierte Tiere erklärt werden kann». Wahrscheinlich seien über hundert Menschen auf dem Markt infiziert gewesen und hätten viel mehr Viren ausgeschieden als möglicherweise infizierte Tiere, sagt er. «RNA ist zudem instabil, deshalb kann die Verteilung viraler RNA in Proben von Anfang Januar wenig Aufschluss über mögliche Übertragungen vom Tier auf den Menschen geben, die Ende November 2019 stattgefunden haben könnten.»
Direkte Virusproben fehlen
Auch die anderen vom Science Media Center befragten Experten halten die Ergebnisse der Studie nicht für einen ausreichenden Beweis für den zoonotischen Ursprung der Pandemie. Um dies abschließend zu klären, seien direkte Virusproben von Wildtieren und Menschen erforderlich, die vor und zum Zeitpunkt der ersten Infektionsereignisse entnommen wurden, erklärt der Gießener Virologe Friedemann Weber.
„Würden solche Proben früher genommen und aufbewahrt, wäre das auch heute noch möglich“, sagt Christian Drosten. „Vor allem Marderhunde stehen im Verdacht. Die aktuelle Studie liefert grobe geografische Hinweise, wo sie damals gehalten worden sein könnten. Eine solche Nachuntersuchung wäre nur in China möglich und auch nur, wenn dort tierische Proben genommen und aufbewahrt würden.“
Es ist wahrscheinlich zu spät
Ein Nachweis wäre laut Isabelle Eckerle „der Nachweis eines originalen SARS-CoV-2-Genoms, also der Virensequenz, die allen nachfolgenden Viren der Pandemie zugrunde liegt und die das fehlende Puzzlestück zwischen den Vorläuferviren aus Fledermäusen und den Viren der Pandemie darstellt.“ Insbesondere dann, wenn ein solches Virus aus einer eindeutig identifizierbaren Probe stammt, etwa einem Abstrich eines Tiers.
Eckerle glaubt allerdings nicht, dass dieses Puzzleteil jemals gefunden wird. Zu viel Zeit sei vergangen und es sei möglich, dass nur wenige Tiere als Zwischenwirte mit dem Virus infiziert waren. „Wenn eine so kleine Zwischenwirtpopulation Anfang 2020 gekeult oder bei Marktschließung vernichtet wurde, dann existiert dieses Puzzleteil nicht mehr.“
Markttheorie wahrscheinlicher
Alle befragten Experten sind sich einig, dass ein Laborunfall als Ursprung der Covid-19-Pandemie nicht ausgeschlossen werden kann. Die meisten halten ihn aber für weniger wahrscheinlich. Zum einen gebe es für die Labor-Ursprungs-Theorie noch immer keine wissenschaftlich überzeugenden Belege, sagt Drosten. „Im Laufe der Zeit sind aber für die Markttheorie immer mehr bestätigende Belege hinzugekommen.“
Eckerle sieht das ähnlich. Neben den bisherigen Daten und den Ergebnissen der neuen Studie sei vor allem die Ähnlichkeit zum ersten SARS-Ausbruch 2002/2003 frappierend, sagt Eckerle. Für sie sei es sehr wahrscheinlich, „dass in genau demselben Szenario ein anderes SARS-Virus den Sprung erneut geschafft hat.“