Die „Friedensmission“, die Viktor Orbán mit der Übernahme der EU-Ratspräsidentschaft im Juli startete, sorgt im Staatenverbund für Spannungen. Nach den Besuchen des ungarischen Ministerpräsidenten bei Russlands Präsident Wladimir Putin, Chinas Präsident Xi Jinping und dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump in der vergangenen Woche wird in Brüssel bereits über eine vorzeitige Entlassung Orbáns diskutiert. Ihm wird vorgeworfen, sich zum „willkürlichen Werkzeug des Diktators im Kreml“ zu machen, wie es Polens Premier Donald Tusk formulierte.
Orbán als EU-Ratspräsidenten abzusetzen wäre allerdings sehr kompliziert: Nötig wäre eine sogenannte verstärkte qualifizierte Mehrheit, das heißt, 20 der 27 EU-Regierungen, die zusammen 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren, müssten dem Schritt zustimmen. Viele EU-Diplomaten sind skeptisch, ob eine solche Mehrheit zustande kommt, zu groß ist die Angst vor den Konsequenzen.
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Josep Borrell stellt am Mittwoch Anti-Orbán-Plan vor
Stattdessen erwägen die Mitgliedstaaten nun, das in Ungarn stattfindende Treffen der EU-Außenminister am 28. und 29. August zu boykottieren. Einem Bericht der US-Zeitung Politico zufolge wollen viele EU-Außenminister nicht Teil einer weiteren „Orbán-Propagandashow“ sein. Statt zur Veranstaltung nach Budapest zu reisen, wollen sie ein eigenes Treffen organisieren. Dies wäre ein beispielloser Schritt in der Geschichte der EU.
Laut Politico plant der derzeitige EU-Außenbeauftragte Josep Borrell, die EU-Außenminister zu einem „formellen“ Außenministerrat zusammenzurufen, der zeitgleich mit Orbáns Gipfel stattfinden soll. Das Medienunternehmen beruft sich dabei auf drei EU-Diplomaten, die direkt mit Borrells Plänen vertraut sind und aufgrund der Brisanz des Vorhabens anonym bleiben möchten.
Einer der Diplomaten sagte gegenüber Politico, mit dem Boykott des Treffens in Budapest wollten die Außenminister „ein klares Signal senden, dass Ungarn nicht für die EU spricht“. Sie hofften, Orbán werde dann seine „Provokationen“ einstellen.
Nach Informationen von Politico wurde der Plan bereits informell mit mehreren EU-Ländern besprochen, darunter Frankreich und Deutschland. Am Mittwoch wird Borrells Team den Plan den 27 ständigen Vertretern der EU vorstellen.
Minister aus anderen EU-Ländern haben Ungarn in den vergangenen Tagen bereits die kalte Schulter gezeigt. Beim ersten Treffen der ungarischen Ratspräsidentschaft in Budapest, bei dem es um die Industriepolitik ging, waren nur sieben Minister aus anderen Ländern anwesend. Auch ein Kommissar fehlte.
Orbán: „Frieden kann nicht von einem bequemen Sessel in Brüssel aus geschaffen werden“
Ein noch größerer Affront ist allerdings der Boykott eines wichtigen Vorzeigeereignisses für das Land, das derzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Die Folgen für die EU wären unabsehbar.
Seit dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine haben sich die langjährigen Spannungen zwischen der EU und Ungarn deutlich verschärft. Orbán blockiert seit langem Hilfen für die Ukraine. Er ist der bislang einzige EU-Regierungschef, der offen die Überzeugung ausdrückte, Sanktionen gegen Moskau und Militärhilfen für die Ukraine würden den Krieg nur unnötig verlängern.
Nach seinem Treffen mit Putin Anfang des Monats schrieb Orbán auf X: „Frieden kann man nicht von einem bequemen Sessel in Brüssel aus schaffen.“ Er beschrieb den russischen Präsidenten als „100 Prozent rational“. Kurz zuvor hatte Orbán dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Kiew einen sofortigen Waffenstillstand vorgeschlagen. Viele westliche Kommentatoren bezeichnen Orbáns Fraktion im Europaparlament deshalb nicht als „Patrioten für Europa“, sondern als „Putinisten für Europa“.