Über zwei Jahre lang herrschte in Deutschland offiziell Gas-Alarm. Doch das ist bald vorbei. Laut Wirtschaftsminister Habeck ist die Gasknappheit zwar vorüber. Doch Verbraucher und Unternehmen leiden weiter unter der selbstverschuldeten Energiekrise.
Über eine Stunde dauerte der Bürgerdialog am Mittwochabend in Osnabrück, als Robert Habeck (Grüne) die deutsche Energiekrise lasch für beendet erklärte. „Russisches Gas fehlt nicht mehr“, sagte der Wirtschaftsminister, „jedenfalls nicht, was die Zahl der Moleküle angeht.“ Die Gasspeicher seien längst gefüllt, alle Spezifikationen erfüllt. „Es gibt keinen Gasmangel mehr“, so Habeck.
Was Habeck in seinem Gespräch mit Lesern der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ erwähnte, ist keineswegs selbstverständlich. Offiziell befindet sich das Land noch immer in der sogenannten Alarmstufe des Gasnotfallplans. Diese wurde vor über zwei Jahren im Juni 2022 ausgerufen, nachdem Russland die Gaslieferungen einseitig gedrosselt und später ganz eingestellt hatte, um Deutschland und Europa im Ukraine-Krieg unter Druck zu setzen. Diese Alarmstufe wurde bis heute nicht aufgehoben, auch wenn die schlimmsten Befürchtungen von damals nicht eingetreten sind und Deutschland zwei Winter ohne Gasknappheit oder Gasrationierung überstanden hat.
Für Habeck ist die Krise nun endgültig vorbei, auch wenn es sich für viele Unternehmen, Gas- und Stromkunden nicht so anfühlt. Die Energiepreise liegen noch immer deutlich über dem Vorkrisenniveau. „Die Preise sind höher, das ist beim Gas so, aber nicht, weil wir einen Mangel haben“, sagt der Minister. Zwar habe man einen Mangel für 2022 befürchtet, aber die ersten Flüssiggasterminals seien inzwischen in Betrieb, weitere würden bald in Betrieb genommen, und es gebe mittlerweile sogar eine Reserve, falls der Winter besonders kalt ausfallen sollte. „Es gibt keinen Mangel mehr, aber die Gaspreise sind höher als zwischen 2017 und 2019“, räumt Habeck auch ein.
Gaspreis 50 Prozent über Vorkrisenniveau
Und der Unterschied ist gewaltig: Der Preis pro Megawattstunde liegt rund 50 Prozent höher als vor der Krise. In diesem Sommer sei der Gaspreis noch einmal deutlich gestiegen, vor allem wegen der extrem heißen Temperaturen in Asien und Teilen Europas, die dazu geführt hätten, dass „die Klimaanlagen die ganze Zeit auf Hochtouren liefen“, sagt Habeck. „Man sieht, dass die Erderwärmung an völlig unerwarteten Stellen preistreibend wirkt.“ Er geht davon aus, dass der Gaspreis noch etwas weiter sinken werde, weil das Angebot auf dem Weltmarkt für Flüssiggas zunehmen werde. „Aber es ist möglich, dass der Gaspreis, ich würde sagen, moderat höher sein wird als die Preise der Vor-Covid-Jahre, weil das Gas aus Russland Pipeline-Gas war und jetzt das LNG-Gas noch verschifft werden muss, es muss heruntergekühlt und aufs Schiff geladen und über den Ozean geschickt werden und das macht es in der Regel teurer.“ Mit diesen leicht höheren Preisen müssen die Unternehmen kalkulieren, aber das betrifft ganz Europa.
Doch gerade das ist für viele Unternehmen ein Problem, angesichts der zahlreichen anderen Standortnachteile wie hohe Unternehmenssteuern, Fachkräftemangel und überbordende Bürokratie. Zumal nicht nur die Gaspreise höher sind als früher. In der Folge sind auch die Strompreise gestiegen, weil Gaskraftwerke oft den Preis bestimmen. Auch Habeck räumt ein, der Strompreis sei „am Markt so hoch wie schon lange nicht mehr, aber insgesamt ist er für viele Leute gesunken, weil wir Steuern und Abgaben weggelassen haben.“
Als Privatverbraucher und Kleinunternehmer bekommt man die Kilowattstunde Strom mittlerweile für 26 Cent. „Ich persönlich zahle zwar viel mehr, weil ich zu faul bin und keine Zeit finde, mich damit zu beschäftigen, weil ich den Strom halt von den Stadtwerken beziehe, aber wer beim Strom Geld sparen will, schaut auf den Vergleichsportalen nach, der ist richtig runtergegangen, auch weil der Bund einen Teil der Stromkosten übernommen hat“, behauptet Habeck. Er meint damit insbesondere die sogenannte EEG-Umlage. Die hatten Verbraucher bisher über die Stromrechnung bezahlt, nun kommen die zweistelligen Milliardenbeträge zur Förderung erneuerbarer Energien aus dem Bundeshaushalt – zahlen müssen diese Kosten am Ende aber trotzdem der Steuerzahler.
Und es komme noch eine weitere Kostenwelle auf die Stromkunden zu, räumt Habeck auch an diesem Abend in Osnabrück erneut ein. Für das neue Energiesystem, das vor allem auf erneuerbare Quellen wie Solar- und Windkraft setzt, müsse das Stromnetz massiv ausgebaut werden. „Wir werden das Stromsystem noch einmal neu denken müssen“, so Habeck. „Ich hoffe, dass noch genug Kraft da ist, das in dieser Legislaturperiode grundlegend zu verabschieden.“ Die Grundlastkraftwerke wie Atom- und Kohlekraftwerke würden nach und nach abgeschaltet, deshalb müssten Speicher, Wasserstoffproduktion und Netze auf- und ausgebaut werden. „Jetzt müssen wir unser System stabilisieren“, so Habeck.
Auch private Verbraucher könnten künftig ihren Teil dazu beitragen, indem sie Strom in Elektroautos speichern und bei Windstille oder in der Nacht wieder ins Netz einspeisen. „Damit wird das Stromsystem insgesamt billig“, behauptet Habeck. Problematisch werde dann nur der Preis der Infrastruktur. Die Stromnetze seien schon zu lange nicht ausgebaut worden. „Wir haben vorher nur rumgealbert und nichts ist passiert“, sagt er. Nun baue man noch schneller aus, aber die Kosten seien enorm und müssten nach alter Logik in wenigen Jahren über Netzentgelte an die Verbraucher weitergegeben werden. „Diese Kosten für die nächste Infrastruktur, die Stromnetze, die Speicher, die bauen wir nicht für eine Legislaturperiode, die bauen wir nicht mal für ein Jahrzehnt, die bauen wir für zwei oder drei Generationen“, sagt Habeck. Wenn sich die Investitionen schon in zehn oder 15 Jahren amortisieren müssten, „dann bringt uns das um“, prophezeit der Minister. Er plädiert dafür, die Kosten nicht direkt auf Unternehmen und Bürger abzuwälzen, sondern sie „vom Staat vorfinanziert“ werden zu lassen, um sie über einen längeren Zeitraum amortisieren zu können.
Die Energiekrise, das wird an diesem Abend in Osnabrück deutlich, ist noch lange nicht vorbei, nur weil kein akuter Gasmangel mehr herrscht. Vielmehr müssen sich Unternehmen und Verbraucher nun auf eine neue Normalität einstellen – ohne Alarmzustand, dafür mit deutlich höheren Energiepreisen.