Was Robert Habeck dem Altkanzler empfohlen hätte

Was Robert Habeck dem Altkanzler empfohlen hätte

Berlin. Robert Habeck will nun etwas Positives über Angela Merkel sagen. Er habe das Gefühl, die Altkanzlerin sei ein „sehr aufrechter Mensch“. Dass sie wisse, „was sich gehört“. Innere Geradlinigkeit und Integrität sind die Stichworte, die dem grünen Wirtschaftsminister und Vizekanzler bei der CDU-Politikerin Merkel einfallen. Und ein bisweilen vernichtender Humor. Habeck lacht fröhlich bei der Erinnerung.

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Er sitzt auf der Bühne eines Berliner Theaters, ein neues Buch über Merkel wird vorgestellt, und schon der Titel verrät, dass nicht die positiven Aspekte im Mittelpunkt stehen: „Der Betrug. Angela Merkel und ihre Deutschen“. Eckart Lohse, Bundespolitikkorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, zieht ein ernüchterndes Fazit aus 16 Jahren Merkel-Herrschaft, mit den Täuschungen auf allen Ebenen, die dem Buch seinen Titel geben.

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Merkel habe die Bürger über notwendige Reformen oder die Folgen bestimmter Entscheidungen getäuscht, sie habe sich selbst getäuscht, wenn es um die Einschätzung des russischen Präsidenten Wladimir Putin oder der Migrationspolitik ginge. Und die Bürger hätten sich in Merkel getäuscht, so Lohse. „Sie ließen sich gern täuschen“, fügt er hinzu.

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Auf keinen Fall-Symbol

Die Kanzlerin vermittelte Sicherheit, das war so bequem. So viel zur Ikone, so viel zur unerschütterlichen Machtmaschine, so viel zur erfolgreichen Langzeitkanzlerin. „Das Buch ist hart, kurz vor der Abrechnung“, sagt Habeck. Und er findet auch, bei aller Anerkennung, dass Merkel wenig Konfliktbereitschaft gezeigt und deshalb keine wichtigen Entscheidungen getroffen habe. Und dass sie Deutschland in der Energieversorgung so einseitig auf Russland ausgerichtet habe, sei ein großer Fehler gewesen.

Lohse sagt, Merkels letzte Kanzlerrede am Tag der Deutschen Einheit 2021 habe ihn dazu gebracht, sich intensiver mit ihrer Kanzlerschaft auseinanderzusetzen. Merkel, die sonst selten persönlich wurde, offenbarte, wie sehr es sie verletzte, dass ihre ostdeutsche Biografie oft als „Ballast“ bezeichnet wurde. Das habe ihn aufhorchen lassen, sagt Lohse. Nur wenige Monate zuvor hatte Merkel schließlich öffentlich erklärt, mit sich als Kanzlerin im Reinen zu sein.

„Zwischen Merz und Scholz klafft eine große Lücke“: Kann Robert Habeck Kanzler werden?

Sollten die Grünen einen Kanzlerkandidaten aufstellen, führt an Robert Habeck kein Weg vorbei. Der Partei geht es derzeit nicht gut, das Verhältnis zu ihrem Wirtschaftsminister ist angespannt. Und auch Habeck selbst musste viele Rückschläge einstecken. Über einen Dichter, der zum Machtpolitiker wurde.

„Viele schlechte Haare“

Für sein Buch sprach er mit langjährigen Vertrauten Merkels, etwa ihrem Kanzleramtsminister Peter Altmaier, und auch mit erbitterten Gegnern wie dem früheren hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch. Der habe „viele schlechte und nicht so viele gute Haare hinterlassen“, konstatiert Lohse. Doch an einer Stelle habe er selbst Merkels Kurs im Nachhinein bestätigt: Koch habe die Beschleunigung des Atomausstiegs nach der Atomkraftwerkskatastrophe im japanischen Fukushima 2011 – eine drastische Kehrtwende für die CDU – angesichts des damaligen gesellschaftlichen Klimas für geradezu unumgänglich erklärt, sagt Lohse. Habeck sagt, das Kapitel zur Energiepolitik sei eines der spannendsten im Buch.

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„Das Buch ist hart, nah an einer Abrechnung.“

Robert Habeck (Grüne), Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler

Auch für Lohse fällt die Migrations- und Asylpolitik unter die Rubrik Täuschung; er schließt sich dem Urteil des jüngst verstorbenen früheren Bundestagspräsidenten und Finanzministers Wolfgang Schäuble an, einem der mächtigsten Unterstützer von Merkels Nachfolger Friedrich Merz. Merkel habe während der Flüchtlingswelle 2015 die Grenzen nicht geschlossen.

Lohse erklärt das auch mit ihrer ostdeutschen Vergangenheit, die sie offene Grenzen als Segen und deren Schließung als Bedrohung empfinden ließ. Doch sie habe es versäumt, die Folgen abzufedern und vielleicht überhaupt anzuerkennen, von der notwendigen Unterbringung von Flüchtlingen bis zur Stärkung der AfD. Und auch für die Skeptiker in ihrer Partei habe sie zu wenig Verständnis gezeigt. „Es ist die Kommunikation“, schreibt Lohse.

Habeck empfiehlt einen zweiten Satz

Und Habeck kann hier einlenken. Der Ton der öffentlichen Debatte sei oft aus den Fugen geraten, klagt er. Vielfach gebe es keine gemeinsame Sprache mehr, sondern nur noch die Pole Schweigen und Geschrei. Diese Sprachlosigkeit müsse durchbrochen werden. Und Merkel hätte ihrem berühmten „Wir schaffen das“ noch einen Satz hinzufügen müssen: „Der zweite Satz muss sein, wie wir das schaffen.“ Und man müsse öffentlich Bereitschaft zeigen, über Alternativen nachzudenken.

Anschließend äußerte sich Habeck zur aktuellen Migrationspolitik und zum Aufruf von Merkels Nachfolger Merz zu Zurückweisungen an den Grenzen. „Wir können nicht so handeln wie Viktor Orban“, mahnte der Minister mit Blick auf den ungarischen Ministerpräsidenten. „Dann hat Europa keine Chance.“ Sein Bedauern über die „innere Kompasslosigkeit“ mancher Politiker kann man als deutliche Kritik an Merz verstehen.

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Merkel ist mittlerweile seit drei Jahren nicht mehr im Amt, und das verlogene Buch erscheint passenderweise wenige Wochen vor der Präsentation ihrer eigenen politischen Memoiren. Habeck sagt, die Druckerei habe auch die Harry-Potter-Bücher produziert. Und muss wieder lachen.

Lohse, Eckart: Der Betrug. Angela Merkel und ihre Deutschen. München: dtv. 336 Seiten. 25 Euro.

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