
Ein kurz geschnittener Rasen, sauber eingefasste Blumenbeete und kein Laub auf dem Boden: So sieht für viele der perfekte Garten aus – und er macht jede Menge Arbeit. Um möglichst viele unterschiedliche Tiere und Pflanzen unterzubringen, ist dieser Aufwand allerdings unnötig oder sogar kontraproduktiv. Das hat auch der französische Ornithologe und Landschaftsgärtner Gilles Leblais erkannt. Sein Buch über wilde Ecken ist kürzlich auf Deutsch erschienen („Wilde Ecken und Totholz im Garten“, Eugen Ulmer Verlag, 18 Euro).
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Von der Wildnis inspiriert
Vor rund 30 Jahren begann Leblais, sich bei der Gestaltung von Gärten von der Wildnis inspirieren zu lassen. Seine wichtigste Erkenntnis: „In der Natur hängt alles zusammen. Es ist zum Beispiel ein Irrtum zu glauben, Blätter, Zweige und Äste müssten aus dem Garten verschwinden.“ Stattdessen wachse aus den abgestorbenen Pflanzenteilen neues Leben: „Sie ziehen eine vielfältige Fauna an – ein Segen für die Artenvielfalt und das biologische Gleichgewicht“, sagt Leblais. Zudem verbinde die Natur unterschiedliche Lebensräume, die sich gut in den eigenen Garten integrieren ließen.
„Das wichtigste Element ist Totholz“, sagt Pia Präger, Landschaftsgärtnerin und Vizepräsidentin des Bundesverbandes Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau. „Totholz in jeder Form ist Teil jedes Ökosystems und Lebensgrundlage für tausende Arten von Tieren, höheren Pflanzen, Pilzen und Flechten.“
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Neben Gehölz sind auch Steine sowie Sand- oder Kiesflächen sinnvoll. Eidechsen können sich beispielsweise in einem sonnigen Steinhaufen oder einer Steinmauer gut verstecken. „Und viele Insektenarten wie Wildbienen und Hummeln brauchen vegetationsfreie Flächen, in denen sie Nester im Boden und ‚Kinderstuben‘ für ihren Nachwuchs bauen können“, sagt Präger. Sie empfiehlt außerdem eine flache Vogeltränke. Und eine Hecke aus Wildgehölzen bietet Vögeln einen geschützten Ort, an dem sie in Ruhe nisten, ihren Nachwuchs aufziehen und sich ernähren können.

Eidechsen können sich gut in einer sonnigen Steinmauer oder einem Steinhaufen verstecken.
Quelle: Pixabay
Betrachten Sie den gesamten Zyklus
Wer die verschiedenen Elemente im Garten integrieren möchte, sollte sie nah beieinander planen. Eine „wilde“ Ecke in einem Teil des Gartens bietet sich dafür gut an. „Diese Vernetzung der Strukturen auf kleinem Raum ist wichtig, denn viele Kleintiere wandern ungern“, sagt Präger. Damit das Ganze klappt, empfiehlt sie, in gesamtheitlichen Zusammenhängen zu denken. Bei Bienen oder Schmetterlingen beschränkt sich die Aufmerksamkeit der meisten Menschen auf die Blütenbesuche – und nicht auf den gesamten Lebenszyklus der Insekten. „Ein Tagpfauenauge wird sicher eine nordamerikanische Aster besuchen oder ein Admiral einen Schmetterlingsstrauch“, sagt Präger. „Aber die Brennnessel wäre für beide Schmetterlingsarten insektenfreundlicher, denn dort wachsen die Raupen dieser Insekten.“
Ähnlich verhält es sich bei größeren Tieren wie Vögeln, Kröten und Igeln. Sie werden von den Insekten angelockt, die sich auf totem Holz niederlassen – und tragen so zum biologischen Gleichgewicht bei. „Marienkäfer- und Florfliegenlarven etwa ernähren sich von Blattläusen“, sagt Präger. „Vögel und Schlupfwespen halten gefräßige Raupen in Schach. Igel und Kröten machen sich über Nacktschnecken her, und die Weinbergschnecken fressen die Eier der Schnecken. Das ist ein Zusammenspiel, das meist gut funktioniert.“ Auf diese Weise löst sich so manches „Schädlingsproblem“ von selbst. „Je größer die Artenvielfalt, desto geringer ist die Gefahr, dass sich bestimmte als lästig empfundene Arten massenhaft vermehren und erst dann zu Schädlingen werden“, sagt der Experte. Wie in der freien Natur gebe es auch in der freien Natur genügend natürliche Gegner.
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Schöne Überraschungen
„Wenn man Spontanvegetation zulässt, kann es schöne Überraschungen geben“, sagt der Landschaftsgärtner. „Manche Wildpflanzen stehen den bekannten Prachtstauden in nichts nach. Manchmal etablieren sich Pflanzen, die schön aussehen und wunderbar zusammenpassen, wie etwa das von Mai bis Oktober rosa blühende Rupertskraut mit Wilder Möhre, Schafgarbe, Schöllkraut oder Johanniskraut.“ Lediglich regulierend eingreifen muss man laut Präger: „Unerwünschte Arten oder solche, die alles überwuchern, wie zum Beispiel Winden, würde ich entfernen – vor allem, wenn sie einen Steinhaufen oder eine Bodenfläche überwuchern, die eigentlich offen bleiben sollte. Aber insgesamt kann man die Pflanzen, wie alle anderen Naturelemente auch, relativ sich selbst überlassen.“ Die Naturzonen seien also recht pflegeleicht.
Wer sich dafür entscheide, etwas mehr Natur zuzulassen, könne nichts falsch machen, sagt Präger: „Selbst wenn Gärtner einfach abgestorbenes Holz in eine Ecke stellen, entsteht dort innerhalb kürzester Zeit Leben in Form von Siedlung und Vegetation.“