Um Energie zu sparen, fliegen Zugvögel Richtung Süden – oder etwa nicht?

Um Energie zu sparen, fliegen Zugvögel Richtung Süden – oder etwa nicht?

Durch ihren Weg Richtung Süden sparen Zugvögel in den Wintermonaten jede Menge Energie – oder etwa doch nicht? Diese gängige Annahme könnte falsch sein, wie eine Studie süddeutscher Forscher zeigt. Die energetischen Herausforderungen im Winterquartier werden zumindest bei Amseln nicht durch die Energieeinsparungen in wärmeren Klimazonen ausgeglichen, heißt es im Fachjournal „Nature Ecology & Evolution“. Damit stellt sich die Frage, was die eigentlichen evolutionären Triebkräfte hinter dem Vogelzug sind.

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Die Forscher um Nils Linek und Martin Wikelski vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell statteten mehr als 100 Amseln mit Funksendern aus und implantierten ihnen spezielle Sensoren. Von Herbst bis zum darauffolgenden Frühjahr zeichneten die winzigen Geräte alle 30 Minuten Herzfrequenz und Körpertemperatur auf.

Mehr als 80 Amseln wurden im Frühjahr wieder eingefangen und ihre Daten ausgelesen. Die daraus errechnete Energiebilanz der ziehenden Amseln verglichen die Forscher anschließend mit jener von Artgenossen, die über den Winter in Süddeutschland verblieben waren.

Wir hätten nie erwartet, dass Vögel insgesamt keinen Energievorteil haben, wenn sie kalten Wintern entfliehen.

Nils Linek,

Verhaltensbiologe

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Nach Süden oder bleiben?

Amseln (Turdus merula) sind in Deutschland sogenannte Teilzieher: Einige verbringen den Winter in milderen Regionen wie Spanien, andere bleiben das ganze Jahr über in ihrem Brutgebiet. Im Durchschnitt überwintern Zugamseln etwa 790 Kilometer südwestlich ihres Brutplatzes; in den vergangenen vier Jahrzehnten war die Umgebungstemperatur dort im Schnitt fast sechs Grad höher als hierzulande, heißt es in der Studie.

„Wir hätten nie erwartet, dass Vögel keinen Energievorteil haben, wenn sie kalten Wintern entfliehen“, sagte Linek. „Lange Zeit galt die Lehrbuchannahme, dass Tiere weniger Energie verbrauchen, wenn sie in wärmere Gebiete ziehen, aber unsere Ergebnisse haben gezeigt, dass diese Einsparungen nicht existieren.“

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Sparen vor der Abreise

Tatsächlich ist die Energetik des Vogelzugs weitaus komplexer als theoretisch vorhergesagt. Die Daten der Sensoren zeigten, dass ziehende Amseln bei der Vorbereitung auf den Zug viel Energie sparen, indem sie drei Wochen vor dem Abflug ihren Stoffwechsel verlangsamen. Dadurch bleibt mehr Energie für andere Prozesse übrig, etwa für die Speicherung von Fett als Treibstoff für den Flug und den Aufbau der Flugmuskulatur.

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„Sie drehen im Wesentlichen ihren inneren Thermostat herunter, um Energie für die bevorstehende Reise zu sparen“, so Linek. Diese Einsparung könne die Energiekosten des Zugfluges vollständig ausgleichen, erläutern die Forscher. In den Überwinterungsgebieten hingegen scheine der tägliche Gesamtenergieverbrauch nicht geringer zu sein als zu Hause. Eigentlich war zu erwarten, dass durch die Überwinterung im Süden viel Energie gespart würde, da sich die Körpertemperatur in milderen Klimazonen viel leichter aufrechterhalten lasse.

Die jährliche Überlebensrate von Zugamseln ist höher als die ihrer einheimischen Artgenossen.

Mehr Stress im Süden?

„Wir können derzeit nur spekulieren, vermuten aber, dass es noch weitere physiologische Anpassungen oder versteckte Kosten gibt, die die Amseln in ihren milderen Überwinterungsgebieten zu tragen haben“, erklärt Linek. Dazu könnten Faktoren wie erhöhte Wachsamkeit in der neuen Umgebung, Immunfunktionen oder unbekannte Stressfaktoren gehören.

Warum also nehmen Amseln die lange und gefährliche Reise Richtung Süden und wieder zurück auf sich? Dies sei noch weitgehend unklar, erklärt das Forschungsteam. Bekannt sei allerdings, dass wandernde Amseln eine höhere jährliche Überlebensrate aufweisen als heimische Amseln.

Eine Vermutung ist, dass sie die überschüssige Energie im Winterquartier in ihre körperliche Gesundheit investieren und so ihr allgemeines Sterberisiko senken. Inwieweit dies auch Einfluss auf die Gelegegröße und die Überlebenschancen ihres Nachwuchses hat, ist unklar.

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Der Klimawandel verändert die Kosten-Nutzen-Analyse

Wichtig sei es den Forschern zufolge auch herauszufinden, welchen Einfluss der Klimawandel auf den Energiehaushalt von Zug- und Standvögeln hat. Bei Amseln habe sich in den vergangenen Jahren gezeigt, dass ein immer geringerer Anteil die Reise Richtung Süden auf sich nimmt. Ähnliche Daten lägen auch für andere Arten vor, die in Deutschland brüten.

RND/dpa

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