Ukraine-Krieg: Wolodymyr Selenskyj hält baldigen Frieden für möglich

Ukraine-Krieg: Wolodymyr Selenskyj hält baldigen Frieden für möglich

Während seiner Reise in die USA machte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj weiter Werbung für seinen sogenannten Victory Plan – ein Dokument mit derzeit unbekanntem Inhalt, in dem er unter anderem US-Präsident Joe Biden seine strategischen Pläne vorstellen will. „Entschlossenes Handeln jetzt kann ein gerechtes Ende der russischen Aggression gegen die Ukraine im kommenden Jahr beschleunigen“, schrieb Selenskyj auf der Plattform X. „Unser Victory Plan wird dazu beitragen, Russland praktisch zum Frieden zu zwingen.“

Vorher, Wolodymyr Selenskyj Dabei traf sich Selenskyj mit mehreren Vertretern beider US-Parteien – darunter auch Senatoren, die dem Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des US-Kongresses angehören und von denen einige schon seit Monaten eine deutlich stärkere Unterstützung für die Ukraine fordern. Er habe sie über die aktuelle Lage an der Front und die „Perspektiven für das kommende Jahr“ informiert, schrieb Selenskyj.

Zudem sagte er in einem Interview mit dem US-Sender ABC, dass es schon 2025 Frieden geben könne. „Ich glaube, wir sind dem Frieden näher, als wir denken“, sagte der Präsident. „Wir sind näher am Ende des Krieges. Wir müssen nur sehr, sehr stark sein.“

Selenskyj will Biden zu neuer Strategie bewegen

Die überraschenden Aussagen – immerhin Ukraine weit entfernt von ihren Kriegszielen, wie etwa einem vollständigen Abzug der russischen Truppen aus ihren Territorien – könnte ein Versuch Selenskyjs sein, vor einem geplanten Treffen mit Joe Biden Optimismus zu zeigen. Das für diese Woche geplante Gespräch könnte das letzte persönliche Treffen zwischen Selenskyj und Biden sein, dessen Amtszeit im Januar endet.

Der US-Präsident hat die Ukraine seit Kriegsbeginn unterstützt und ihre Verteidigungsfähigkeit mit milliardenschweren Waffenlieferungen gestärkt. Aus ukrainischer Sicht sind diese allerdings unzureichend: Unter Bidens Führung lieferten die USA nach zwei Jahren Krieg lediglich wirksame Waffen wie Artillerieraketen mit Hunderten Kilometern Reichweite, Marschflugkörper und Kampfjets will der Präsident nicht bereitstellen. Und die Ermächtigung des US-Kongresses für Waffenlieferungen im Wert von sechs Milliarden Dollar läuft Ende September aus. Die Mittel könnten ungenutzt bleiben, die US-Regierung verhandelt derzeit mit dem Parlament über eine Verlängerung.

Vor allem aber wird Selenskyj wohl versuchen wollen Biden nach monatelangen Ablehnungen die Ukraine endlich davon zu überzeugen, Angriffe mit US-Waffen tief auf russischem Territorium zuzulassen. Selenskyj fordert eine solche Lockerung der Bedingungen seit Monaten. Sein Argument: Russische Kampfjets, die täglich mit mehr als hundert schweren Bomben sowohl die Frontlinie als auch das ukrainische Hinterland angreifen, könnten dann auf ihren Flugplätzen angegriffen werden, Russlands Luftüberlegenheit wäre gebrochen und ein Einlenken Wladimir Putins wahrscheinlicher.

Ukrainische Angriffe auf russische Waffenlager sollen Ängste dämpfen

Doch die monatelange öffentliche Debatte über die Lockerung der US-Beschränkungen gab Russland offenbar genug Zeit, um die meisten seiner Flugzeuge in Sicherheit zu bringen. Russlands Militär soll die meisten davon bereits so weit verlegt haben, dass sie von den Waffen, über die die Ukraine verfügt, nicht mehr erreicht werden können. Sollte Selenskyj Biden zu einem Kurswechsel bewegen können, wären die Auswirkungen vermutlich geringer als in der Vergangenheit.

Zu den Argumenten des ukrainischen Präsidenten, warum die Lockerungen dennoch notwendig seien, könnte auch ein Verweis auf die jüngsten Drohnenangriffe der Ukraine gehören. So griffen ukrainische Drohnen – und möglicherweise auch weitere Raketen ukrainischer Produktion – vergangene Woche mehrere russische Munitionsdepots an und zerstörten dabei vermutlich Zehntausende Tonnen Artilleriegeschosse und Raketen. Verschiedenen Schätzungen zufolge könnte Russlands Munitionsverbrauch innerhalb einer Woche mehrere Monate überstiegen haben.

Mit den Angriffen könnte Selenskyj nicht nur versuchen, Biden davon zu überzeugen, dass Angriffe im Hinterland Russlands eine strategische Wirkung haben können, sondern auch, dass es sich nicht um eine Eskalation handelt, die Putin zu noch brutaleren Maßnahmen greifen. Drohungen des russischen Präsidenten gegenüber westlichen Ländern, wenn diese solche Angriffe mit ihren Waffen zulassen, werden als ein Grund für das Zögern westlicher Staatschefs bei der Lockerung der Beschränkungen gesehen. Putins weitgehende Untätigkeit nach den Angriffen auf seine Waffenlager, Militärflughäfen und Treibstofflager dürfte eines von Selenskyjs Hauptgegenargumenten sein.

Sicherheitsgarantien und Investitionen in die ukrainische Rüstungsindustrie

Auf Biden allein will sich Selenskyj offenbar nicht verlassen. In dieser Woche wird er sich auch mit Vizepräsidentin und möglicher Biden-Nachfolgerin Kamala Harris treffen – sowie mit ihrem Rivalen, dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump. Auch ihnen wolle er seinen Plan für den Sieg vorstellen, sagte Selenskyj auf X.

Was dieser Plan genau vorsieht, ist unklar. Auch in ukrainischen Medien wird über seinen Inhalt derzeit vor allem spekuliert – zumal sein Name in einer Situation, in der die Ukraine seit Monaten in der Defensive ist und Territorium an Russland verliert, Hoffnungen weckt. Berichten ukrainischer und internationaler Medien zufolge handelt es sich bei dem Dokument vor allem um eine Sammlung von Forderungen nach einer militärischen Stärkung der Ukraine.

Dazu gehören neben der öffentlich geforderten Lockerung der Bedingungen für den Einsatz von Langstreckenwaffen auch Investitionen in die ukrainische Rüstungsindustrie sowie die Forderung nach verbindlichen Sicherheitsgarantien, um Russland künftig vor einem zweiten Angriff zu bewahren. Auch der ukrainische Einmarsch in die russische Grenzregion Kursk ist laut Selenskyj Teil des Plans. Welche Rolle er dabei spielt, ist allerdings unklar – zumal Russland die ukrainischen Truppen dort zuletzt etwas zurückdrängen konnte.

Selenskyj rechnet für seinen Siegesplan mit Zustimmung der USA

Unklar ist auch die Frage, inwiefern die Rückeroberung aller besetzten Gebiete – die offiziell weiterhin das Kriegsziel der Ukraine ist – Teil des Siegesplans ist. Es gibt kaum einen Beobachter, der einen solchen ukrainischen Erfolg innerhalb weniger Monate für möglich hält, in denen Selenskyj nun nach eigener Aussage ein Ende des Krieges sieht. Zuvor hatte der Präsident allerdings angedeutet, dass er sich unter bestimmten Bedingungen vorstellen könne, dieses Ziel aufzugeben. Unter welchen Bedingungen, ist ebenfalls unklar.

Dennoch setzt Selenskyj demonstrativ auf seinen Plan und die von ihm erhoffte Zustimmung der US-Regierung. Auf einer Pressekonferenz in Kiew am vergangenen Freitag verneinte er die Frage, ob er einen „Plan B“ habe: „Wir sind bereits im Plan B“, sagte Selenskyj. „Wir leben und kämpfen darin.“ Sollten die westlichen Unterstützer der Ukraine seine Vorstellungen von einer strategischen Wende im Krieg ablehnen, so Selenskyj implizit, gäbe es keine andere Möglichkeit, als weiterzukämpfen wie bisher.

Verfolgen Sie alle aktuellen Entwicklungen im russischen Krieg gegen die Ukraine in unserem Live-Blog.

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