Ikea und der deutsche Bundestag gaben am Dienstag bekannt, dass der schwedische Möbelriese 6 Millionen Euro (rund 6,5 Millionen US-Dollar) in einen neuen deutschen Regierungsfonds einzahlen wird, der die Opfer der ehemaligen ostdeutschen Diktatur entschädigen soll.
Tausende Menschen wurden während ihrer Inhaftierung im ehemaligen kommunistischen Ostdeutschland nach einem System, das fast bis zur Wiedervereinigung im Jahr 1990 funktionierte, für westliche Unternehmen zur Zwangsarbeit gezwungen. Viele hatten darauf gewartet, dass die deutsche Abteilung von Ikea ihr Versprechen von 2012 einlöste Spenden Sie Entschädigungen für ehemalige Häftlinge.
Die erste Zusage von Ikea erfolgte nach einem 2012 veröffentlichten Bericht über die Ausbeutung von Häftlingen in der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR). Dem Bericht zufolge waren auch westdeutsche Unternehmen am System der Zwangsarbeit in der DDR beteiligt, darunter auch im Versandhandel Unternehmen Otto und Quelle sowie die Billig-Supermarktkette Aldi.
Evelyn Zupke, Bundesbeauftragte für Opfer der Diktatur der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), die die ehemalige kommunistische DDR gründete und regierte, sagte, das Engagement von Ikea für Entschädigungen sei bahnbrechend. Die Entscheidung von Ikea, sich seiner Verantwortung für seine Rolle zu stellen, verdiene Respekt, sagte Zupke der DW.
„Dieser Weg zeigt auch sehr eindrucksvoll, wie wir auch heute noch denen helfen können, die unter der Diktatur gelitten haben“, sagte sie.
Die Zahlung von Ikea würde in den deutschen „Härtefallfonds“ fließen, den der Bundestag voraussichtlich bis Ende des Jahres genehmigen wird. Entschädigungskassen für DDR-Opfer gab es bisher nur in den Ländern der ehemaligen DDR, die monatlich mehrere Hundert Euro an ansässige Opfer auszahlen. Wer in die westlichen Bundesländer zog, hatte keinen Anspruch auf Entschädigung. Doch das soll sich nun ändern.
Gefangene „zum Wohle der Planwirtschaft ausgebeutet“
Die „SED-Opferrente“ beträgt derzeit 330 Euro pro Monat und wird an Menschen ausgezahlt, denen zwischen 1945 und 1990 in der DDR unter Verstoß gegen die rechtsstaatlichen Grundsätze die Freiheit entzogen wurde und deren Freiheitsentzug mindestens 90 Tage lang verlief Die wirtschaftliche Lage ist heute besonders beeinträchtigt.
Zupke errechnete, dass Ikeas Zusage in Millionenhöhe rund 2.000 Opfer finanziell unterstützen könnte und sie hofft, dass sich nun auch deutsche Unternehmen engagieren und sich an dem Fonds beteiligen. „Konkret würde ich mir wünschen, dass Unternehmen wie Aldi und Otto sich endlich intensiver mit diesem Thema befassen“, sagte sie.
Diese Unternehmen weigern sich bisher, ehemalige Zwangsarbeiter zu entschädigen. Im April veröffentlichte die Berliner Humboldt-Universität eine Studie, in der zahlreiche belastende Fälle dokumentiert wurden – der Bericht hatte bislang jedoch keine Konsequenzen.
In der Studie wurde detailliert beschrieben, wie politische Gefangene gezwungen wurden, unter anderem von Aldi verkaufte Strumpfhosen herzustellen. Einige der von Zwangsarbeitern in ostdeutschen Gefängnissen hergestellten Produkte gelangten in westdeutsche Geschäfte und Versandkataloge. Häftlinge in Cottbus beispielsweise mussten Praktica-Kameras herstellen, die die deutschen Firmen Quelle und Otto an ihre Kunden verkauften. Häftlinge in Dessau wurden gezwungen, Audiokassetten für das deutsche Chemie- und Medienunternehmen Magna herzustellen. Auf diese Weise gelang es der ehemaligen kommunistischen DDR, dringend benötigte Devisen aus kapitalistischen Ländern im Ausland einzusammeln.
Das System der Zwangsarbeit im Gefängnis der DDR existierte mehrere Jahrzehnte lang. „Die Arbeitskraft der Häftlinge wurde zugunsten der staatlichen Planwirtschaft ausgebeutet“, heißt es in der Studie. „Von den 1950er Jahren bis zum Ende der DDR wurden jedes Jahr zwischen 15.000 und 30.000 Häftlinge zur Zwangsarbeit gezwungen, überwiegend in Bereichen, in denen Zivilarbeiter aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen nicht arbeiten wollten.“
Häftlingen, die sich der Zwangsarbeit widersetzten, drohten schwere Strafen. „Eine Arbeitsverweigerung führte unweigerlich zu Disziplinarmaßnahmen, die vom Entzug von Privilegien wie dem Empfang von Besuchern und Paketen bis hin zu dreiwöchiger Einzelhaft mit minimaler Nahrungsaufnahme reichten“, heißt es in dem Bericht.
Aldi, andere Unternehmen zögern mit der Entschädigung
Ein Aldi-Sprecher äußerte sich zu der Studie wie folgt: „Wir bedauern und verurteilen die in der ehemaligen DDR offenbar übliche Praxis, politische Gefangene und Sträflinge unter Zwang für die Produktion von Waren einzusetzen.“
Im Jahr 2013 wurde bekannt, dass einige Produkte von Aldi auch im berüchtigten ostdeutschen Frauengefängnis Hoheneck hergestellt wurden. Aldi begründete seine bisherige Weigerung, Opfer von Zwangsarbeit zu entschädigen, damit, dass „aufgrund der langen Zeitspanne seit den Ereignissen eine ausreichende Verarbeitung der Details für eine abschließende Beurteilung einer Entschädigungslösung nicht mehr möglich sei.“
Die jüngste Vereinbarung mit Ikea ist das Ergebnis langjähriger Gespräche zwischen dem Unternehmen, der SED-Opferbeauftragten Evelyn Zupke und der Union der Opferbeauftragten der kommunistischen Gewaltherrschaft (UOKG). Der Vorsitzende der UOKG, Dieter Dombrowski, war in den 1970er Jahren selbst Zwangsarbeiter in einem DDR-Gefängnis.
„Gemeinsam sind wir den Weg der Lösung gegangen. Und Ikea ist den Betroffenen auf Augenhöhe begegnet“, sagte er und fügte hinzu, dass er mit der geplanten finanziellen Entschädigung zufrieden sei. „Wir hoffen, dass andere Unternehmen dem Beispiel von Ikea folgen.“
Dieser Artikel wurde ursprünglich auf Deutsch verfasst.
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