Die Beweislast ist erdrückend, immerhin hat der Angeklagte es selbst auf seinem Computer aufgezeichnet. In einem Ordner mit dem Titel „Missbrauch“. Und so war es keine Überraschung, als Dominique P. am Dienstagmorgen gestand, seine Frau über zehn Jahre lang ruhiggestellt und vergewaltigt zu haben. Und mindestens fünfzig weitere Männer zu sich nach Hause eingeladen zu haben, um seine Frau zu vergewaltigen. P. hielt auf Hunderten von Filmen fest, wie seine ruhiggestellte Frau misshandelt und gewaltsam penetriert wurde. „Ja, ich bin ein Vergewaltiger und bitte um Vergebung“, sagte P. vor dem Strafgericht in der südfranzösischen Stadt Avignon. Obwohl, fügte er hinzu, seine Handlungen unentschuldbar waren.
Ihm gegenüber sitzt seine Ex-Frau Gisèle Pelicot. Sie hat darauf bestanden, dass der Prozess öffentlich stattfindet. Seit er vor zwei Wochen begonnen hat, sitzt sie an jedem Werktag im Gerichtssaal und hört zu, wie Ermittler und Psychiater den Mann begutachten, mit dem sie mehr als 50 Jahre ihres Lebens verbracht hat, mit dem sie drei Kinder und sechs Enkel hat. Selbst als verschiedene Experten vergangene Woche bestätigten, Dominique P. empfinde kein Mitleid, blieb sie aufrecht sitzen, ihr Gesicht ausdruckslos. Ihr Ex-Mann, der Hauptangeklagte, ist ein Mensch mit paraphilen Vorlieben, also solchen, die man früher als pervers bezeichnet hätte, er ist voyeuristisch, sadistisch und exhibitionistisch.
Eigenschaften, die P. vor Gericht nicht bestreitet. „Ich bin nicht so geboren, ich bin erst später pervers geworden“, sagt der 71-Jährige. Als Neunjähriger wurde er in einem Krankenhaus von einer Krankenschwester vergewaltigt und schließlich als 14-jähriger Lehrling auf einer Baustelle gezwungen, vergewaltigen zuzuschauen und daran teilzunehmen. Die älteren Bauarbeiter pressten sein Gesicht gegen ihre Genitalien und er musste sich übergeben. Als Kind musste er auch zusehen, wie sein Vater seine Mutter zu „sexuellen Dingen“ zwang und wie er seine Adoptivtochter missbrauchte. Sein Leben lang kämpfte er gegen seine perversen Vorlieben an. Mit den Möglichkeiten des Internets erwachte seine Obsession zum Leben.
„Ich habe sie geliebt“, behauptet der Angeklagte
Der Angeklagte beschreibt sich selbst als Getriebenen, als „Süchtigen“, der nicht aufhören konnte. „Ich war mit meiner Frau sehr glücklich“, sagt P. Es mag paradox klingen, aber er habe seine Frau nie als Objekt betrachtet, auch wenn die Videos das Gegenteil zeigten. P. gibt an, dass er sich zu Beginn seiner Haftstrafe umbringen wollte und sein Anwalt ihn davon abgehalten habe. „Ich weiß, dass meine Familie heute in Trümmern liegt und entschuldige mich dafür“, sagt er. Die Frage von Frau Pelicots Anwalt, ob er seine Frau letztlich gehasst habe, beantwortet er mit „Nein“. „Nein, nie. Ich habe sie geliebt“, behauptet er.
Gisèle Pelicot tritt ans Mikrofon. Sie habe keine Sekunde an „diesem Mann“ gezweifelt und ihm blind vertraut. 50 Jahre habe sie mit einem Mann gelebt, der sie vergewaltigt habe, „gemeinsam mit den Männern hinter mir“, sagt sie. Tatsächlich sitzt Gisèle Pelicot seit Prozessbeginn vor zwei Wochen mit ihren mutmaßlichen Vergewaltigern in einem Gerichtssaal. Die bereits Inhaftierten sitzen ein paar Meter entfernt in einer Glasbox. Für alle Angeklagten ist es zu klein, und so sitzen viele von ihnen im Publikum, die meisten tragen Corona-Masken und haben die Kapuzen ihrer Pullover weit ins Gesicht gezogen.
Die Rolle der Mitangeklagten wird in den kommenden Monaten im Mittelpunkt des Verfahrens stehen. Dominique P. muss voraussichtlich die Höchststrafe von 20 Jahren verbüßen, die ihm wegen schwerer Vergewaltigung, Verletzung der Privatsphäre und Verbreitung von Videos mit sexuellem Inhalt gegen den Willen der Opfer vorgeworfen wird. Die Anwälte der mutmaßlichen Komplizen versuchen jedoch von vornherein zu beweisen, dass ihre Mandanten von der stillschweigenden Zustimmung des Opfers ausgingen. Einige der Männer behaupten, in eine Falle gelockt worden zu sein. Sie sagen den Ermittlern, sie seien davon ausgegangen, dass das Paar einvernehmliche sexuelle Handlungen vornahm.