Long Covid bei 15-Jährigem aus SH: Familie verzweifelt über Corona-Folgen

Long Covid bei 15-Jährigem aus SH: Familie verzweifelt über Corona-Folgen

Rendsburg-Eckernförde. Eines Tages beim Tennistraining war es plötzlich da: Schwindel. Emilia Förster wurde ohnmächtig. Kurz darauf sah sie an der Bushaltestelle schwarze Flecken, beim Essen begannen ihre Hände zu zittern. Bald konnte sie keinem ihrer vielen Hobbys mehr nachgehen, berichtet die 15-Jährige aus dem Kreis Rendsburg-Eckernförde: Turnen, Tanzen, Leichtathletik, Klavier, Trompete.

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Der Grund, so diagnostizierte ein Arzt nun: ME/CFS, auch chronische Müdigkeit genannt, vermutlich ausgelöst durch eine Corona-Infektion im Februar 2022. Oder anders gesagt: Long Covid.

Emilia Försters richtiger Name lautet anders. Die Familie möchte nicht, dass ihr Name in der Zeitung steht – aus Angst vor Hilferufen anderer Betroffener, denen sie sich überfordert fühlen. Emilias Symptome sind typisch für Long Covid: ständige Müdigkeit, Kopfschmerzen, Licht-, Lärm- und Berührungsempfindlichkeit, Schwindel. „Schlappheitsgefühl“, sagt sie. Jede Anstrengung verschärfe die Symptome.

Der Weg zu dieser Diagnose war lang. Die Familie suchte Hilfe bei verschiedenen Stellen und erhielt unterschiedliche Erklärungen für Emilias Symptome: Angststörung, Derealisationssyndrom. Emilias Zustand verschlechterte sich. Die Schülerin hatte Angst, weil sie nicht wusste, was mit ihr los war. Immer wurde sie ermutigt, in der Schule und beim Sport weiterzumachen – obwohl sie es nicht mehr konnte: „Niemand hat mich ernst genommen.“

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Long Covid: Teenager aus SH kann seit acht Monaten kaum das Bett verlassen

Das ist jetzt zwei Jahre her. Es ist ein sonniger Tag, doch Emilia liegt im schummrigen Halbdunkel in ihrem Bett. Dünn und blass verschwindet sie fast im Kissenstapel. Vor dem Bett, wie im Krankenhaus: ein Tisch, auf dem ihre Eltern ihr Essen servieren. Seit acht Monaten verbringt die 15-Jährige jeden Tag hier. Sie kann kaum aufstehen, die Anstrengung ist zu groß. Fernsehen oder lesen kann sie auch nicht. Stattdessen: liegen. Auf ihr Handy schauen.

Emilias Freunde dürfen nur für höchstens zehn Minuten vorbeikommen, sie müssen leise sprechen und eine Maske tragen. Eine Infektion könnte Emilias Zustand verschlechtern. Anfangs versuchten ihre Eltern, ihr vorzulesen. „Mir schwirrt der Kopf“, habe Emilia dann immer gesagt, berichtet ihre Mutter Sandra Förster. Zur Schule geht sie derzeit nicht, den Stoff zu Hause nachzuholen wäre eine zu große Belastung. Vor ihrer Erkrankung war Emilia in einem Hochbegabtenprogramm.

Im Haus der Familie Förster dreht sich der Alltag mittlerweile um Emilias Krankheit. Sandra Förster hat ihre Arbeit aufgegeben, um sich um ihre Tochter zu kümmern. Auf der Kücheninsel steht ein Korb mit Medikamenten. Die Familie hat eine Klimaanlage einbauen lassen, weil Emilia keine Hitze verträgt. Und im Garten steht ein Wasserbecken, in dem sie langsam Sport treiben kann, wenn es ihr besser geht.

All dies und die Behandlungskosten zahlen sie selbst, berichten die Försters. „Wir haben das Vertrauen in das Gesundheitssystem verloren“, sagt Emilias Vater Thomas Förster.

Ursachen von Long Covid sind noch unbekannt

Wie viele Menschen im Norden derzeit an den Spätfolgen von Corona-Infektionen leiden, lässt sich nur schwer ermitteln. Einem Bericht von Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken (CDU) zufolge wurden in den Jahren 2021 bis 2023 in Schleswig-Holstein bei niedergelassenen Ärzten insgesamt 50.210 Behandlungsfälle mit gesicherter Diagnose abgerechnet.

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Was genau bei manchen Menschen Long Covid auslöst und bei anderen nicht, ist noch immer ein Rätsel. Auch verlässliche Behandlungsansätze sind bislang nicht gefunden. An Geld für die Forschung mangele es nicht unbedingt, sagt Kinder- und Jugendpneumologe Dr. Ralf van Heek aus Altenholz. Das Feld sei aufgrund der großen Zahl der Betroffenen eigentlich lukrativ. Aber die Krankheit sei einfach unglaublich komplex. Auch bei der Versorgung hapert es: zu wenig Physio- und Psychotherapeuten, fehlende Plätze in Reha-Kliniken.

Auch Selbsthilfegruppen wie das Netzwerk „Not Recovered Kids“ kritisieren eine mangelhafte Versorgung. Dr. Bettina Vautrin, Allgemeinmedizinerin und Mitglied im Landesbeirat Schleswig-Holstein, wünscht sich mehr Aufklärung für Ärzte, damit diese die Krankheit schneller erkennen können.

Wichtig sei, dass Long Covid richtig und umgehend behandelt werde. Es gebe derzeit keine klaren Kriterien, keinen Labortest, der eindeutig nachweisen könne, dass jemand an Long Covid leide, sagt van Heek. Die Diagnose sei heikel, denn auch ein falsch positives Ergebnis könne schädlich sein.

ME/CFS: Die richtige Belastungsgrenze zu finden ist schwierig

Schließlich fand Familie Förster in einem anderen Bundesland einen Privatarzt, der ME/CFS behandelt. Das war ein Wendepunkt: Emilia hat seitdem mehr Energie, reagiert weniger empfindlich auf Reize, kann öfter aufrecht sitzen und sich länger unterhalten.

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Das Problem: Wer zu schnell zu viel probiert, kann Rückfälle bekommen. Das sogenannte Pacing, die Suche nach der richtigen Belastungsgrenze, sei schwierig, erklärt van Heek.

Die Försters fühlen sich mit ihrer Situation „hilflos und überfordert“. Seit einem Jahr unternehmen die Försters nichts mehr gemeinsam als Paar, weil immer einer von beiden zu Hause sein muss. Jede Einladung nehmen sie wegen der Ansteckungsgefahr nicht an. „Es ist, als würde man unter einer Glasglocke leben“, beschreibt Sandra Förster es.

Wenn jemand Emilia fragt, wie es ihr geht, spürt sie die Erwartung, dass es besser werden müsse: „Ich traue mich gar nicht zu sagen, dass sich wenig geändert hat.“

Wann und ob sich Emilias Zustand bessert, ist ungewiss. Ihre Hoffnung: „Mittelmäßig“, sagt Emilia. Und wenn ja? Dann will die 15-Jährige studieren, am liebsten Biologie, um zu verstehen, wie der Körper funktioniert und wie sich Krankheiten auf ihn auswirken.

CN

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