Bad Segeberg. „Was ist eigentlich eine Smart City?“ Etwas ratlos steht Heinrich Kuth mit seinem Fragebogen am Stand der Senioren-Union auf dem Marktplatz. Der 90-Jährige will an der Sicherheitsbefragung der Stadt Bad Segeberg teilnehmen, weiß aber nicht, was sich hinter dem Begriff verbirgt. Ursula Michalak und Klaus Bülck geben ihr Bestes, haben aber auch eine recht vage Vorstellung. „Wenn Dinge über das Internet koordiniert werden“, erklärt der frühere CDU-Kommunalpolitiker.
Lesen Sie mehr nach dem Werbung
Lesen Sie mehr nach dem Werbung
Genau hier zeige sich ein zentrales Problem des Projekts, sagt Michalak. „Gerade ältere Menschen sind mit manchen Fragen schlicht überfordert.“ Und viele Menschen könnten aufgrund fehlender Kenntnisse auch nicht über den QR-Code auf der offiziellen Homepage Bad Segebergs teilnehmen, so wie die Beteiligung eigentlich gedacht ist. „Rund ein Drittel der Menschen hier sind mindestens 60 Jahre alt“, erklärt Klaus Bülck. Und gerade sie dürfe man von dieser Aktion nicht ausschließen.
Auch wenn die Nutzung des Internets natürlich nicht für alle Senioren eine unüberwindbare Hürde darstellt, zeigt die große Resonanz auf das Angebot der Seniorenunion, beim Ausfüllen der gedruckten Formulare zu helfen, den bestehenden Bedarf.
81-Jähriger aus Bad Segeberg meidet abends Fußgängerzone
Edith Neitz etwa ist extra in die Fußgängerzone gekommen und hat sich an einen Tisch gesetzt. „Das Thema ist mir wichtig“, erklärt die 81-Jährige, die seit sechs Jahrzehnten im Kalkbergstädtchen lebt. Die Situation habe sich in den vergangenen Jahren verschärft. „Ich gehe am Wochenende und abends nicht mehr in die Innenstadt und schon gar nicht allein.“ Auch ihr 48-jähriger Sohn fühle sich dort zu bestimmten Tageszeiten nur in Begleitung seines erwachsenen Hundes wirklich sicher.
Lesen Sie mehr nach dem Werbung
Lesen Sie mehr nach dem Werbung
„Das kann es nicht sein“, meint Ursula Michalak, eine pensionierte Lehrerin. Nicht jeder Senior, der an diesem Morgen am Stand vorbeikam, wollte, dass sein Name in der Zeitung steht. Was aber aus all den Gesprächen klar wurde: Es waren vor allem Gruppen junger Männer, vor allem solche mit ausländischem Aussehen, die den Frauen ein Unbehagen bereiteten. „Die haben keinen Respekt“, sagt eine Frau aus Bad Segeberg.
Es ist das vielzitierte „subjektive Sicherheitsgefühl“, das in den vergangenen Wochen und Monaten nicht nur bei älteren Menschen gelitten hat. Ihre Freundin nehme keine Termine mehr zu Zeiten wahr, in denen es bereits dunkel sei, sagt eine Passantin. In der Fußgängerzone sei die Frau wiederholt „gehasst“ worden. Ein Wunsch wurde immer wieder geäußert: mehr Polizeipräsenz, vor allem in Form von Fußstreifen.
Bürgermeister Toni Köppen nimmt subjektives Sicherheitsempfinden ernst
Bürgermeister Toni Köppen (parteilos) hat immer wieder betont, dass das Sicherheitsgefühl der Menschen, das nicht immer durch persönliche Erfahrungen gestützt wird, ernst genommen werden müsse. Auch deshalb stand er der Befragung von Anfang an aufgeschlossen gegenüber. Für die Stadt ergibt sich der Vorteil, eine wissenschaftlich gestützte Befragung zu erhalten, ohne selbst Geld dafür ausgeben zu müssen.
Da es sich um ein vom Bund gefördertes ZIM-Projekt („Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand“) handelt, kann Bad Segeberg später sogar mit Fördermitteln rechnen, wenn es um die Umsetzung konkreter Maßnahmen geht. Nachteil: Der Fragebogen ist standardisiert, sodass er ebenso wie in der Kreisstadt auch in der Hansestadt Lübeck und im rheinland-pfälzischen Koblenz, den beiden anderen beteiligten Pilotkommunen, eingesetzt werden kann.
Lesen Sie mehr nach dem Werbung
Lesen Sie mehr nach dem Werbung
Doch das bringt ein paar Unsicherheiten mit sich. So ist etwa die Frage nach bestimmten Stadtteilen, in denen sich die Menschen besonders unwohl fühlen, für Lübeck sinnvoll, für Segeberg hingegen nicht. „Ich habe einfach die Innenstadt oder die Südstadt aufgeschrieben, je nach Thema“, berichtet Ursula Michalak. Das sei kein Problem. Sie wolle den Bogen lieber mit nach Hause nehmen und ihn in Ruhe mit ihrer Tochter ausfüllen, antwortet eine ältere Dame, mit der sie gesprochen hat.
Von Kommunalpolitikern gibt es noch immer teils harsche Kritik an der Aktion. „Das Ganze ist dilettantisch umgesetzt“, sagte Olaf Reiter (CDU), Vorsitzender des Hauptausschusses, während der jüngsten Sitzung. Astrid Rudolphi vom Behindertenbeirat findet die Handhabung der analogen Formulare geradezu „mangelhaft“. Es fehle an Hilfestellungen, man müsse lange nach Dingen suchen.
CDU-Stadtabgeordneter aus Bad Segeberg kritisiert Kommunikation
Die CDU-Stadtabgeordnete Dorina Klaus, die nach eigenen Angaben selbst Opfer von Belästigungen geworden ist, beklagt „Kommunikationsdefizite“. Zunächst sei die Umfrage nicht wie angekündigt online gewesen, dann habe man sich gefragt, wie lange die Frist zur Abgabe sei. „Das ist nicht die Aufgabe der Bürger, Informationen zu sammeln, sondern die Aufgabe der Politik, zu liefern.“
Bürgermeister Köppen gibt zu, dass es Anfangsschwierigkeiten gab. Zunächst wollte er das Projekt mit eigenen Mitteln im Rathaus stemmen, musste dann aber auf externe Hilfe zurückgreifen. Und die Umsetzung sei tatsächlich „sehr global“ gewesen und nicht alles habe ganz gepasst.
Lesen Sie mehr nach dem Werbung
Lesen Sie mehr nach dem Werbung
Was die Dauer angeht, sei er einer Verlängerung gegenüber aufgeschlossen. Zunächst seien vier Wochen vorgesehen. Die eine oder andere „Optimierung“ sei in Absprache mit dem wissenschaftlichen Leiter ebenfalls noch möglich.
Ein „Quorum“, also eine Mindestbeteiligung, ist nicht vorgesehen. Dass jeder theoretisch so oft teilnehmen kann, wie er will, sehen die Verantwortlichen nicht als Problem. Um zu beweisen, dass man kein Roboter („Bot“) ist, müsse man zu Beginn lediglich eine kleine Matheaufgabe lösen. „So richtig sicher ist das alles nicht“, sagte Ausschussvorsitzender Reiter.