
Der MG4, insbesondere die xPower-Version, ist eines der verrücktesten Elektroautos auf dem Markt. Warum das so ist? Lesen Sie selbst.
Die Erfolgsgeschichte der chinesischen Marke MG in Europa ist ziemlich verrückt. Moment, chinesische Marke MG? Ja, keine Sorge, Sie sind nicht der Einzige, der überrascht ist. MG, Morris Garage. Wer hätte je gedacht, dass das Unternehmen hinter diesen klangvollen zwei Buchstaben, das geballte britische Autotradition verkörpert, eines Tages in chinesischer Hand sein würde?
Doch wie das mit der zyklischen Entwicklung von Unternehmen so ist – das British Leyland-Imperium, zu dem MG später gehörte, ist zwar langsam, aber doch verschwunden. Und nun lebt das Label unter dem SAIC-Konzern (Shanghai Automotive Industry Corporation) weiter, der vor rund 20 Jahren die Reste des einstigen britischen Autogiganten übernahm. Mit über 200.000 Mitarbeitern ist der Konzern keine kleine Nummer, gehört zu den relevanten Playern auf der globalen Automobilbühne. Doch ist das der einzige Erfolgsgarant, gerade in unserer Region?
Besucht man die britische Website der Marke MG, so erscheint nach dem MG-Logo auf rotem Grund in verschnörkelter Schrift „100 Years Young“. Das markeneigene Geschichtsbewusstsein kann man als Pseudo abtun, denn die aktuelle Marke hat nichts, aber auch gar nichts mit Morris Garage zu tun. Doch der Umgang mit der Marke scheint zu funktionieren. Und um die britische Geschichte weiterleben zu lassen, übernimmt die sogenannte MG Motor UK die Vertriebsaktivitäten in Großbritannien.
Allerdings haben sich die Fahrzeuge längst über den Kontinent verbreitet und MG ist die erfolgreichste chinesische Marke in Deutschland, wenn man von den Geely-Produkten absieht. Wer hier auf den Straßen genau hinsieht, wird häufig das MG-Logo sehen. Und dass die Marke so erfolgreich ist, ist fast ein bisschen mysteriös, denn ihre Fahrzeuge sind, salopp gesagt, nicht gerade Spitzenqualität. Liegt der Verkaufserfolg am Preis?
Das Label „xPower“ ist durchaus historisch


Wenn Sie diese riesigen orangefarbenen Bremssättel sehen, ist es ein xPower.
(Foto: Patrick Broich)
Betrachtet man die gesamte Palette, ist der ZS-Benziner mit Preisen ab knapp 18.000 Euro sicher nicht die günstigste Möglichkeit, an einen Neuwagen zu kommen. Andererseits ist ein MG4 ab 34.990 Euro für eine rein elektrische Kompaktklasse ziemlich günstig. Und auch wenn die Materialien im Innenraum hier und da etwas billig wirken, ist das Modell insgesamt recht gut.
Und genau dieser MG4, auf dessen Rückgrat der MG-Erfolg zumindest hierzulande beruht, soll Thema dieses Essays sein. Diesmal allerdings nicht die langweilige Basis, sondern das ziemlich durchgeknallte Topmodell namens xPower. Dieser Modellname dürfte nicht ohne Überlegung gewählt worden sein, denn xPower SV hieß in den Nullerjahren der letzte MG-Sportwagen. Dieses aus einem Sammelsurium an Komponenten schlampig zusammengeschusterte V8-Biest mit immerhin 320 PS (Motor mit 4,6 bzw. 5,0 Liter Hubraum aus dem Ford-Programm) wurde, von wenigen Exemplaren abgesehen, praktisch nie verkauft.


In der matten Lackierung wirkt der kompakte MG4 noch eine Spur sportlicher.
(Foto: Patrick Broich)
Und jetzt ist er wieder da, der xPower. Zwar nicht als eigenständiges Modell, aber nicht minder verrückt als Variante des sonst dezent aussehenden MG4. Das Leistungsmonster – anders lässt sich dieser Kompaktwagen kaum beschreiben – ist von außen kaum zu erkennen. Der knappe „xPower“-Schriftzug rechts auf dem Kofferraumdeckel fällt kaum auf, ein Blick Richtung Felgen verrät ihn jedoch. Auffällig sind die orangefarbenen Bremssättel der Topvariante.
Doch wie fährt sich dieser Wolf im Schafspelz? Eigentlich ziemlich unspektakulär, wenn auch unheimlich kraftvoll. Zwar braucht es den sportlichen Fahrmodus, um die volle Leistung zu mobilisieren, doch dann geht es richtig los. Dieser 4,29 Meter lange Top-MG macht kein großes Aufheben um seine Power (435 PS und 600 Newtonmeter Drehmoment), kein spezieller Sound, kein Gefummel mit irgendwelchen Licht-Features. Einfach nur völlig unaufgeregter Schub. So sehr sogar, dass selbst zwei angetriebene Achsen auf trockener Straße um Traktion ringen.
Das Top-MG4 ist unglaublich giftig
Klar, denn mit 1,8 Tonnen Leergewicht ist der Hot Hatch für ein Elektroauto nicht mal furchtbar schwer. Und so fährt sich das viertürige Understatement-Monster auch nicht besonders solide, sondern eher etwas kippelig. Aber alles gut, man fühlt sich bei der Leistung nicht unsicher, geht flott um die Kurven und legt flotte Autobahnrunden hin. Und auf offener Straße gibt es auch gar keine gefährlichen Momente. Denn der Kompaktwagen schafft es laut Werksangabe in 3,8 Sekunden auf 100 km/h, wird aber bei 200 km/h abgeregelt. Und so bissig er aus dem Stand losschießt, muss man sagen, dass er obenrum müde wird. Der Druck lässt mit zunehmender Geschwindigkeit deutlich nach, was okay ist, aber mitunter zu witzigen Situationen führt. Auf dem Zubringer sieht man als BMW M4-Fahrer vielleicht blöd aus, um spätestens am Ende des Beschleunigungsstreifens wieder Kraft zu tanken. Aber hey, wir reden hier von einem Kompaktwagen mit einem Listenpreis von 46.990 Euro.


Die Alcantara-Polsterung verleiht dem Hot Hatch einen drahtigen Look. Die Sitze sind eher bequem als sportlich.
(Foto: Patrick Broich)
Und sonst? Man kann dieses Muscle-Car problemlos eine Weile fahren, ohne durchgeschüttelt zu werden. Das straffe Fahrwerk ist zwar spürbar, aber es wäre auch komisch, wenn es nicht so wäre. Dass die üppigeren Sportsitze im xPower eher dem Komfort dienen als den Passagieren bei wilder Fahrt fest in der Fahrbahnmitte zu halten, hat schon etwas Ironisches. Denn Querdynamisch fahren will man mit dem für die Power etwas unterdimensionierten Fahrwerk eigentlich nicht. Und das muss man auch nicht, Porsche-Niveau erwartet man hier nicht. Insgesamt ist der außergewöhnliche viertürige Elektrowagen ein guter Allrounder, der mit seinem nutzbaren Platzangebot und der akzeptablen Bedienung zufriedenstellt. Beim Infotainment und der Verarbeitung besteht offensichtlich noch Luft nach oben. Aber bitte immer den Preis im Auge behalten.


Das Laderaumvolumen dieses MG fällt mit knapp 1200 Litern eher dürftig aus.
(Foto: Patrick Broich)
Interessant für den Käufer könnte auch sein, dass durch den starken Antriebsstrang die richtig große Batterie mit 77 kWh entfällt. Stattdessen gibt es nur noch die mittlere Batterie (64 kWh). Und da zwei Motoren mehr Strom verbrauchen als einer, kann der werkseitig angegebene WLTP-Verbrauch von 18,7 kWh auf 100 Kilometer bei geringer Gaspedalbetätigung auch mal überschritten werden. Und dann sind 385 Kilometer Reichweite sehr theoretisch. Aber der kleine MG saugt mit seiner nominellen Ladeleistung von 140 kW verdammt gut Energie auf. In rund 25 Minuten wieder auf fast 80 Prozent Ladung zu kommen, ist ein zutiefst realistisches Szenario. Realistischer ist allerdings auch, dass MG4-Kunden eher zu den schwächeren Modellen greifen werden. Obwohl, den Spaß mit dem stummen Wolf im Schafspelz sollte man sich schon mal gönnen. Lustig ist er in jedem Fall. Und nicht unverschämt teuer.
Datenblatt MG4 Electric xPower
Abmessungen (Länge/Breite/Höhe) |
4,29 / 1,84 (mit Außenspiegeln) / 1,50 m |
Radstand |
2,71 m |
Leergewicht (DIN) |
1803 kg |
Sitzplätze |
5 |
Ladevolumen |
363 bis 1177 Liter |
Motortyp |
Zwei Permanentmagnet-Synchron-Elektromaschinen |
Getriebe |
Eine feste Übersetzung |
Leistung |
435 PS (320 kW) |
fahren |
Allradantrieb |
max. Drehmoment |
600Nm |
Beschleunigung 0-100 km/h |
3,8 Sekunden |
Höchstgeschwindigkeit |
200km/h |
Batteriekapazität |
64 kWh |
Maximale Ladeleistung (Gleichstrom) |
140 kW |
Ladezeit (10 bis 80%) |
26 Minuten |
Verbrauch (kombiniert) |
18,7 kWh/100 km (WLTP) |
kombinierte WLTP-Reichweite |
385 Kilometer |
CO₂-Emissionen kombiniert |
0g/km |
Grundpreis |
Ab 46.990 Euro |
Abschluss: Der MG4 xPower ist ein Auto, wie es verrückter nicht sein könnte. Es gibt Elektromodelle in dieser Klasse mit ähnlichen Motoren – man denke an Angebote wie den Volvo EX30 Twin oder den Smart #1 mit Doppelmotorantrieb. Aber im eher funktionalen MG4? Irgendwie komisch. Aber das macht auch einen Teil seiner Coolness aus, denn so eine Power erwartet niemand von diesem eher unauffälligen Fahrzeug. Für den Preis von unter 50.000 Euro ist der Kompaktwagen unschlagbar und damit eine Empfehlung. Dass er nicht perfekt ist, muss man nicht diskutieren. Aber darauf können Sie wetten, dass Sie immer mit einem Grinsen im Gesicht aus dem Hot Hatch steigen werden.