
Kiel. Wie viele Ultraschall- und CTG-Untersuchungen sind in der Schwangerschaft nötig? Eine Analyse der Barmer Krankenkasse legt nahe, dass Frauen häufiger untersucht werden, als medizinisch empfohlen wird. Auch der Hebammenverband spricht von zu vielen unnötigen Kontrollterminen. Fachleute sind da allerdings anderer Meinung.
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Maximal drei Ultraschalluntersuchungen bei Schwangeren ohne Risikofaktoren, CTG-Aufzeichnungen, die den Herzschlag des Babys und die Wehen der Mutter aufzeichnen, sind nur bei eindeutiger medizinischer Indikation zu empfehlen – so steht es in den Mutterschaftsrichtlinien. Doch laut dem aktuellen Barmer Pflegekompass zur Geburtshilfe und Hebammenversorgung ließen sich 2022 zwei Drittel der gesunden Frauen mit unauffälliger Schwangerschaft deutlich häufiger untersuchen.
Untersuchungen in der Schwangerschaft: Zu häufige Messung des kindlichen Herzschlags
Bei mehr als der Hälfte aller Schwangerschaften, die ohne Risikofaktoren verlaufen, wurden bis zu neun Ultraschalluntersuchungen durchgeführt. Gesunde Frauen wurden zudem durchschnittlich fünfmal per CTG kontrolliert. Auch der Herzschlag des Ungeborenen wurde zu häufig gemessen. Damit erhielten gesunde Frauen etwa gleich viele Untersuchungen wie Schwangere mit medizinischen Risikofaktoren.
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„Eine Überdiagnostik birgt das Risiko weiterer, unnötiger Untersuchungen, die mit Nebenwirkungen oder Risiken verbunden sein können“, sagt Prof. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer. „Hierzu zählen zum Beispiel invasive Untersuchungen wie Fruchtwasserentnahme oder Nabelschnurpunktion.“ Auch langfristig seien nach zusätzlichen Ultraschalluntersuchungen höhere Kaiserschnittraten zu beobachten, unabhängig davon, ob die Schwangerschaften überwachungsbedürftig sind oder nicht, so Straub.
Hebammenverband: „Schwangerschaft wird als medizinischer Notfall wahrgenommen“
Straub verweist auf die „Verordnung zum Schutz vor der schädlichen Wirkung nichtionisierender Strahlung bei der Anwendung am Menschen“, in der es heißt, dass der Ungeborene aus Sicherheitsgründen vor unnötigen Einflüssen geschützt werden müsse. Die Verordnung betont, dass Ultraschalluntersuchungen ohne Indikation unbedingt vermieden werden sollten.
Der Hebammenverband Schleswig-Holstein bestätigt die Ergebnisse der Barmer-Studie. „Leider sehen wir in der Praxis immer wieder, dass routinemäßig eine Vielzahl von Untersuchungen durchgeführt werden, auch wenn kein konkreter Bedarf besteht“, sagt Verbandsvorsitzende Anke Bertram. „Das kann dazu führen, dass eine Schwangerschaft als medizinischer Notfall wahrgenommen wird und nicht als natürlicher Vorgang.“
Der Trend gehe schon seit längerem dahin, sich mehr auf technische Testergebnisse als auf das eigene Körpergefühl zu verlassen, sagt Bertram. „Die Medizin spricht gesunden Frauen die physiologische Fähigkeit ab, ihr Körpergefühl zu nutzen und selbstständig gebären zu können.“ Der Hebammenverband fordert einen Paradigmenwechsel weg von der Risikoorientierung und hin zur Förderung der Normalität. „Ziel muss es sein, Frauen in ihren natürlichen Fähigkeiten zu unterstützen und zu stärken, statt ihnen Angst vor Eventualitäten zu machen.“
Städtisches Klinikum Kiel führt verstärkt Untersuchungen bei Schwangeren durch
Auch im Städtischen Klinikum Kiel kommen immer mehr Schwangere zu Untersuchungen. „Es kommen mehr Frauen in die Frauenklinik oder in den Kreißsaal“, sagt der Chefarzt der Frauenklinik, Dr. André Hohn. Besonders am Wochenende und wenn die Hausärzte im Urlaub sind, suchen Schwangere das Krankenhaus auf, weil sie befürchten, dass etwas nicht stimmt.
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„Zwar macht es die Schichten anstrengender“, sagt Hohn. Dennoch könne er den Wunsch der Frauen nach einer Vorsorgeuntersuchung verstehen. „Es ist verständlich, dass sie untersucht werden wollen, wenn es ihnen nicht gut geht.“ Zudem gebe es keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass die Untersuchungen Mutter und Kind schaden, sagt Hohn. „Es gibt keine Studien, die belegen, dass Ultraschall und CTG Auswirkungen auf die Gesundheit haben.“
Auch Doris Scharrel, Landesvorsitzende des Berufsverbandes der Frauenärzte, sagt, dass die Untersuchungen keinen nachweisbaren Schaden anrichten. Scharrel betont zudem, dass Ärzte Untersuchungen nur dann durchführen, wenn es einen Grund dafür gibt. „Es muss eine medizinische Indikation bestehen, die Untersuchungen durchzuführen.“
Doris Scharrel und André Hohn weisen zudem darauf hin, dass es nur einen kleinen Teil der Frauen betrifft, die angeblich zu viele Untersuchungen bekommen. Die Barmer-Analyse hat ergeben, dass 2022 deutschlandweit 84,2 Prozent aller Schwangerschaften mindestens einen Risikofaktor aufwiesen. In Schleswig-Holstein lag die Quote bei 85,4 Prozent. Bei Risikoschwangerschaften können häufigere Untersuchungen angezeigt sein. Ein möglicher Grund für die hohe Quote: Zu den Risikofaktoren zählt neben Bluthochdruck, Diabetes oder Übergewicht auch das Alter. Sind Frauen älter als 35, gelten sie bereits als Risikopatientinnen.
CN