
Mit der Übernahme der zweitgrößten Privatbank durch Italien hatte in Deutschland niemand gerechnet. Nun scheint der Schock in Berlin und Frankfurt ebenso groß wie die Hilflosigkeit.

Commerzbank-Zentrale in Frankfurt: Der Alltag geht scheinbar normal weiter, doch viele Mitarbeiter stehen unter tiefem Schock.
Gestern Abend standen die Telefonleitungen zwischen Berlin und Frankfurt buchstäblich in Flammen. Plötzlich war allen Beteiligten klar, dass der angekündigte Verkauf eines Commerzbank-Aktienpakets durch den Bund in eine unerwartete und vor allem unerwünschte Richtung ging. Doch da war es bereits zu spät.
Die deutsche Regierung sei beim Verkauf von italienischen Investmentbankern hinters Licht geführt worden, sagen mehrere Beobachter, die nicht zitiert werden möchten. Nun macht Unicredit Jagd auf die Commerzbank – das dürfte den Commerzbank-Vorstand gewaltig verärgern und Berlin in ein Dilemma stürzen.
Interesse an Commerzbank seit Jahren bekannt
Das internationale Interesse an der Commerzbank ist am Finanzmarkt und weit darüber hinaus seit vielen Jahren bekannt. Genannt wurden unter anderem Unicredit und die französische BNP Paribas. Unicredit-Chef Andrea Orcel soll im vergangenen Jahr sogar vor Kanzleramt und Finanzministerium vorgegangen sein, um das gesamte 16,49-Prozent-Bundespaket aufzukaufen, das aus der Teilverstaatlichung der Commerzbank während der Finanzkrise stammt. Er erhielt jedoch eine Abfuhr.
Ein Jahr später hat Orcel nun den von der Bundesregierung groß angekündigten Verkauf eines ersten Pakets von 4,49 Prozent genutzt, um Fakten zu schaffen. Unicredit überbot in einem offenen und neutralen Verfahren alle anderen Bieter und sicherte sich das gesamte Paket für einen mickrigen Aufschlag von knapp 5 Prozent auf den Schlusskurs vom Dienstagabend.
Da die Italiener seit dem Sommer in aller Stille Commerzbank-Aktien am Markt kauften, besitzen sie inzwischen 9,2 Prozent des Aktienkapitals (7,3 Prozent direkt und 1,9 Prozent über Derivate) und sind damit nach dem Bund (immer noch 12 Prozent) der zweitgrößte Anteilseigner.
Dieses Ergebnis hätte leicht verhindert werden können, wenn die Bundesregierung einen Blockverkauf ausgeschlossen und nur Pakete von 0,5 oder 1 Prozent verkauft hätte. Das wäre rechtlich kein Problem gewesen. Doch niemand hatte erwartet, dass Italien oder Frankreich aktiv würden. „Das war naiv“, sagen Beobachter. Als feindselig wird das Vorgehen in Berlin und Frankfurt zwar nicht wahrgenommen, als unfreundliche Tat aber allemal, obwohl Orcel sofort versuchte, die Wogen zu glätten.
Aus Orcels Sicht ist die Übernahme die beste Option
Der Italiener, der aufgrund seiner Vergangenheit bei der UBS auch in der Schweiz gut bekannt ist, hatte sich Anfang der Woche für ein Interview die Zeitung Handelsblatt ausgesucht, um sich dem deutschen Publikum zuzuwenden. Unicredit habe für die rund 9 Prozent 1,5 Milliarden Euro bezahlt, wolle ein gutes Investment tätigen und für die Stakeholder, also Aktionäre, Kunden und Mitarbeiter, deutlichen Mehrwert schaffen. Orcel ließ kaum Zweifel daran, dass er eine Übernahme als beste Option ansieht, ließ sich aber die Hintertür einer Kooperation offen.
Unicredit ist auf dem deutschen Markt bereits mit der Hypovereinsbank (HVB) präsent, die die italienische Bank vor fast 20 Jahren übernahm. Damit hat die von Unicredit initiierte Transaktion sowohl nationalen als auch internationalen Charakter.
Zugleich gab Orcel aber auch die Richtung vor: Er sieht großes Potenzial und viele Entwicklungsmöglichkeiten für das Commerzbank-Geschäft, und die polnische Commerzbank-Tochter mBank brauche für ihr Wachstum mehr Kapital. Seiner Meinung nach könne das Management noch viel mehr tun, damit die Commerzbank wachse, profitabler werde und die Bilanz robuster. Die Eigenkapitalrendite der Münchner HVB sei doppelt so hoch wie die der Frankfurter Bank.
Auf dem Papier passen Commerzbank und HVB gut zusammen. Während die Commerzbank bundesweit vertreten ist, konzentriert sich die HVB auf Süddeutschland und Hamburg, wo sie 2005 die Vereins- und Westbank übernahm. Insofern gibt es im Filialnetz deutlich weniger Überschneidungen als etwa zwischen Commerzbank und Deutscher Bank. Auch diese deutsche Fusion wurde vor Jahren erfolglos durchgespielt.
Zudem konzentriert sich die Commerzbank auf Privat- und Firmenkunden, während die HVB noch stärker im Investmentbanking aktiv ist. Orcel betont zudem die geringe Schnittmenge zwischen den beiden Instituten. Synergien gebe es vor allem in den Zentralfunktionen, in der IT und teilweise auch in den Filialen. Gewerkschaft Verdi und Arbeitnehmervertreter warnen vor einem Kahlschlag und wollen die Übernahme deshalb um jeden Preis verhindern.
Aktionäre sehen die Transaktion offenbar positiv
An der Börse wurde der Schritt von Unicredit allerdings begrüßt. Während die Aktien des Übernahmeziels Commerzbank seit der Ankündigung um 23 Prozent zulegten, legten auch die Aktien von Unicredit um 3 Prozent zu. Aktionäre sehen in der geplanten Übernahme offenbar auch einen Vorteil für die italienische Bank.
Die Finanzanalysten der Investmentbank Keefe, Bruyette & Woods schreiben, Unicredit habe seit der Übernahme für eine deutliche Kostensenkung und eine Optimierung der risikogewichteten Aktiva bei der HVB gesorgt und trotz niedrigerer Nettozinsmargen eine Profitabilität erzielt, die besser sei als die der Commerzbank. Es scheint, als habe Unicredit ein Erfolgsrezept gefunden, das auch für andere deutsche Banken funktionieren könnte.
Der Deal sei so gut wie perfekt, sagt ein ehemaliger EZB-Bankenaufseher im Hintergrundgespräch. Die Aktionäre stünden hinter der Idee und aus Sicht der Bankenaufsicht gebe es wohl keinen Grund, sie abzulehnen. Unicredit habe einen klugen Schachzug gemacht. Zudem habe die Bank mit der Übernahme der HVB viel Erfahrung auf dem deutschen Markt und bei der Integration gesammelt.
Andere Beobachter der Transaktion meinen, der Ball liege nun in Berlin. Unicredit könne die Commerzbank nicht auf feindliche Weise gegen den Willen der Regierung übernehmen.
Stimmt Berlin zu, müsste sich der Commerzbank-Vorstand dem beugen. Allerdings würde Vorstandschef Manfred Knof lieber seine eigene Strategie weiterverfolgen, wie er diese Woche am Rande einer Veranstaltung in der Hauptstadt sagte.
Der Aufsichtsrat unter Führung des ehemaligen Bundesbankpräsidenten Jens Weidmann ist verpflichtet, gegenüber allen Aktionären, zu denen inzwischen auch Unicredit gehört, neutral zu bleiben. Die Aufseher, denen aufgrund der paritätischen Besetzung in Deutschland auch viele Arbeitnehmervertreter angehören, stecken in einem ebenso großen Dilemma wie Berlin.
Ein Signal für die Zukunft der Bankenunion
Die Bundesregierung befindet sich in einem Dilemma, denn sie fordert seit Jahren Fortschritte bei der Banken- und Kapitalmarktunion in der EU, um die Effizienz des europäischen Finanzmarktes zu verbessern. Würde nun eine bislang vielfach gewünschte grenzüberschreitende Übernahme torpediert, nur weil die zweitgrößte deutsche Privatbank in die Hände der zweitgrößten italienischen Bank fällt, würden Kanzleramt und Finanzministerium erheblich an Glaubwürdigkeit verlieren.
Die Commerzbank ist gemessen an der Bilanzsumme die Nummer vier im deutschen Bankenmarkt, nach der Deutschen Bank, der genossenschaftlichen DZ Bank und der staatlichen KfW. Gemeinsam mit der Hypovereinsbank wäre sie die Nummer zwei (siehe Tabelle).
Die Stimmung war noch immer gut: Commerzbank-Chef Manfred Knof und Finanzvorstand Bettina Orlopp im Februar 2023, als das Institut die Rückkehr in den Deutschen Aktienindex (DAX) feierte.
Europa hat seit Jahren ein chronisches Überangebot an ineffizienten Banken, weil in der Krise jedes noch so unwichtige Institut gerettet wird und grenzüberschreitende Transaktionen großer Banken politisch unpopulär und operativ schwer umsetzbar erscheinen.
Hinzu kommen rechtliche Hürden für den freien Kapitalfluss und weitere nationale Gesetze, die paneuropäischen Regeln entgegenwirken und die Fragmentierung des Marktes verstärken. Dies führt zu einem Wettbewerbsnachteil gegenüber amerikanischen Banken. Während die zehn größten Institute in den Vereinigten Staaten von Amerika einen Börsenwert von über 6 Billionen Euro haben, kommen die zehn größten europäischen nur auf rund 0,5 Billionen.
Würde Berlin den Kauf der Commerzbank durch Unicredit aktiv verhindern, während Lufthansa jüngst den Alitalia-Nachfolger ITA übernahm, wäre das wohl ein vielsagendes Signal – für gleiche Bedingungen in Europa und für die Vollendung der Banken- und Kapitalmarktunion.
Mit dem Verkauf des ersten Pakets verhängte die Bundesregierung eine 90-tägige Sperre für weitere Transaktionen. Damit hat Berlin etwas Zeit, die Lage zu bewerten. Der Gesprächsbedarf zwischen den Protagonisten in der Hauptstadt und der Finanzmetropole Frankfurt bleibt allerdings weiterhin sehr hoch – und die Telefonleitungen dürften auch weiterhin heiß laufen.
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