Ärzte können Abtreibungen leichter per Pille anbieten

Ärzte können Abtreibungen leichter per Pille anbieten

Kiel. In Schleswig-Holstein haben sich im Jahr 2023 mehr Frauen gegen ein Kind entschieden als im Jahr zuvor: Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche im Norden ist nach Daten des Statistischen Landesamtes Nord erneut gestiegen.

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Insgesamt wurden in Schleswig-Holstein 3.396 Schwangerschaftsabbrüche erfasst, 150 mehr als im Jahr 2022. In diesem Jahr wurden 3.246 Schwangerschaftsabbrüche angezeigt – ein Anstieg von rund zehn Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Gründe für Schwankungen nennen die Statistiker nicht. Diese seien allerdings „nicht ungewöhnlich“, sagt Doris Scharrel, Vorsitzende des Berufsverbandes der Frauenärzte in Schleswig-Holstein. Die Gründe für diese Entwicklung ließen sich anhand der Daten nicht beurteilen.

77 Praxen in SH führen Schwangerschaftsabbrüche durch

Für die Frauenärztin aus Kronshagen bei Kiel ist allerdings klar: In Schleswig-Holstein droht eine Lücke in der ambulanten Versorgung ungewollter Schwangerschaften. Zwar gibt es landesweit 77 Praxen, doch nicht alle bieten das gesamte Spektrum an Eingriffen an. Schon heute müssen manche Patientinnen von der Westküste für einen Schwangerschaftsabbruch mit Pillen an die Ostküste fahren. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Frauenärzte, die ambulant operieren dürfen, bald aus dem Versorgungssystem ausscheiden: „In den nächsten fünf Jahren geht jeder dritte Frauenarzt in den Ruhestand“, berichtet Doris Scharrel.

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Die Gynäkologin hat sich dafür eingesetzt, dass in Schleswig-Holstein mehr Gynäkologen medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche durchführen dürfen. Dank ihrer Initiative brauchen sie für ambulante Operationen keine Approbation mehr. Nun reichen eine Facharztanerkennung und eine digitale Weiterbildung (E-Learning) der Ärztekammer Schleswig-Holstein. Gynäkologen in Schleswig-Holstein können sich seit Kurzem auf diese Weise qualifizieren.

Ein sensibles Thema und eine umstrittene Initiative, die Doris Scharrel auch Kritik einbrachte, sie fördere damit Abtreibungen. Scharrel argumentiert: „Ich bin überzeugt, dass es einen Bedarf dafür gibt.“ Zuvor war sie mehrfach nach den Voraussetzungen gefragt worden: „Auf eine Anfrage hin haben mehr als 50 Kolleginnen und Kollegen ihr Interesse bekundet.“ Scharrel wurde gehört. Die Hürden wurden gesenkt. Das bestätigte das Gesundheitsministerium in Kiel.

Die bislang für anerkannte Einrichtungen nach amtlichen Richtlinien erforderliche Erlaubnis zum „ambulanten Operieren“ werde in Schleswig-Holstein künftig nicht mehr für medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche genutzt, sagt Ministeriumssprecher Max Keldenich. Das habe die Kassenärztliche Vereinigung (KVSH) mit Zustimmung des Ministeriums und nach Anhörung des Berufsverbandes der Frauenärzte beschlossen.

Mehr Möglichkeiten zum medikamentösen Schwangerschaftsabbruch sollen mögliche Versorgungslücken in SH schließen

Die Begründung: Bei einem Schwangerschaftsabbruch per Pille müssten die hohen Anforderungen an die Genehmigung des „ambulanten Eingriffs“ aus fachlicher Sicht nicht erfüllt werden, sagt Keldenich. Er ergänzt: „Diese Entscheidung wurde getroffen, damit künftig mehr Praxen für einen medikamentösen Schwangerschaftsabbruch in Betracht kommen und eine potenzielle Versorgungslücke geschlossen wird. Das heißt aber nicht, dass medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche erleichtert würden.“ Die Versorgungsqualität bleibe gewährleistet. Auch am Eingriff selbst habe sich nichts geändert.

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Protest für Neuregelung der Abtreibung

In Kiel, Rendsburg und anderen Städten im Norden machen sich Aktivisten am internationalen „Safe Abortion Day“ am 28. September für die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen stark. Nach Angaben von Pro Familia Schleswig-Holstein wollen die Unterstützer damit für eine Neuregelung der Abtreibung in Deutschland protestieren. In Kiel ist für den 28. September (15 Uhr) eine Kundgebung am Bootshafen/Holstenstraße geplant.

Die Organisation der Schulung liegt laut Scharrel in der Verantwortung der KVSH. Innerhalb kurzer Zeit habe es über 100 Zugriffe auf den E-Learning-Kurs gegeben. Mehr als ein Dutzend Gynäkologinnen und Gynäkologinnen seien mittlerweile qualifiziert.

Dies mache sie zuversichtlich, berichtet die Gynäkologin aus dem Kreis Rendsburg-Eckernförde. „Von einer Verbesserung der Versorgung können wir aber nicht sprechen.“ Die Entwicklung sei noch nicht abgeschlossen. „Uns geht es also eher darum, dass die Zahl der Gynäkologen stabil bleibt.“

Jeder dritte Schwangerschaftsabbruch in SH wird ambulant in Kliniken durchgeführt

Medizinische Probleme sind in Schleswig-Holstein nur selten der Grund für einen Schwangerschaftsabbruch. Die meisten Abbrüche werden im Land von Frauenärzten nach der sogenannten Konsultationsregelung durchgeführt. Etwa jeder dritte Schwangerschaftsabbruch in Schleswig-Holstein findet ambulant in Kliniken statt. Rund zwei Drittel der Fälle werden von niedergelassenen Fachärzten behandelt.

Saugmethode oder Abtreibungspille: Wer sich in einem Schwangerschaftskonflikt für eine Abtreibung entscheidet, kann in Deutschland zwischen dem instrumentellen und dem ärztlichen Verfahren wählen. Etwa die Hälfte der Abtreibungen im Land wird in einer Operation durchgeführt, die andere Hälfte mithilfe von Tabletten, die zu einer Fehlgeburt führen. Die WHO empfehle die schonendere ärztliche Variante, auch im Hinblick auf späteren Kinderwunsch und Frühgeburten, erklärt Scharrel. „Für viele Frauen ist es auch wichtig, dass sie das bewusst erleben, um es besser zu verarbeiten.“

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Und noch etwas ist ihr wichtig: „Alle, die eine Frau mit einer ungewollten Schwangerschaft betreuen – von der Frauenarztpraxis bis zur Krankenkasse – sollten Frauen behandeln, ohne mit dem Finger auf sie zu zeigen“, betont sie. „Mein Motto lautet: Egal, wie du dich entscheidest – ich unterstütze dich.“

CN

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