In jeder Familie gibt es Konflikte. Was aber, wenn der gegenseitige Respekt verloren geht? Wenn ironische Übertreibungen oder scharfer Sarkasmus zum Alltag gehören, ständiges Unterbrechen, Nachahmen oder Ignorieren, Verleumdung, offener Spott? Die Folgen gegenseitiger Respektlosigkeit können für Beziehungen verheerend sein. Denn wenn wir uns respektlos fühlen und unser Stolz verletzt wird, macht uns das wütend. Die Konfliktbereitschaft steigt dann bei vielen Menschen stark an. Andere distanzieren sich innerlich, machen sich unverwundbar und ziehen sich vom Kontakt zurück.
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Aufgrund des Gefühls der gegenseitigen Missachtung sprechen Menschen jahrzehntelang nicht mehr miteinander, Freundschaften gehen in die Brüche, Familien zerbrechen. Wer sich respektlos fühlt, gibt nur ungern nach. Denn allein nachzugeben kann unserem Selbstwertgefühl noch mehr schaden, denn es geht nicht nur darum, Recht zu haben, sondern auch um Stolz, Würde und Selbstachtung.
Aufgrund des Gefühls der Respektlosigkeit ziehen sich Kinder zurück.
Scham ist kein gutes Erziehungsinstrument
Erwachsene unterschätzen, wie sensibel die Gefühlswelt von Kindern auf Verletzungen ihres Selbstwertgefühls reagiert und wie schwer es für viele Kinder ist, mit Respektlosigkeit umzugehen. Wie leicht sagen viele Eltern Dinge wie „Du solltest dich für dieses Verhalten schämen“ oder „Wie oft muss ich mich wiederholen, bist du taub?“ Den Kindern wird das Sprechen verboten, sie werden vom Tisch weggeschickt, in den Raum verbannt, damit sie „über das nachdenken“, was sie getan haben. Solche Strafen können Kinder sehr beschämen.
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Scham ist kein gutes oder wirksames Erziehungsmittel – auch wenn es Kinder vorübergehend zum Schweigen bringen kann. Wer sich schämt und respektlos fühlt, verlässt den Kontakt und spricht selten über belastende Gefühle. Aufgrund des Gefühls der Respektlosigkeit ziehen sich Kinder zurück. Sie sagen: „Ist mir egal!“ Sie reagieren nicht auf erzieherische Konsequenzen und machen sich scheinbar unverwundbar: „Ich wollte sowieso keinen Nachtisch.“

„Eltern können Fehler machen und trotzdem gute Eltern sein.“
In Familien muss nicht alles perfekt laufen, damit Kinder glücklich sind, sagt Erziehungsexperte Herbert Renz-Polster. Im Interview erklärt er, warum seine Kindheit trotz eines großen Vertrauensbruchs gut war – und warum ein gutes Leben auch nach einer schwierigen Beziehung zu seinen Eltern möglich ist.
Eine sanftere Haltung lohnt sich
Es überrascht mich nicht, dass Spott, Respektlosigkeit und gegenseitige Missachtung innerhalb der Familie so häufig vorkommen und in einem fremden Umfeld seltener. Fremden gegenüber verhalten wir uns oft höflicher als zu Hause. Deshalb kann es hilfreich sein, das eigene Kind, den Partner oder den Ehemann hin und wieder mit fremden Augen zu sehen.
Wie würde ich einem Besuchskind sagen, dass es seine Schuhe im Flur wegstellen soll? Wie würde ich dem Nachbarskind bei seinen Mathe-Hausaufgaben helfen? Wie würde ich einem erwachsenen Gast sagen, dass er zu viel auf einmal sagt und ich nicht mithalten kann? Wahrscheinlich mit etwas mehr Sanftmut und Geduld. Wahrscheinlich ohne spöttische Kommentare.
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Diese neue, sanftere Einstellung wird innerhalb der ersten Woche wahrscheinlich nicht mit einem ruhigeren, respektvolleren Verhalten Ihres Kindes belohnt. Nach drei Monaten werden Sie jedoch feststellen, dass Ihr Kind die neue Höflichkeit von den wichtigsten Menschen in seinem Leben kopiert – von Ihnen.
Oliver Dierssen ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie in Gehrden. Er ist als Autor, als Podcaster und in den sozialen Medien für Kinder, Jugendliche und Eltern aktiv. Sein neues Buch „Liebe Kinder, auch wenn es schwierig wird“ erscheint am 19. Februar 2025 im Goldmann-Verlag.
https://www.kn-online.de/familie/missachtung-im-streit-wenn-eltern-das-selbstwertgefuehl-von-kindern-verletzen-DO3L6JJ2MREFRLM52N5BHYH44Y.html