Verschobene Jahreszeiten: Was der sommerliche Herbstbeginn für den Winter bedeutet

Verschobene Jahreszeiten: Was der sommerliche Herbstbeginn für den Winter bedeutet

Verschobene Jahreszeiten

Was der sommerliche Herbstanfang für den Winter bedeutet



Verschobene Jahreszeiten: Was der sommerliche Herbstbeginn für den Winter bedeutet

picture alliance/dpa/M.Skolimowska

Audio: rbb|24 | 23.09.2024 | O-Ton aus dem Gespräch mit Frank Kreienkamp | Bild: picture alliance/dpa/M.Skolimowska

Zum Herbstanfang werden in Berlin und Brandenburg am Sonntag Temperaturen von 23 Grad und Sonnenschein erwartet. Meteorologe Frank Kreienkamp erklärt, warum ein warmer Herbststart zur Normalität geworden ist und was das für den Winter bedeutet.

rbb|24: Zum Herbstanfang am Sonntag werden für unsere Verhältnisse kühle 23 Grad erwartet. Ist das ungewöhnlich warm?

Frank Kreienkamp: Eigentlich ist es momentan für die Jahreszeit, in der wir uns befinden, relativ warm. Das ist in den letzten Jahren aber normal. Es kann aber auch sein, dass es zu dieser Zeit eine deutlich kühlere Phase gibt. Das war erst vor wenigen Tagen in Berlin und Brandenburg der Fall.

Zur Person

DWD

DWD
Frank Kreienkamp

Dr. Frank Kreienkamp ist Leiter des Regionalen Klimabüros Potsdam des Deutschen Wetterdienstes (DWD).

Wie geht es nun weiter? Bleibt uns das schöne, fast sommerliche Herbstwetter noch eine Weile erhalten?

Die aktuelle Wettervorhersage sagt noch ein paar sonnige Tage voraus. Aber nächste Woche wird es etwas kühler und bewölkter. Für nächsten Donnerstag sagt die Wettervorhersage aktuell Regen voraus.

Auf Ihrer Webseite (dwd.de) gibt es einen Indikator für „phänologische Jahreszeiten“. Dort sieht man deutlich, dass der sogenannte Vorfrühling Anfang 2024 schon deutlich früher war als üblich. Und das hat sich den ganzen Frühling und Sommer über fortgesetzt. Kommen die Jahreszeiten jetzt immer früher? Ist früher das neue Normal?

Ja. Denn durch den Klimawandel haben wir höhere Temperaturen und dadurch beginnen die Pflanzen früher in ihre Phänophase einzutreten. Das heißt, sie sprießen früher, die Blüten und damit auch die Früchte kommen früher und nach einer gewissen Zeit beginnen auch die Blätter früher ihre Farbe zu ändern. Denn sie können nicht ewig an den Bäumen bleiben.

Das heißt, die phänologischen Jahreszeiten werden durch den Zustand der Pflanzen bestimmt. Wenn nun alles viel früher passiert, müsste dann irgendwann der kalendarische und meteorologische Beginn der Jahreszeiten offiziell angepasst werden?

Die Einteilung der Jahreszeiten anhand von Kalendern oder Wetterkalendern ist eine sehr künstliche Sache und speziell für unsere Region definiert. Hier sagen wir, der Winter soll weiß sein und es soll Frost geben. In anderen Regionen der Welt sieht das ganz anders aus. Selbst in Italien gibt es im Winter viel weniger Frosttage. Und Schnee ist in vielen Regionen des Landes nicht typisch. Aus meiner Sicht sollte daran nichts geändert werden.

Was die Verschiebungen der Jahreszeiten aus phänologischer Sicht betrifft: Wird sich dieser das ganze Jahr über fortsetzen? Wird der Winter früher kommen? Oder wird es immer weniger Winter geben?

Der Winter kann auch früher kommen. Phänologisch gesehen beginnt der Winter mit dem Laubfall der Stieleiche. Es kann sein, dass die Blätter in diesem Jahr früher fallen. Das war in den vergangenen Jahren auch schon so. Es gibt aber auch Jahre, in denen das später passiert. Natürlich ist es insgesamt viel länger wärmer. Das heißt, die Ursache für den Laubfall kann auch später kommen – bei bestimmten Bäumen ist dafür Frost notwendig. Und der hat sich tatsächlich auf später im Jahr verschoben.

Aufgrund des Klimawandels haben wir höhere Temperaturen und infolgedessen beginnen Pflanzen früher in ihre Phänophase einzutreten

Frank Kreienkamp

Wie wirkt sich der Klimawandel dort aus, woher kommt die Hitze, die dafür sorgt, dass alles früher im Jahr beginnt?

Die Erdatmosphäre funktioniert wie ein Gewächshaus, so wie wir es im Garten als Gewächshaus kennen. Wenn Energie als Strahlung von der Sonne in die Atmosphäre gelangt, wirken bestimmte Bestandteile der Atmosphäre wie Glasplatten. Das bedeutet, dass die Strahlung von der Erde, die zurück in den Weltraum gelangen soll, von der Atmosphäre blockiert wird.

Weil wir Menschen die Zusammensetzung der Atmosphäre verändert haben – etwa indem wir fossilen Kohlenstoff verbrannt und mehr CO2 in die Atmosphäre gepumpt haben – ist die gläserne Decke sozusagen dichter. Das heißt, mehr Wärme, mehr Energie, bleibt im Treibhaus. Von der Energie, die übrig bleibt, gehen 90 Prozent ins Meer. Nur zehn Prozent werden zur Erwärmung der Atmosphäre genutzt.

Wird sich dies weiter ändern?

In der Phänologie gibt es mehrere Punkte, die man sich zum Frühlingsbeginn überlegen muss. Da wären zum einen die Temperatur und die Sonneneinstrahlung. Mit fortschreitendem Klimawandel wird natürlich alles früher passieren. Manche Pflanzen brauchen aber auch gewisse Ruhephasen oder Frosteinwirkung. Das heißt, irgendwann ist das alles vorbei. Man kann nicht sagen, am 1. Januar beginnt der Frühling und am 31. Dezember ist der Herbst vorbei. Es wird noch gewisse Phasen geben, in denen es keine Blätter gibt, bevor die Pflanzen wieder anfangen zu wachsen. Dazu braucht es auch eine gewisse Menge an Sonnenlicht. Und wir sind hier im Winter relativ weit von der Sonne weg. Es reicht also nicht aus, dass gewisse Pflanzenphasen beginnen können.

Ist die Situation in Berlin und Brandenburg im Vergleich zu Deutschland besonders?

Aus deutscher Sicht liegen wir nah am Kontinentalrand und relativ weit weg vom Meer – dem Atlantik –, das uns beeinflusst. Wir haben also auch ohne Klimawandel von vornherein andere klimatologische Voraussetzungen. Brandenburg ist meist trockener als die meisten anderen Regionen Deutschlands. Und wegen der Kontinentalität ist es hier im Winter oft kühler und im Sommer wärmer. Wenn wir durch den Klimawandel zusätzlich wärmer werdende Ozeane haben, bedeutet das, dass es in den westlichen Bundesländern, die näher am Atlantik liegen, im Winter teilweise nicht so kalt ist. Das liegt daran, dass dort die warme Luft vom Meer ankommt.

Brandenburg ist auch die Region im Nordosten Deutschlands, die über sehr lange Zeiträume sehr, sehr trocken sein kann. Und der Mangel an Niederschlägen kann auch Probleme mit den Pflanzenphasen verursachen. Durch die extreme Trockenheit können sie einfach nicht wachsen. Hinzu kommt – und das haben wir in Ostdeutschland und anderen Regionen in diesem Jahr erlebt – dass die Pflanzen durch die frühere Blüte näher an dem Gebiet sind, wo es noch kalte Nächte mit Frostgefahr geben kann. Das kann zu Ernteausfällen führen.

Die klimatische Situation hat auch dazu geführt, dass einige Landwirte zwei Ernten einfahren konnten. Ich kenne einen Landwirt, der Wintergetreide gesät hat, das sehr früh reif war. Als er es erntete, war es noch früh genug im Jahr, dass er noch Sommergetreide anpflanzen und ernten konnte.

Vielen Dank für das Interview.

Das Interview führte Sabine Priess


Die mobile Version verlassen