Über zu wenig Arbeit kann sich Matthias Miersch nicht beschweren; Derzeit lernt er alle Risiken und Nebenwirkungen kennen, die das Amt eines SPD-Generalsekretärs in Zeiten der Polarisierung und Unsicherheit mit sich bringt. Einen Teil der Aufregung in der Kanzlerpartei hat Miersch durch Aussagen über Gerhard Schröder selbst mit ausgelöst, der andere Teil ist in Potsdam zu verorten.
Miersch hatte in einem Interview mit dem Stern Auf die Frage, ob in der deutschen Sozialdemokratie Platz für Schröder sein sollte, antwortete er: „Ja. Andernfalls hätte Gerhard Schröder aus der Partei ausgeschlossen werden müssen.“ Und er argumentierte streng juristisch: In beiden Schlichtungsverfahren gegen den Altkanzler sei „bescheinigt worden, dass er sich nicht parteischädigend verhalten hat.“
Miersch sagte aber auch: „Ich kann seine Lebensleistung insgesamt, insbesondere als Vorsitzender des Bezirks Hannover, schätzen, auch wenn ich Putin und den Angriff auf die Ukraine grundsätzlich anders sehe.“
Seit Kurzem darf Schröder wieder in der ersten Reihe sitzen
Nun steht Schröder auch für genau den Kurs, der trotz allem auf den Umgang mit Russland setzt und in der SPD weitere Anhänger hat, der aber vor allem für die AfD und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) zum Mobilisierungsthema wurde. Zuletzt konnte Schröder beim Tag der Deutschen Einheit in Schwerin erneut in der ersten Reihe sitzen – Gastgeberin war Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (ebenfalls SPD), beide kennen sich aufgrund des Nord-Stream-Projekts gut – beide unterstützten die Erdgaspipelines a.
Doch dass Schröder nun gemeinsam mit Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán an einem „geopolitischen Abend“ teilnehmen wird, den das Magazin Swiss an diesem Donnerstag veranstaltet Weltwoche auftritt, was auch seine Befürworter in neue Erklärungsschwierigkeiten bringt. Offiziell geht es darum, darüber nachzudenken, wie ein Weg zum Frieden in der Ukraine aussehen könnte – doch beide Redner eint die enge Verbundenheit zu Moskau. Das sagte der Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner, der ebenfalls eine Anerkennung der Leistungen Schröders als Kanzler fordert Süddeutsche ZeitungMit Orbán könne es für Sozialdemokraten keine Gemeinsamkeiten geben, er sei „der Verfechter der illiberalen Demokratie“. Schröder sei aber auch „schon lange im Ruhestand und habe keine politische Verantwortung für die SPD“.
Im anderen Teil, der in der SPD rege diskutiert wird und der auch mit all dem zusammenhängt, geht es um die Einigung für die Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und BSW in Brandenburg. Mit Blick auf die Ukraine heißt es: „Der Krieg wird nicht durch weitere Waffenlieferungen beendet werden können.“ Und auch die geplante Stationierung amerikanischer Mittelstrecken- und Hyperschallraketen „auf deutschem Boden“ sieht sie als kritisch an. Es brauche konkrete Angebote, „um zur Abrüstung und Rüstungskontrolle zurückzukehren“. Der SPD-Politiker Michael Roth interpretierte dies als einen doppelten Bruch mit der Politik von Bundeskanzler Olaf Scholz. Dass Wagenknecht das Papier lobte, nicht aber die „Friedensformel“ von CDU, SPD und BSW in Thüringen, wurde ebenfalls kritisch zur Kenntnis genommen – in dem Thüringer Papier betonten die Parteien auch ihre Differenzen in der Frage der Waffenlieferungen.
In Brandenburg gibt es Bemühungen, dies zu klären
Die Brandenburger SPD ist daher an einer Einordnung interessiert. Generalsekretär David Kolesnyk sagt, man habe sich dagegen entschieden, unterschiedliche Positionen in einem gemeinsamen Papier festzuhalten. Doch die Formulierung, dass der Krieg nicht durch weitere Waffenlieferungen beendet werden könne, bedeutet nicht, dass die SPD in Brandenburg gegen weitere Waffenlieferungen ist.
In einer Botschaft an die Mitglieder wurde versucht klarzustellen: Es bestehe „eine moralische Verpflichtung, die Ukraine zu unterstützen – auch mit Waffen.“ Gleichzeitig muss alles dafür getan werden, dass sich der Konflikt nicht ausweitet.“ Um den Krieg zu beenden und dauerhaften Frieden zu erreichen, „erfordern sich fortlaufende diplomatische Bemühungen.“ Das Völkerrecht müsse respektiert werden und die Ukraine „hat zu Recht das Recht darauf, dass ihre Grenzen respektiert werden“.
Ministerpräsident Dietmar Woidke betonte nach der Wahl, dass diese Fragen ohnehin Bundessache seien und bleiben würden. Auch das Willy-Brandt-Haus versucht, Ruhe zu bewahren. „Die Vereinbarungen in Brandenburg haben keine Auswirkungen auf die Bundesebene“, betont ein Sprecher. Als es um die Unterstützung der Ukraine ging, machte die Kanzlerin nach der Landtagswahl mehrfach deutlich, dass die Bundesregierung die Ukraine weiterhin unterstützen werde – und stets darauf achten werde, dass Deutschland nicht Kriegspartei werde.
Prominente SPD-Mitglieder verlassen die Partei
Doch die vergangenen Tage haben noch Konsequenzen. Der Historiker Jan C. Behrends, Osteuropa-Professor an der Viadrina-Universität in Frankfurt/Oder, der in einem Brief prominenter Wissenschaftler aus der SPD-Partei eine deutlich stärkere militärische Unterstützung forderte, befürchtet in ähnlicher Weise einen starken Rückschlag der SPD in der Russlandpolitik an der schwindenden Unterstützung für die Ukraine und den Wahlerfolgen der russlandnahen AfD und BSW.
Behrends weist darauf hin, wer derzeit die SPD verlässt. Der Historiker und Verleger Ernst Piper kündigte nach 54 Jahren seinen Abschied an – wegen seines Zugeständnisses an die Positionen des BSW in Brandenburg und Mierschs Äußerungen über Schröder, die er als Rehabilitierungsversuch ansieht. Auch der Historiker Karl Adam hat seinen Rücktritt angekündigt. Er schreibt zum Abschied, dass Parteichef Lars Klingbeil nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Jahr 2022 eine Wende in der Außenpolitik einleiten wollte. „Aber das alles ist längst verflogen. Das Problem ist erledigt.“ Der „Peace“-Europawahlkampf und andere Entwicklungen zeigten deutlich, „wohin die Reise in Zukunft (wieder) gehen wird: ins Gestern, ins Unbestimmte, ins Unausgegorene, halb Stille – dorthin, wo man es vom BSW erwartet.“ Und AfD werdet ihr gelobt.“
Nun weist vor allem Klingbeil immer wieder den Eindruck eines Kurswechsels zurück – und letztlich herrscht in der SPD das gleiche Meinungsspektrum wie draußen. Auf eine SZ-Anfrage, ob es derzeit eine Häufung von Rücktritten gebe, betont die SPD: „Das stimmt nicht.“ Die CDU vermutet, auch wegen der Ampelkrise, dass sie nach längerer Zeit die SPD bei der Mitgliederzahl überholt haben könnte. Doch der Beschluss lässt noch auf sich warten: „Jeden Januar veröffentlichen wir unsere Mitgliederzahlen zum 31. Dezember. des Vorjahres“, heißt es in der SPD-Zentrale.
https://www.sueddeutsche.de/politik/spd-russland-schroeder-wagenknecht-lux.WJso4hvrFGeXTW35pisqxw