So funktionieren Grenzkontrollen an der französischen Grenze

So funktionieren Grenzkontrollen an der französischen Grenze

Durch den strömenden Regen kündigt das leuchtende Grün die Ankunft des Flixbus an, noch bevor er Deutschland erreicht. Über die Europabrücke nähert sich der Bus der Grenzpolizei, die bereits am Fuß der Brücke auf ihn wartet. Der Busfahrer scheint nicht überrascht zu sein, als Luca Sellman die Polizeikelle hebt. Er fährt ein und öffnet die Fahrertür. Sellman und seine Kollegin Francesca Allgeier steigen in den Bus. Der Busfahrer sagt, er komme aus Zürich. Linie 108. Endstation Frankfurt Hauptbahnhof. Neun Passagiere.

Einer von ihnen kommt aus Madagaskar und sitzt vorne. Sellman fragt nach seinem Reisepass, öffnet ihn und sieht einen französischen Einreisestempel. „Wann verlassen Sie den Schengen-Raum wieder?“ er fragt. Er spreche kaum Deutsch, er spreche besser Französisch, antwortet der Passagier. Sellman holt sein Handy heraus und öffnet ein Übersetzungsprogramm. Währenddessen überprüft Allgeier die Pässe der verbliebenen Passagiere. In der ersten Reihe hält der Beifahrer Sellman sein Handy hin; Auf dem Display leuchtet das Ticket für seinen Rückflug auf. Sellman nickt und dankt ihm. Drei Minuten später stehen die beiden Polizisten wieder im Regen.

Einer der meistgenutzten Grenzübergänge der Region

Allgeier und Sellman gehören der Bundespolizeidirektion Stuttgart, der Inspektion Offenburg an. Der Zuständigkeitsbereich, in dem die Inspektion seit dem 16. September wieder Einreisekontrollen durchführt, erstreckt sich über eine 100 Kilometer lange Grenze zu Frankreich. Wann welche Streife wo im Einsatz ist, verrät die Bundespolizei nicht. Doch in Kehl, der Grenzstadt, die durch die Europabrücke von Straßburg getrennt ist, sind fast immer Grenzsoldaten im Einsatz.

Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen befindet sich direkt am Fuße der Europabrücke eine Bundespolizeistation. Andererseits führen neben der Europabrücke zwei weitere Brücken für Fußgänger, Radfahrer und Züge über den Rhein nach Deutschland. Der Übergang ist damit einer der meistgenutzten im Grenzgebiet.

Allerdings sind auf der Europabrücke vorerst keine Reisebusse mehr zu sehen. Also hinterlassen Allgeier und Sellman ihren Posten auf der Straße; Hinter ihnen öffnet sich die Tür eines Mannschaftswagens. Es gibt Bundespolizisten aus anderen Bundesländern, sogenannte Hilfskräfte, die wöchentlich an den Grenzübergängen aushelfen. Sie übernehmen die Kontrolle am Fuße der Europabrücke, während Allgeier und Sellman in die Stadt zur Straßenbahnhaltestelle laufen. Die Linie D kommt in zehn Minuten von Straßburg aus.

Die Polizei beobachtet weitere illegale Einreisen mit der Bahn

„Die meisten Erkenntnisse haben wir nicht im Individualverkehr, sondern in anderen Verkehrsmitteln“, sagt die Sprecherin der Bundespolizeiinspektion Offenburg, Jana Disch, die ihre Kollegen heute Morgen auf dem Weg zur Straßenbahnhaltestelle begleitet. Die Polizei beobachtet immer seltener illegale Einfahrten mit Reisebussen. Disch vermutet, dass öffentliche Verkehrsmittel auch wegen der günstigeren Kosten für den illegalen Grenzübertritt genutzt werden.

Jana Disch, Pressesprecherin der Bundespolizeiinspektion Offenburg.Bundespolizeiinspektion Offenburg

In den ersten zwei Wochen nach dem 16. September wurden im Zuständigkeitsbereich Offenburg, also an der knapp 100 Kilometer langen baden-württembergischen Grenze zu Frankreich, 247 unerlaubte Einreisen festgestellt. In 141 Fällen wurde die Einreise nach Deutschland vor dem Grenzübertritt verweigert. Das sind täglich fast zehn Absagen nach Frankreich. „Eigentlich passiert jeden Tag etwas“, sagt Disch.

Die Straßenbahn rollt zum Bahnsteig. Für Pendler ist es bereits zu spät, aber einige Passagiere steigen trotzdem aus. Allgeier und Sellman beobachten sie und einigen sich darauf, wen sie kontrollieren wollen. Ihre Entscheidung sollte auch auf der Situation des unbefugten Zutritts basieren. Im Wesentlichen bestehe das Lagebild aus Erkenntnissen, die sich über die Jahre angesammelt hätten, sagt Disch. Dazu gehören unter anderem Daten zu Migrationsrouten und häufig genutzten Verkehrsknotenpunkten sowie Meldungen aus der grenzpolizeilichen Arbeit.

„Manche klingeln sogar direkt bei uns im Büro und beantragen Asyl.“

In der Praxis kommt jedoch manchmal jemand der Auswahl von Beamten zuvor. Eine Frau geht auf die beiden Bundespolizisten zu und zeigt ungefragt ihren Personalausweis. Sie wolle Zigaretten kaufen, sagt sie trotzig auf Französisch. Allgeier nimmt ihren Personalausweis und schaut auf das Ablaufdatum. Dann hält sie ihr Diensthandy an ihren Ausweis: Ein installiertes Suchsystem prüft, ob der Inhaber des Ausweises gesucht wird. Das sei auch Teil jeder Kontrolle an den Grenzen, sagt der Beamte. Wenige Sekunden später ist die Suche abgeschlossen. Allgeier gibt der Frau ihren Ausweis zurück.

Bevor die nächste Straßenbahn einfährt, laufen die beiden Bundespolizisten zum Bahnhof, der heute Morgen verlassen wirkt. „Es geht auch darum, Präsenz zu zeigen“, sagt Sellman auf dem Weg zu Gleis drei. Bis der nächste Regionalzug aus Straßburg eintrifft, wird es noch einmal 20 Minuten dauern.

Nahe der Grenze: Das Bundespolizeiamt Kehl liegt direkt am Fuße der Europabrücke.Reuters

Eine Großrazzia vor einigen Wochen zeigt, dass es sich lohnen kann, dass die Polizei aussteigende Fahrgäste kontrolliert. 16 Syrer kamen mit dem Zug aus Straßburg ohne Reisepass oder Aufenthaltserlaubnis. Sie alle beantragten Asyl. In solchen Fällen bringe die Polizei sie zunächst zu einem Einwanderungsgespräch ins Büro, sagt Disch. „Einige klingeln auch direkt bei uns im Büro und beantragen Asyl.“ Die am Kehler Bahnhof abgeholten Syrer wurden später in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Karlsruhe untergebracht.

Zur Überprüfung Ihres Aufenthaltsstatus genügt ein Fingerabdruck

Pünktlich zur nächsten Straßenbahn steht die Bundespolizei wieder an der Haltestelle vor dem Bahnhof. Als ein Mann in den Dreißigern aussteigt, kommt Sellman auf ihn zu. Er hat keinen Reisepass dabei. Er zeigt den beiden Polizisten ein Foto eines Dokuments auf seinem Handy. Er stammt aus dem Jemen und hat in Deutschland Asyl beantragt. Die dafür ausgestellte sogenannte Aufenthaltserlaubnis berechtigt ihn jedoch nicht zu Reisen in andere Schengen-Staaten. Mit der Wiedereinreise nach Deutschland habe er daher eine Straftat begangen, sagt Disch. Und es gibt noch ein weiteres Problem: Die Aufenthaltserlaubnis ist abgelaufen. Sellman gibt dem Mann sein Handy zurück und fordert ihn dann auf, ihnen ins Büro zu folgen.

Sein Rucksack wird im Vorraum beschlagnahmt. „Ich werde es durchsuchen, du bekommst später alles zurück“, sagt Sellman. Er wohne in München, antwortet der Mann in gebrochenem Deutsch. Er leert seine Taschen, legt Zigaretten, Feuerzeug und Kopfhörer neben sich auf die Bank. Anschließend wird er gebeten, seinen Daumen auf einen Scanner zu legen. Sein Fingerabdruck wird automatisch an zwei Beamte übermittelt, die hinter einer Glasscheibe sitzen. Nach einem Datenabgleich im Ausländerzentralregister stellen sie fest, dass kein aktueller Aufenthaltstitel vorliegt, aber eine Abschiebung droht.

Ich warte auf einen Rückruf von der Einwanderungsbehörde

Der Mann sei tatsächlich ausreisepflichtig, sagt Disch. Doch ob die Bundespolizei ihn zurückweisen, an die zuständige Ausländerbehörde verweisen oder ihn in Gewahrsam halten darf, bis die Ausländerbehörde Abschiebungshaft beantragt hat, hängt aber auch davon ab, ob die Abschiebeandrohung tatsächlich zugestellt wurde. Deshalb rufen die Beamten die zuständige Einwanderungsbehörde an. Niemand geht ran. Das komme häufiger vor, sagt Dieter Hutt, Pressesprecher der Bundespolizeiinspektion Offenburg. Grundsätzlich sollte jede Patrouille ihre Fälle abschließend unterstützen.

Also warten Allgeier und Sellman im Büro; Sie wollen den Behörden eine Stunde Zeit geben, um zurückzurufen. Der nächste Verfahrensschritt ist in beiden Fällen derselbe: Die Polizei macht Fotos und nimmt Fingerabdrücke, führt also eine sogenannte Personenkontrolle durch. Doch die Rechtsgrundlage sei eine andere, sagt Disch. Das muss erst einmal geklärt werden. Mittlerweile sitzt der betreffende Mann in einer Arrestzelle eine Etage tiefer.

Enge Zusammenarbeit mit der französischen Polizei

In den Fluren über ihm kommen und gehen Hilfskräfte; es ist Mittagszeit. „Möchtest du auch einen Kaffee?“ hallt durch den Flur. „Der französische ist zu stark für mich“, ruft Hutt zurück. Die Bundespolizisten teilen sich ihre Büros mit ihren französischen Kollegen. Seit drei Jahren führen deutsch-französische Einsatzeinheiten gemeinsame Patrouillen im Grenzgebiet um Kehl durch. Diese Kontrollen konzentrieren sich auch auf die unbefugte Migration.

Auch bei anlassbezogenen Grenzkontrollen unterstützen sich die Polizeieinheiten gegenseitig: Während der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland half die französische Polizei bei Einreisekontrollen. Das Hauptziel sei gewesen, Hooligans und Randalierer auf dem Weg zum Stadion aufzuhalten, sagt Hutt.

Kurz darauf kam es zu einem Seitenwechsel: Deutsche und französische Polizisten kontrollierten Menschen, die auf dem Weg nach Frankreich zu den Olympischen Spielen in Paris ankamen. Dann kamen die Paralympischen Spiele, bei denen die Kontrollen an der Grenze fortgesetzt wurden. Nahtlos folgten die von Deutschland eingeführten Grenzkontrollen.

„Der Fokus verschiebt sich einfach“, sagt Hutt. Während früher der Fokus eher auf der Ausreise lag, geht es nun vor allem um die Einreise. Für Allgeier und Sellman hat sich nicht viel geändert, seit das Bundesinnenministerium Mitte September Grenzkontrollen angeordnet hat. Das plötzliche öffentliche Interesse an ihrer Arbeit überrascht sie immer noch. Auf die Frage, was sie vor dem 16. September getan hätten, sagte Allgeier: „Eigentlich das Gleiche.“

Nach der Identifizierung wird der Mann freigelassen

Es ist schon 14 Uhr und das Büro wartet immer noch auf einen Rückruf der Einwanderungsbehörde. Eine halbe Stunde später entscheidet der Dienstgruppenleiter: Der Mann wird vorerst freigelassen und soll sich in München melden. Allgeier und Sellman holen ihn aus der Haftzelle ab und bringen ihn zur Identifizierungsverarbeitung in einen Raum mit einer Fotowand, einem Passscanner und einem digitalen Fingerabdruckleser. Den Anweisungen der Polizisten folgt der Mann weitgehend schweigend. Er fragt nur einmal nach seinem Handy. „Es ist im Rucksack und er bekommt es hinterher zurück“, sagt Sellman.

Zurück im Vorraum reicht ein Beamter dem Mann schließlich seinen Rucksack. Er wird angewiesen, sich bei der zuständigen Ausländerbehörde in München zu melden. Dann darf er den Bahnhof verlassen. Für die Bundespolizei ist der Fall nun abgeschlossen. Kurz darauf folgen ihm Allgeier und Sellman nach draußen, zurück in den Regen, zurück zur Grenze.

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