Scholz und Woidke: Eine zerrüttete Beziehung

Scholz und Woidke: Eine zerrüttete Beziehung

Die Brandenburger SPD hatte Ende August zu einem Sommerfest nach Potsdam eingeladen, der größten SPD-Veranstaltung vor der Landtagswahl an diesem Sonntag. Wer der Einladung folgte, weil er einer Rede von Olaf Scholz beiwohnen wollte, wartete vergebens.

Zwei Tage vor dem Fest hieß es, die Kanzlerin werde nicht sprechen. Angeblich aus terminlichen Gründen. Scholz werde kommen, wenn auch später, hieß es dann.

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Wäre es nach Dietmar Woidke gegangen, wäre Scholz gar nicht auf der Party erschienen. War genau das die Botschaft, die Scholz rüberbrachte? War es zu viel für Scholz, eine Provokation, die er nicht hinnehmen wollte? Einiges spricht dafür. Olaf Scholz jedenfalls ließ sich das Sommerfest nicht entgehen. Scholz kam, sah – und wahrte Distanz. Stets umgeben von einer großen Menschenmenge, machte er mit seinen Mitstreitern ein Selfie nach dem anderen. Und er achtete darauf, stets Abstand zu Woidke zu wahren. Und umgekehrt.

Keine Reaktion, keine Antwort

Herr Scholz, was sagen Sie zur Lage in Brandenburg? „Dietmar Woidke bleibt Ministerpräsident. Und er ist ein guter Mann. Das stimmt!“ Und die Irritationen zwischen Ihnen beiden? Keine Reaktion. Keine Antwort. Das nächste Selfie.

Erst eine Dreiviertelstunde nach seiner Ankunft begrüßten sich Scholz und Woidke. Schon nach zwei Minuten trennten sich ihre Wege. Auf das gemeinsame Foto hätte Woidke wohl lieber verzichtet. Wie sehr Scholz die Achillesferse der brandenburgischen SPD ist, zeigte eine Guerilla-Aktion der Jungen Union am Straßenrand zum Sommerfest: Ein großformatiges Plakat, das denen der SPD täuschend ähnlich sah: „Wer Woidke wählt, wählt Scholz.“

Die Kanzlerin als unerwünschte Person

Dietmar Woidke hatte die Bundeskanzlerin bereits vor Wochen in seinem Brandenburger Wahlkampf zur persona non grata erklärt. „Nein“, antwortete Woidke im August auf die Frage des Handelsblatts, ob er gemeinsame Wahlkampfauftritte mit der Bundeskanzlerin plane: „Die Brandenburger SPD hatte immer das Glück, sich auf eine starke eigene Führungsriege verlassen zu können.“

Die Rechnung lag auf der Hand, wie alle Umfragen zeigen – die Landes-SPD deutlich über den Werten der BundesparteiWoidke beliebter als Scholz – bedeutet für Scholz keinen Bonus, sondern eine Belastung. Vielleicht gab es an dieser Stelle einen Irrtum, ein Missverständnis: Woidke erwartete von Scholz eine professionelle Einschätzung der von Woidke gewünschten Sicherheitsdistanz. Als Hamburger Bürgermeister hätte er das auch getan. Immer auf Distanz zu „Berlin“, etwa zu SPD-Chef Sigmar Gabriel.

Woidkes Firewall gegenüber Scholz

Doch mit seiner Brandmauer zu Scholz ist Woidke selbst den Genossen im eigenen Landesverband zu weit gegangen. Scholz genießt vor allem bei den SPD-Ortsverbänden in seinem Bundestagswahlkreis in und um Potsdam ein gutes Ansehen, die er trotz seines vollen Terminkalenders intensiv betreut. Mit seiner alljährlichen Sommertour, mit Wahlkreisgesprächen, ja sogar mit einer Kleinen Anfrage des Abgeordneten Olaf Scholz an die Bundesregierung. Bei der Wahl 2021 schlug er hier die Grünen-Direktkandidatin Annalena Baerbock.

Das Verhältnis zwischen Woidke und Scholz war stets professionell, distanziert, unsentimental und sachlich. Und das trotz der kurzen Wege in Potsdam, wo Scholz gleich neben dem Landtag wohnt. Matthias Platzeck, Woidkes Amtsvorgänger, und Bundeskanzler Gerhard Schröder verstanden sich einst blendend und trafen sich regelmäßig zum Rotwein. Mit Scholz und Woidke kaum vorstellbar.

Auf den ersten Blick ähneln sich Scholz und Woidke, sie gelten als sachlich, nüchtern, pragmatisch, als Männer, die nicht viele Worte machen. Doch Woidke ist ein Mann der schnellen, manchmal überhasteten Entscheidungen. Er vertraut eher auf sein Bauchgefühl, auf Rückmeldungen von Praktikern als von Ministerien oder dem Parteiapparat. In seiner Kommunikation versucht er, Klartext zu sprechen. Scholz gilt als Zauderer, kommunikationshemmend, fixiert auf Schablonen und Datenblätter. Bauchgefühl? Nicht wirklich.

Das Drama um Scholz‘ Frau Britta Ernst

Als Olaf Scholz 2021 Kanzler wurde, war seine Frau Britta Ernst Bildungsministerin im Kabinett Woidke. Die Konstellation einer Kanzlerfrau als Ministerin war ein Novum. Scholz hatte im Wahlkampf wütend reagiert, als er gefragt wurde, ob seine Frau Ministerin bleiben könne. Tatsächlich sah es zunächst so aus, als würde es klappen.

Im April 2023 trat Britta Ernst überraschend zurück und begründete dies mit mangelndem Rückhalt in der SPD-Fraktion. Vorausgegangen war ein Streit um Lehrerstellen und deren Verteilung im Land vor dem Hintergrund des Lehrermangels. Die Fraktion widersetzte sich, doch Ernst gab nicht nach. Woidke ließ den Konflikt eskalieren und unternahm nichts, um Ernst im Amt zu halten. Bis zur Landtagswahl waren es nur noch anderthalb Jahre, und das Bildungssystem galt als Schwachpunkt der SPD. Woidke war schon länger unzufrieden, vor allem mit dem Kommunikationsstil des Ministers, der Lehrer, Eltern und Gewerkschaften vor den Kopf gestoßen habe.

Wahlkampf mit der Kanzlergattin? Unmöglich

Angesichts des aktuellen Wahlkampfs und der maximalen Distanz zwischen Woidke und Scholz ist die Chronologie bemerkenswert. „Wir hatten von Anfang an geplant, klarzustellen, dass es hier nur um das Land Brandenburg geht. Das haben wir vor zwölf, vierzehn Monaten geplant“, sagte Woidke am vergangenen Freitag. Es war also genau die Zeit rund um Ernsts Rücktritt. Ein Wahlkampf mit der Kanzlergattin im Kabinett, und dazu noch zuständig für Bildung? Unmöglich.

Mit seiner klaren Ankündigung, nur im Amt zu bleiben, wenn die SPD Erster wird, hat Woidke ein hohes Risiko eingegangen. Scholz hätte sich wohl eine Hintertür offen gehalten. Mit der Ankündigung, das Feld zu verlassen, wenn er Zweiter wird, hat Woidke sich und Scholz unter Druck gesetzt. Verlässt Woidke die politische Bühne, dürften die bislang gemäßigten Debatten in der SPD um Scholz‘ Zukunft, seine Kanzlerkandidatur 2025, lauter werden. Bekommt dann Boris Pistorius seine Chance?

Viel wird davon abhängen, was Dietmar Woidke am Wahlabend sagt, welche Botschaft er an die SPD sendet. Auf ihn werden alle Augen gerichtet sein, zumal Scholz am Sonntag und Montag zur UN-Generalversammlung ins ferne New York reist.

Die SPD-Spitze um Lars Klingbeil und Saskia Esken hatte Woidke schon vor einiger Zeit für Montag nach Berlin eingeladen, zu den „Gremien“, die immer am Tag nach Wahlen im Willy-Brandt-Haus tagen. Die Spitzenkandidaten, egal ob sie aus Düsseldorf, Dresden oder Saarbrücken anreisen müssen, erscheinen meist mit der SPD-Spitze. Noch vor drei Wochen waren die Wahlkämpfer aus Sachsen und Thüringen hier. Die Reise von Potsdam nach Berlin ist vergleichsweise kurz. In der Einladung, die die SPD für die Pressekonferenz am Montag verschickte, taucht der Name Dietmar Woidke nicht auf.

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