Reeperbahn Festival zu Ende: Strongboi geehrt | NDR.de – Kultur – Musik

Reeperbahn Festival zu Ende: Strongboi geehrt | NDR.de – Kultur – Musik

Stand: 22.09.2024 07:29 Uhr

Am Samstag ehrt die Festivaljury unter Vorsitz von Sänger Tim Bendzko das Berliner Projekt Strongboi im St. Pauli Theater mit dem begehrten Nachwuchspreis. In den Locations wird derweil bis spät in die Nacht weitergefeiert.

von Jennifer Philipp

Vier Tage lang bot das Reeperbahn Festival 2024 rund 800 Programmpunkte in 80 Spielstätten. Darunter waren 480 Konzerte von 450 Acts aus über 30 Nationen, 40 Lesungen, Live-Podcasts und Ausstellungen. Rund 40.000 Besucher plus 4.000 Fachbesucher feierten hier seit Donnerstag gemeinsam. Und das Highlight kommt zum Schluss. Nachdem alle sechs für den begehrten Nachwuchspreis nominierten Acts an den letzten beiden Festivaltagen ihre Auftritte vor Publikum und Jury gaben, verkündeten die Juroren Emily Kokal, Julia Stone, Tayla Parx und Tim Bendzko bei der feierlichen Anchor Award Show am Samstagabend Strongboi zum Sieger.

Abwechslungsreiche Shows von Newcomern umrahmen die Preisverleihung

Impressionen vom Reeperbahn Festival Samstag © NDR Foto: Jennifer Philipp

Strongboi gewinnt den Anchor Award 2024.

Kurz nach 18 Uhr begrüßte das Moderatorenduo Tarik Tesfu und Melissa Khalaj die geladenen Gäste im St. Pauli Theater. Alle sechs nominierten Newcomer traten anschließend noch einmal auf und zeigten, welch schwierige Aufgabe die Jury zu bewältigen hatte.

Die österreichische Rockerin Kässy kreiert einen neuen futuristischen Dark-Pop-Sound, den sie authentisch präsentiert. „Sie weiß, wer sie ist“, lobt Jurymitglied Emily Kokal den Auftritt der stylischen Newcomerin.

Die mongolische Jazz-Folk-Sängerin Enji tritt im Kammerensemble neben Kontrabass und Gitarre auf. Sie atmet, summt und jazzt gefühlvoll ins Mikrofon. Die Münchnerin erfüllt das Theater mit ihrer außergewöhnlichen Aura.

Popsängerin Beth McCarthy liefert eine perfekte Show

Die britische Popsängerin Beth McCarthy liefert mit ihrem Ohrwurm „Good Bi“ eine grandiose Show ab, die zunächst ruhig beginnt und dann rockig wird. Die 27-Jährige genießt es sichtlich, ein Publikum zu haben.

Der australische R’n’B-Musiker Milan Ring begleitet ihren Gesang mit einem Looper und zwei Gitarren. Auch gesanglich legt der Tontechniker nach. Eine Konzentrationsleistung, die wenig Spielfreude erkennen lässt.

Mit Leichtigkeit lässt sich Strongboi-Frontfrau Alice Phoebe Lou von der Musik über die Bühne tragen. „Himmlisch verträumt“ beschreibt die Jury die chillige Musik, die das Publikum scheinbar alles vergessen lässt. Vom Publikum aus fühlt es sich ein bisschen so an, als säße man bei einer WG-Party im Flur. Dieses starke „Gemeinschaftsgefühl“ innerhalb der Band ist auch der Jury nicht entgangen.

Body Positivity mit Moonchild

Moonchild Sanelly setzt sich für Body Positivity ein.

Zum Abschluss der nominierten Acts sorgt die südafrikanische Musikerin Moonchild Sanelly für einen musikalischen Knalleffekt, die in einem knappen Latexanzug zu ihrem lauten Bass tanzt. Als Vertreterin von Body Positivity ist sie zum Vorbild geworden und hat 580.000 Follower auf Instagram.

Um 19:30 Uhr ist es soweit. Tayla Parx verliest die Laudatio und verkündet, dass Strongboi den begehrten Preis gewonnen hat. Die Sängerin taumelt auf die Bühne, die Bandmitglieder hinter ihr. Neben der Trophäe erhält Strongboi einen Gutschein im Wert von 20.000 Euro für Technik. Außerdem darf Strongboi bei seiner nächsten Tour einen Tourbus nutzen. Sichtlich gerührt betreten Lou und Keyboarder Ziv Yamin die Bühne. „Ich bin etwas zittrig“, sagt die junge Sängerin, während sie die goldene Trophäe in den Händen hält. „Es ist eine große Ehre!“

Die Party geht auf der Reeperbahn weiter

Die Hamburger Band Tonbandgerät lockt das Publikum auf die Open-Air-Bühne am Spielbudenplatz, während wenige Meter entfernt Wavvyboi im Docks auftritt.
Eine deutlich intimere Situation entwickelt sich derweil zwischen Kapuzenpullis, Mützen, Schals und anderen Fanartikeln im Fanshop des FC St. Pauli zwischen „Alles deren Schuld“ und ihrem Publikum. Im Sportartikelladen tritt das Publikum der Band aus Hamburg und Lüneburg fast auf die Füße. „Ich werde dir das Herz brechen“ singt der lockenhaarige Leadsänger zwischen Kapuzenpullis. Näher an die Bühne kommt man sonst nirgends. Viel sieht man aber nicht, wenn man nicht ganz vorne steht.

Bushida rappt in Moondoo

Die Deutschrapperin Bushida steht im Moondoo auf der Bühne. Hinter ihr hat ein DJ aufgebaut, der sie mit elektronischem Sound versorgt. Bushida begrüßt das Publikum und freut sich, dass so viele gekommen sind. In dem dunklen Club ist die Rapperin schwer zu erkennen. Zudem steht Bushida in Streetwear auf der Bühne. Sie trägt weite Hosen, Top und Weste, die Haare hochgesteckt und eine Brille. Mehr Understatement geht nicht. „Follow me on platform“, fordert sie die Menge auf und beginnt ihre unterhaltsame Show. Understatement ist Kult. Zu den sehr gut tanzbaren Sounds beklagt sie Rassismus, Depressionen und Sexismus und tanzt poppend dazu.

Das junge Publikum feiert Kasi am Spielbudenplatz

Rapper Kasi zieht vor allem ein junges Publikum an.

Um 22 Uhr ist der nächste Act auf der Open-Air-Bühne am Spielbudenplatz angesetzt. Hip-Hopper Kasimir Herbst alias Kasi aus Frankfurt wird von seinen jungen Fans erwartet. Als er um zwei nach zehn nicht da ist, rufen die ersten Teenager nach ihm. Die Menge tobt, als die Technik reagiert und Musik einsetzt. Falscher Alarm. Kasi ist noch weit weg. Nach weiteren drei Minuten und immer lauter werdenden Klagen kommt der Junge mit dem Hut heraus. Er startet mit „Immatrikuliert“ und die Menge, die den Text auswendig kann, feiert ihr Idol. Weiter geht es mit einem Trennungslied. Kasis Texte erzählen von Alltagssorgen und Liebeskummer. Seine Zielgruppe ist begeistert.

Stereotypen bei Angie

Auch in St. Pauli herrscht Pomp. Im Angie’s stehen dunkelbraune Lesesofas vor dunkelblauen Wänden mit goldenen Akzenten. Schwere Samtvorhänge sorgen für edle Behaglichkeit, Kronleuchter und Spiegel mit goldfarbenen Rahmen unterstreichen die Atmosphäre. Die Bühne, auf der bald ein weiteres musikalisches Highlight aufgeführt wird, ist klein. Der Raum davor ist gut gefüllt. Als das iranische Duo Stereotype seinen Platz einnimmt, erklingen metallische elektronische Klänge, die an Horrorfilmmusik erinnern. Die Sängerin Meshcut singt mit tiefer Stimme. Blaues Gegenlicht verhindert, dass man die Gesichter der Künstler erkennt. Ins Publikum blitzende Stroboskoplichter sorgen für weiteres Unbehagen. Als das Lied endet, ist Meshcuts sanfte Frauenstimme zu hören: „Wir sind so aufgeregt. Den ganzen Weg von Teheran sind wir gekommen… Danke, Reeperbahn Festival.“

Anschließend geht es mit der düsteren Techno-Show des Duos weiter. In ihrer Musik brechen sie mit Bildern weiblicher Stereotypen, wie es viele Künstlerinnen in diesem Jahr taten. Das Reeperbahn Festival 2024 konnte an die Debatten der letzten Jahre anknüpfen, Diversität darstellen und die eine oder andere Brücke zwischen Genres bauen. Dabei wurde deutlich: Die neue Musikgeneration rebelliert gegen Konformität, Grenzen und Normen. Das Ergebnis ist allen Lobes wert.

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Dieses Thema im Programm:

NDR 90,3 | Kultur Journal | 22.09.2024 | 19:00

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