Interview mit Jenny und John Jürgens

Interview mit Jenny und John Jürgens

Frau Jürgens, Herr Jürgens, wie war es für Sie, mit einem so berühmten Vater aufzuwachsen?

Jenny: Als Kind ist das nicht so merkwürdig, weil man nichts anderes kennt. Jede Familie hat ihre eigene Realität, und das war unsere. Bei uns war es immer lustig. Udo hatte eine sehr alberne Seite, er hat gern herumgealbert. Es ist ein Privileg, in so eine Familie hineingeboren zu werden. In den Teenagerjahren wurde es schwieriger. Aber es war nie unser Vater, der schwierig war, sondern die Art und Weise, wie die Leute da draußen uns wahrnahmen. Die Erwartungen, die mit dem Ruhm unseres Vaters verbunden waren.

John: Wir hatten keinen Nine-to-five-Vater. Er war zwar nicht oft da, aber wenn, dann hatten wir viel Spaß zusammen. Lustig war es natürlich, wenn wir mit dem Jeep mit heruntergelassenen Fenstern durch Kitzbühel fuhren, Udo am Steuer erkannt wurde und jemand ins Auto rief: Hey, aber bitte mit Sahne! Oder an der Autobahnraststätte, wenn die Leute auf dich zukommen und fragen, ob du auf ihrem Arm unterschreiben darfst. Ich war damals noch ein kleines Kind. Mein Vater hat mich dann weggezogen. Ich habe immer gemerkt: Hier ist etwas anders. Auch die Schlagzeilen in der Boulevardpresse waren schwierig. Damit musste ich erst einmal umgehen lernen.

Die Boulevardmedien stürzten sich auch auf die Tatsache, dass ihre Eltern eine offene Ehe führten.

Jenny: Wir hatten zu Hause natürlich schon darüber gesprochen, aber Schlagzeilen zu sehen, war für uns immer schlimm. Unser Vater warnte uns meistens: Morgen kommt was. Mich hat das mein Leben lang genervt. So etwas liest kein Kind gern. Und trotzdem hat es uns nie an etwas gefehlt, schon gar nicht an Liebe.

John: Ein normales Familienleben war nicht mehr möglich, weil unser Vater so viel unterwegs war und unsere Mutter mit uns Kindern allein zu Hause. Irgendwann wurde daraus eine offene Ehe: Sie hatte Beziehungen, er hatte Beziehungen, das wussten sie voneinander – alles war in Ordnung.

„Er wäre stolz auf uns“: Bei ihrer Arbeit fragen sich die Geschwister immer wieder, ob sie im Sinne des Vaters handeln.Lucas Bauml

Ihr Onkel Manfred Bockelmann meinte einmal in einem Interview, eine Karriere wie die Ihres Vaters sei mit einem normalen Privatleben nicht vereinbar. Sehen Sie das ähnlich?

Jenny: Unser Vater war wegen seiner Karriere ruhelos, das ließ ein traditionelles Familienleben nicht zu. Er selbst sagte auch, für eine Frau, die so ein Leben wollte, sei er als Mann ein Albtraum gewesen.

John: Er hat oft autobiografische Texte geschrieben. Hätte er ein anderes Leben geführt, ohne die Höhen und Tiefen, die innere Zerrissenheit des Liebens und Entliebens, dann wäre sein musikalisches Schaffen nicht so zustande gekommen. Es war von diesen Erfahrungen gespeist. Uns war immer klar, dass seine Karriere nicht so zustande gekommen wäre, wenn er ein normaler Familienvater gewesen wäre. Als ich selbst Vater wurde, hat er manchmal gescherzt, ich sei ein Windel-wechselnder-Papa. Aber davor hatte er großen Respekt, denn so ein Vater hätte er nie sein können.

Und wie war die Aufnahme in der Schule als Kind von Udo Jürgens?

John: Ich war zehn Jahre alt, als ich ins Internat kam, und unser Vater war auf dem Höhepunkt seiner Karriere. Als sich herumsprach, dass ich der Sohn von Udo Jürgens bin, waren meine Mitschüler zunächst sehr interessiert und wollten Autogramme von ihm. Nach drei, vier Wochen kippte die Stimmung dann ins Negative. Und dann ging das Mobbing los.

Jenny: Das Schwierige war und ist, dass sich Menschen verändern, wenn sie merken, wer du bist. Manche werden nervös und verhalten sich dir gegenüber unnatürlich, weshalb ich oft das Gefühl hatte, ich müsste mich verstellen. Mich selbst und meinen inneren Frieden zu finden, war für mich eine lange Reise.

„Kein Kind liest gern Schlagzeilen“: Jenny und John Jürgens beim Interview in MünchenLucas Bauml

Der Titelsong „Danke für die Blumen“ zur Kinderserie „Tom und Jerry“ stammt von Udo Jürgens. Wie war es für Sie, als die Serie im Fernsehen lief?

John: Ich war jedes Mal stolz. Auch später, als meine Kinder die Serie sahen, waren sie immer sehr stolz auf ihren Großvater.

Jenny: Auf jeden Fall. „Mein Papa hat den Song gemacht.“ Ich habe oft mit meinem Vater geprahlt. Wegen Hits wie „Griechischer Wein“ und „Aber bitte mit Sahne“, aber auch als die progressiven Songs rauskamen wie „Gehet hin und vermehret euch“. Ich war 15 Jahre alt, als der Song verboten wurde und nicht mehr gespielt werden durfte. Das fand ich total cool. Unser Vater kam aus der Popmusikszene und hat dann ein sicheres Schiff verlassen, das seine Familie ernährt und ihm alle Sicherheit gegeben hat. Den Mut muss man erst einmal haben.

Außerdem haben Sie im Dezember 2022 posthum ein Udo Jürgens-Album veröffentlicht, das es auf die Spitze der deutschen Albumcharts schaffte. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?

Jenny: Die Basis für alles ist natürlich immer Udo, die Musik, die er geschrieben hat und vor allem die Zeitlosigkeit und Emotion, die darin steckt. Es steckt immer etwas in den Texten, wo man sagt: Das betrifft mein eigenes Leben. Wir versuchen, die Interessen unseres Vaters zu vertreten.

John: Ein Album wie dieses kann nicht nur eine Sammlung seiner Top-Hits sein, wir müssen tiefer graben, zum Beispiel nach Songs, die noch nie digital veröffentlicht wurden, oder nach unveröffentlichten Live-Mitschnitten.

„Es ist ein Privileg, in eine solche Familie hineingeboren zu werden“: Jenny und John Jürgens fühlen sich ihrem Vater sehr verbunden und nahe.Lucas Bauml

Was bedeutet es für Sie, die Vertretung Ihres Vaters zu übernehmen?

Jenny: Eine große Verantwortung. Wir müssen uns immer fragen: Handeln wir im Sinne von Udo Jürgens? Ihn persönlich können wir das nicht mehr fragen. Aber wir versuchen, seine Linie fortzuführen. Das ist der einzig richtige Weg.

John: Wir fühlen uns unserem Vater sehr nah und verbunden. Allein schon wegen der stundenlangen Gespräche, die wir in Jazzkneipen bei Vodka Tonic oder zu Hause bei einem Glas Rotwein um zwei Uhr nachts führen. Wir saßen oft stundenlang zusammen, philosophierten über Gott und die Welt und brachten uns gegenseitig Musik. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er stolz auf uns wäre und ihm gefallen würde, was wir tun und wie wir es tun.

Auch Ihr Vater war ein gesellschaftskritischer Künstler. Hat ein so einflussreicher Künstler wie Udo Jürgens die Verantwortung, politisch zu werden?

Jenny: Man kann niemanden dazu zwingen, aber man kann. Für Udo kam das nicht in Frage. Er wollte politisch sein, aber er ist nie mit der Axt rausgegangen. In Liedern wie „Ein ehrenwertes Haus“ oder „Gehet hin und vermehret euch“ war er sehr deutlich, aber er hat auch vieles mit einem Augenzwinkern gemacht, ohne zu schreien oder aufgeregt zu wedeln. Manchmal kann man die Leute damit noch mehr beleidigen. Er wollte nie jemanden verletzen. Aber er war sich der Gräueltaten in der Welt sehr bewusst. Er hat sich sehr deutlich gegen Rassismus ausgesprochen. Der arme Kerl würde heutzutage bei der AfD verzweifeln.

John: In der Weltpolitik hat sich nichts geändert. Nur die Konflikte haben sich verlagert. Jetzt sind es die Ukraine und der Nahe Osten. Ich glaube, dass ein Künstler politisch werden kann, aber nicht muss.

Hätte Udo Jürgens mit Songtexten auf die Krisen von heute reagiert?

Jenny: Die AfD und Donald Trump, er hätte unendlich viel Stoff für neue Songs gehabt.

John: Er hätte dafür klare Worte gefunden. Und er hätte weder Rücksicht auf seine Karriere noch auf seine Plattenverkäufe genommen.

Auf dem neuen Album „udo90“ ist ein Song von Udo Jürgens zu finden, der bisher nie veröffentlicht wurde. Wie kam es zu dieser Entdeckung?

John: Bei früheren Plattenproduktionen wurden immer wieder Songs weggelassen, weil sie nicht alle auf eine Platte gepasst haben. Manche dieser Songs sind bei der Plattenfirma aufgetaucht. Bei vielen war klar, warum sie es nicht auf ein Album geschafft haben. Bei diesem Song, der „When I left“ heißt, sind wir uns aber 1000-prozentig sicher. Als wir ihn das erste Mal vorgespielt bekamen, hatten wir Gänsehaut, Tränen in den Augen und konnten es nicht glauben. So einen Song werden wir in den Archiven nicht mehr finden. Es ist ein Liebeslied.

Ist es auch Ihr Lieblingslied von Udo Jürgens?

John: Der neue Song gehört definitiv dazu. Aber auch „Was ich dir sagen will“ und „Damals wollt‘ ich erwachsen sein“ zählen zu meinen Favoriten. Natürlich kommt man auch an den großen Hits von Udo nicht vorbei. Diese große Dankbarkeit, wenn ich auf dem Oktoberfest bin und 2000 Leute im Chor „Griechischer Wein“ singen – das ist Wahnsinn. Wer aber den echten Udo kennenlernen will, der muss sich „Alles was ich bin“ anhören.

Jenny: Mir gefällt „What I Want to Tell You“ sehr gut, und von den neueren Songs ist „Word“ am besten, und was mich wirklich berührt, ist „My Last Wish“. Aber ich könnte dir 30 Songs nennen.

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