Großbritannien droht ein Wasserkollaps – und der Preis der Privatisierung

Großbritannien droht ein Wasserkollaps – und der Preis der Privatisierung

Die private Wasserversorgung Großbritanniens ist so marode, dass Fäkalien, Damenbinden und mehr regelmäßig in Flüssen und Seen landen. Investitionen wurden versäumt, während Dividenden und Boni weiterhin flossen. Die Regierung bereitet sich auf den Notfall vor.

Wertlos. Der Staatsfonds Abu Dhabi schätzt nun seine fast zehnprozentige Beteiligung an Thames Water, dem größten britischen Wasserversorger, der rund ein Viertel der Bevölkerung mit Trinkwasser versorgt und Abwasser entsorgt. Ende 2023 schrieb die Abu Dhabi Investment Authority (ADIA) den Buchwert von 263 Millionen Pfund (314 Millionen Euro) auf den symbolischen Wert von einem Pfund ab.

Das Ontario Municipal Employees Retirement System, das 31 Prozent des Versorgungsunternehmens hält, kündigte im Mai ebenfalls eine vollständige Abschreibung der Position an. Auch der britische Pensionsfonds Universities Superannuation Scheme gewährt der Investition nur einen Mindestwert. ADIA hat außerdem ein Darlehen in Höhe von 31 Millionen Pfund an eine Muttergesellschaft von Thames Water vollständig abgeschrieben.

Grundsätzlich gelten Investitionen in die Infrastruktur als langfristige und stabile Einnahmequellen. Egal ob Mautstraßen oder Energieversorgung: Viele Modelle basieren auf regelmäßigen Zahlungen von Nutzern oder Verbrauchern, so auch die privatisierte Wasserversorgung in Großbritannien.

Doch Thames Water kämpft seit Monaten mit einer hohen Schuldenlast und das Unternehmen hatte zuletzt Schwierigkeiten, eine neue Finanzierung zu finden. Vor einigen Monaten konnte die Muttergesellschaft Kemble die Zinsen ihrer Anleihen nicht mehr bedienen und ist zahlungsunfähig.

Auch in der restlichen Branche kämpfen einige Anbieter mit finanziellen Problemen und haben ebenfalls erhebliche Reputationsverluste erlitten. Dies ist nicht zuletzt auf die anhaltende Einleitung erheblicher Mengen unbehandelten Abwassers in die Flüsse und Küstengewässer des Landes zurückzuführen. Was eigentlich als Notlösung gedacht war, wenn die zum Teil über 100 Jahre alten Leitungen bei starkem Regen durch die Wassermassen überfordert werden, wird vielerorts regelmäßig eingesetzt. Auch die Versorgungsunternehmen haben sich seit Jahren nicht mit dem langfristigen Problem der undichten Rohre befasst. Fast ein Viertel des Trinkwassers im Land geht durch marode und veraltete Leitungen verloren.

„Es ist klar, dass Unternehmen sich ändern müssen, und das muss damit beginnen, sich mit Fragen der Unternehmenskultur und Führung auseinanderzusetzen“, warnte David Black, Chef der Wasserregulierungsbehörde Ofwat, Anfang Oktober, als er Bußgelder in Höhe von 158 Millionen Pfund ankündigte, die die Branche ankündigte. Diese sind unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Unternehmen die gesetzten Ziele zur Reduzierung der Einleitung ungeklärter Abwässer deutlich verfehlt haben.

Die jüngste Überprüfung der Dienstleistungen hat deutlich gemacht, dass es nicht nur an Geld für Investitionen zur Schaffung von Verbesserungen mangelt. „Allzu oft hören wir, dass das Wetter, unabhängige Dritte oder andere externe Faktoren für die von uns hervorgehobenen Schwächen verantwortlich sind“, sagte Black.

Vor mehr als 30 Jahren ging Großbritannien einen anderen Weg. Neben der Post, der Telekommunikation und der Eisenbahn wurde unter der Führung von Premierministerin Margaret Thatcher auch die Wasserversorgung in England und Wales privatisiert. In den Regionen Nordirland und Schottland liegt die Wasserversorgung jedoch bis heute wie praktisch überall auf der Welt in der Verantwortung der öffentlichen Hand.

Die meisten Ökonomen betrachten die Wasserversorgung als ein sogenanntes natürliches Monopol. Damit sind Wirtschaftsbereiche gemeint, in denen konkurrierende Anbieter aufgrund hoher Fixkosten Schwierigkeiten haben, ein Netzwerk aufzubauen, sodass ein Monopolanbieter die Aufgabe übernimmt. Auch zwischen den Anbietern in England und Wales besteht kein Wettbewerb. Verbraucher können ihren Wasserversorger nicht frei wählen; Vielmehr sind für jede Region im Land elf Anbieter zuständig. Die Unternehmen sind privat organisiert und befinden sich größtenteils im Besitz von Konsortien institutioneller Anleger wie Pensionsfonds, Staatsfonds und spezieller Infrastrukturfonds.

Eine Hoffnung bei der Privatisierung: Private Eigentümer würden nicht nur effizienter arbeiten als der Staat, sondern auch konsequenter in die Infrastruktur investieren. Doch die Erwartungen haben sich nicht erfüllt. Stattdessen haben Investoren Unternehmen, die zum Zeitpunkt der Privatisierung schuldenfrei waren, Schulden in Höhe von weit über 60 Milliarden Pfund aufgebürdet.

Thames Water ächzt unter Verbindlichkeiten in Höhe von fast 19 Milliarden Pfund, bei einer Verschuldungsquote von 78 Prozent. Der Durchschnitt der elf Anbieter liegt bei 68 Prozent und damit deutlich über der Empfehlung der Regulierungsbehörde Ofwat von 55 Prozent. Komplexe Anlagestrukturen erschweren oft einen transparenten Überblick über die finanzielle Situation.

Anleger konnten sich hingegen regelmäßig über hohe Dividendenzahlungen freuen. Nach Recherchen der Financial Times wurden in etwas mehr als drei Jahrzehnten über 78 Milliarden Pfund eingesammelt. Allein zwischen 2021 und 2023 wurden Dividenden in Höhe von 2,5 Milliarden Pfund ausgeschüttet. Die Nettoverschuldung stieg in diesem Zeitraum um 8,2 Milliarden Pfund.

Die Branche sorgt seit mehreren Jahren regelmäßig mit unappetitlichen Meldungen über unbehandeltes Abwasser für Schlagzeilen. Ein aktuelles Beispiel: Ende August leiteten die United Utilities acht Tage lang schmutziges Wasser in die Nebenflüsse des Lake Windermere, einem beliebten Touristenziel im Lake District. Wassersportler und Spaziergänger beschwerten sich über sichtbare Spuren von Abwasser. Der Lieferant verwies auf die starken Regenfälle, doch Umweltschützer wollen dies nicht länger hinnehmen.

Fäkalien, Damenbinden und Feuchttücher im See

Die Wetterbedingungen seien nicht einmal im Entferntesten außergewöhnlich, sagte Feargal Sharkey. Der ehemalige Leadsänger der „Undertones“ ist einer der engagierten Verfechter eines besseren Gewässerschutzes. „Wir leben auf einer Insel im Nordatlantik, daher zählen starke Regenfälle nicht.“ Auch an den Stränden des Landes kämpfen Interessengruppen seit Jahren dafür, nicht mehr regelmäßig zwischen Fäkalien, Damenbinden und Feuchttüchern schwimmen, surfen oder paddeln zu müssen.

Die marode Infrastruktur macht deutlich, dass in der Vergangenheit zahlreiche Investitionen versäumt wurden. Eine Mitschuld trägt Beobachtern zufolge auch die Regulierungsbehörde, von der Unternehmen ihre Wasserpreise genehmigen lassen müssen. Zu lange hat die Aufsichtsbehörde in den letzten drei Jahrzehnten darauf geachtet, dass die Wasserrechnungen der Verbraucher nicht zu schnell steigen, allerdings auch auf Kosten des Erhalts und Ausbaus der Infrastruktur.

Demografie und Klimawandel würden eigentlich dringende Investitionen erfordern. Der jüngste Wasserspeicher des Landes stammt aus dem Jahr 1991.

Besonders prekär ist die Lage am Thames Water. Das Unternehmen sucht seit Monaten vergeblich nach einer Finanzierung. Bis Anfang 2025 würden 750 Millionen Pfund dringend benötigt, um den Betrieb aufrechtzuerhalten und Investitionen anzukurbeln. Bis 2030 werden es vier Milliarden Pfund sein. Es ist nicht das einzige Wasserunternehmen auf dem Markt. Southern Water, verantwortlich für fast fünf Millionen Haushalte im Südosten des Landes, wirbt derzeit für vier Milliarden Pfund.

Die aktuellen Finanzmittel reichen nach eigenen Angaben von Thames Water nur bis Mai. Im Laufe des Sommers stuften Moody’s und S&P die Kreditwürdigkeit auf Junk-Status herab. Die Finanzierung macht dies noch teurer, auch wenn Anleger angesichts der Schwierigkeiten in der Branche bereits erhebliche Aufschläge für Anleihen von Wasserunternehmen verlangen. Trotz der heiklen Situation hat das Unternehmen beschlossen, dem Management seine Boni auszuzahlen, darunter fast 200.000 Pfund für den neuen Vorstandsvorsitzenden Chris Weston, der sein Amt erst im Januar angetreten hat. In seinen ersten drei Monaten bei dem angeschlagenen Anbieter konnte er 437.000 Pfund verdienen.

Die Regierung hat sich bereits auf den Ernstfall vorbereitet. Seit mehr als einem Jahr wird immer wieder über ein Sonderverwaltungsregime spekuliert, eine Übergangslösung der Regierung, die in Kraft treten könnte, wenn Thames Water tatsächlich kein Geld mehr hat. Aus Kostengründen will die Regierung eine echte Verstaatlichung vermeiden. Vorerst dürfte eine strengere Aufsicht durch Ofwat Abhilfe schaffen. Seit dem Sommer steht Thames Water besonders intensiv unter Beobachtung und darf unter anderem keine Dividenden mehr zahlen.

Doch die strengen regulatorischen Auflagen erschweren die Suche nach weiteren Investoren zusätzlich. Und das nicht nur im Wassersektor, warnte Jon Phillips, Geschäftsführer der Global Infrastructure Investor Association. Die rund 30 internationalen Investoren, die in der Branche aktiv sind, seien alle auch potenzielle Investoren in Bereichen wie Energie, Verkehr oder digitale Infrastruktur, sagte er der Financial Times. In all diesen Bereichen ist die Labour-Regierung bestrebt, durch private Investitionen rasche Fortschritte zu erzielen. „Aber die Wahrnehmung wird zusätzlich durch die Erfahrung mit Wasser geprägt, wo das regulatorische Umfeld ein Warnsignal bleibt.“ Aus Sicht der Investoren ist es für Ofwat von hoher Priorität, seiner Verantwortung, die Branche für Investitionen attraktiv zu machen, mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

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