Die Dramaserie „So long, Marianne“ über Leonard Cohen

Die Dramaserie „So long, Marianne“ über Leonard Cohen

„Ich traf einen glücklichen Menschen in London, und er kam aus Griechenland“: Mit diesem Satz lässt sich die Entscheidung des frustrierten jungen Dichters Leonard Cohen erklären, sein Glück in Griechenland zu suchen. Bevor man zu lange darüber nachdenkt, warum der Londoner Grieche seine Heimat verließ, sollte man sich von der achtteiligen Dramaserie „So long, Marianne“ sanft nach Hydra entführen lassen, wo man sich – zumindest für eine Weile – glücklich verlieren kann.

Hydra erscheint hier zunächst als Traum von einem Griechenland vor dem exzessiven Tourismus, das aber genügend Raum und Möglichkeiten für Künstler (und Leben) aus aller Welt bietet, sich dort niederzulassen. Die Norwegerin Marianne Ihlen, die den Zwängen eines bürgerlichen Lebens entfliehen will, sagt in einer Szene sogar, dass man auf Hydra für sehr wenig Geld einfach leben könne – und man folgt ihr gern an den Ort, der gerade auch durch sie Leonard Cohens Leben und Werk in den 60er-Jahren geprägt und nie mehr losgelassen hat.

Blick in den Abgrund

Doch natürlich währt die Idylle nicht allzu lange, bevor es – wie nicht nur Kenner von Cohens Liebesliedern, sondern jeder, der das Wort „Dramaserie“ nicht übersehen hat, erwartet – zu Streit, Tod, Trauer, Wettbewerben aller Art, Dreiecksbeziehungen und zerbrochenem Geschirr kommt.

In die langsam aufkeimende Liebe und dann schwierige Beziehung zwischen Cohen und Ihlen streut der Regisseur Rückblenden nach Montreal ein, wo der arme Dichter in der Textilfabrik seines Onkels an der Stechuhr durchdreht und sein Mentor Irving Layton – der im wirklichen Leben für Cohen das war, was Woody Guthrie für Bob Dylan war und dem der Schüler das Gedicht „Für meinen alten Layton“ widmete – ihn warnt, sein Talent nicht zu vergeuden: „Deine Hauptaufgabe ist es, uns über den dunklen Abgrund aufzuklären, der tief in uns liegt.“ Wenn das nicht wirklich der Fall wäre, wäre es eine nette Erfindung.

So alt wie er sich fühlte

Den weiteren Weg zu dieser Aufklärung über die Dunkelheit verfolgt die Serie dann in Romanen, Gedichten und vor allem Liedern, die der 2016 verstorbene Leonard Cohen der Welt hinterlassen hat und mit denen er als Fiktion bis heute viele Menschen erreicht. Doch sie stützt sich auf viele Quellen, manche davon sind auch erkennbare Passagen aus Liedern oder Romanen des Kanadiers, der an diesem Samstag neunzig geworden wäre. 1960 konnte er sich mit einer kleinen Erbschaft ein gutes Haus auf Hydra kaufen („es ist ungefähr 200 Jahre alt, also so alt, wie ich mich normalerweise fühle“, schreibt er hier an seine Mutter). Und an Layton schreibt er: „Hier auf der Insel hat die sexuelle Revolution bereits stattgefunden, auch wenn wir dabei nicht immer die Nase vorn haben.“

Hydra ist schön, doch die Karriere winkt: Michael Wolff als Leonard CohenNDR/Nikos Nikolopoulos

Das gilt nicht nur für Cohen, sondern auch für andere aus seinem Umfeld, etwa den norwegischen Schriftsteller Axel Jensen (1932 bis 2003), der Marianne, die Mutter seines Kindes, dargestellt von Jonas Strand Gravli, oft wie Dreck behandelt. Mit kaltem Lächeln ordnet er alles Leben seinem Werk unter. Und Leonard Cohen selbst sagt seiner deutlich älteren Freundin und Muse Charmian Clift (Anna Torf), die mit der Muse-Rolle ebenso hadert wie mit anderen Rollen und sich 1969 schließlich das Leben nehmen wird, vor dem Abschied ganz kühl: „Ich würde dir gern mit den Zähnen die Kleider vom Leib reißen, aber ich glaube, für diese Show ist der Vorhang gefallen.“

Verführerisch und sehr verletzt

Alex Wolff, geboren 1997 in New York, spielt die junge Cohen als meist kontrollierten und zynischen, manchmal depressiven, gelegentlich sehr aufbrausenden Charakter, dessen Motor mit Wein läuft, der aber auch mal härtere Drogen in den Tank wirft. Die 1996 geborene norwegische Schauspielerin mit dem kuriosen Namen Thea Sofie Loch Næss verleiht Marianne Ihlen sowohl etwas sehr Verführerisches als auch überzeugend etwas sehr Verletztes.

Sie tanzt auch mit anderen: Thea Sofie Loch Næss als Marianne IhlenNDR/Nikos Nikolopoulos

Regie führt Øystein Karlsen, der bereits mehrere erfolgreiche Serien gedreht und Episoden für die Folge „Lilyhammer“ geschrieben hat, in der Steven van Zandt von Bruce Springsteens E-Street Band als Mafioso in ein Zeugenschutzprogramm in Lillehammer gerät. Der norwegische Bestseller-Krimiautor und Musiker Jo Nesbø hat das Drehbuch zu „So long, Marianne“ mitgeschrieben.

Was passiert mit dem Herzen

Das Ergebnis kann sich wirklich sehen lassen. Glücklicherweise begeht Karlsen nicht den Fehler, Cohens Lebensgeschichte ständig mit seinen Songs zu untermalen – das hätte nur eine allzu enge Verbindung zwischen den beiden suggeriert und eine Art Musikvideo entstehen lassen. Nein, diese Serie ist selbst eine Geschichte, und zwar eine gut erzählte. Sie bedient sich zunächst nur Anspielungen auf Cohens Musik, etwa indem sie „rollende“ Akkorde einer Flamencogitarre unter Filmszenen legt, die an diverse seiner Songs erinnern. Doch schon weit in ihrer zweiten Folge ist zum ersten Mal ein echter Cohen-Song zu hören. Es ist das Spätwerk „What Happens to the Heart“, und interessanterweise fällt es zeitlich mit der Entstehung des Frühwerks zusammen: dem Moment, in dem Cohen auf Hydra seine diversen Schmerzquellen in den Fluss der Kunst kanalisiert.

Auch die Entscheidung, die zitierten Text- und Romanpassagen von Cohen nicht zu synchronisieren, sondern im englischen Original abzuspielen und gleichzeitig zu untertiteln, ist sehr gut gelungen. Die Art, wie Wolff singt und Gitarre spielt, ist sehr nah an Cohen, was vor allem in den späteren Folgen auffällt, die uns auch ins Chelsea Hotel in New York führen und den Text des entsprechenden Liedes sehr deutlich machen.

Was den Titelsong „So long, Marianne“ betrifft, so richtet sich die Bitterkeit hier vielleicht weniger gegen die Sängerin als gegen die Person, über die gesungen wird. Gerade ist im „Atlantic Monthly“ ein Essay erschienen, der Cohens Anti-Rockstar-Gehabe und seine Wendung gegen den männlichen Egoismus beschwört. Doch die Geschichte von Marianne Ihlen taugt dafür nicht ganz als Beleg, denn Frauen kommen immer wieder an den Karriereambitionen ihrer Partner vorbei: Erst bei Axel Jensen, dann bei Leonard Cohen, der einmal schwört, für immer zu bleiben und zudem mehr zu sein scheint als nur eine Familie zum Spielen – aber schnell wieder durchstartet, als er hört, dass sein Debütalbum in England ein Erfolg wird. „Es ist Zeit, über all das zu lachen und zu weinen“: Dieser Satz ist weise und frech zugleich. In dieser Fiktion, die sehr realistisch vom Leben als Aussteiger im Süden träumen lässt und natürlich auch mit einigen schönen Klischees illustriert ist, wird nicht nur Cohen-Aficionados, sondern auch generell klar, welch hohen Preis man bei der Wahl zwischen Kunst und Leben zahlen muss.

Mach’s gut, Marianne ab Sonntag in der ARD-Mediathek, am 2. und 9. Oktober jeweils vier Folgen am Stück ab 23.30 Uhr im NDR.

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