Deutscher Nato-General: „Es geht Richtung drei Prozent“

Deutscher Nato-General: „Es geht Richtung drei Prozent“
Kampfübung der Bundeswehr

Die Anforderungen der NATO an die Bundeswehr dürften künftig steigen (Symbolbild)

Quelle: dpa


Im Notfall muss die NATO in der Lage sein, jeden Zentimeter ihres Territoriums zu verteidigen. Das sagen ihre Leitlinien. Es gelten nun neue, höhere Mindestanforderungen an die künftige personelle und materielle Bereitstellung der Mitgliedsstaaten.
Angesichts der neuen Bedrohungslage will das Bündnis seine 82 Kampfbrigaden deutlich aufstocken. Für Deutschland bedeutet dies, dass die Bundeswehr zu den derzeit 50.000 Soldaten fünf bis sechs zusätzliche Brigaden aufstocken müsste. Eine Herausforderung für die Bundeswehr, die ihren bisherigen Verpflichtungen gegenüber der NATO nur teilweise nachkommt.

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Christian Badia, der ranghöchste deutsche General in der NATO, hat die zukünftige Ausrichtung des Bündnisses mitgestaltet. Er spricht mit ZDFheute über die Pläne, Erwartungen Deutschlands – und die möglichen Folgen der US-Wahl.

ZDFheute: Kommen die neuen Anforderungen der NATO?

Christian Badia: Die Anforderungen sind erforderlich. Und ich gehe davon aus, dass sie kommen werden. Ich gehe auch davon aus, dass sie aufgehoben werden. Diese Diskussion führen wir nicht nur mit Deutschland, sondern mit allen Partnerländern.

Diese beziehen sich im Wesentlichen auf den Zeitraum und wie diese bewältigt werden können. Ich kann schon jetzt sagen, dass die Nationen diese Anforderungen, diese neuen Zukunftsfähigkeiten immer wieder bestätigt haben.

Quelle: picture Alliance / Anadolu


… ist der ranghöchste deutsche General in der NATO. Er ist stellvertretender Oberbefehlshaber der NATO-Denkfabrik Allied Command Transformation (ACT) in Norfolk, Virginia. Das ACT ist eines der beiden strategischen Hauptquartiere der NATO und verantwortlich für die Transformation, also die zukünftige Ausrichtung des Bündnisses auf neue Bedrohungen und Formen der Kriegsführung. Hier wurden die neuen NATO-Anforderungen MCR, die Minimum Capability Requirements, entworfen.


ZDFheute: Was bedeutet das für das NATO-Prozentziel? Wie viel Prozent der Wirtschaftsleistung sollte ein Land künftig in die Verteidigung investieren?

Badia: Neues politisches Sicherheitsumfeld, neue Herausforderungen, neue Fähigkeiten, erweiterte Streitkräfte, höhere Einsatzbereitschaft – das führt natürlich zu mehr Geld.

Es wurde immer wieder bestätigt: Zwei Prozent müssen das Minimum sein, um diese Anforderungen zu erfüllen.

Wenn sie die Zwei-Prozent-Marke erst kürzlich erreicht haben, wenn sie aufholen müssen, wenn sie all diese Herausforderungen sehen, dann wird sich natürlich noch mehr entwickeln. Es geht in Richtung drei Prozent.

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ZDFheute: Deutschland muss sich heute stark strecken…

Badia: Wir haben derzeit 23 NATO-Staaten (von insgesamt 32, Anm. d. Red.), die über zwei Prozent liegen und auf dem Weg zu drei Prozent sind. Einige sind schon da drüben. Ich kann nur ganz deutlich betonen, dass sich alle NATO-Staaten in diese Richtung bewegen, um diese künftig benötigten Fähigkeiten auch tatsächlich zu erreichen. Man sieht also, dass die NATO-Staaten insgesamt erkannt haben, dass die Anstrengungen groß sind und wir vorankommen.

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ZDFheute: Was passiert, wenn Deutschland die neuen Anforderungen nicht erfüllt?

Badia: Die kleineren Nationen sind Deutschland sehr nahe. Deutschland ist eine führende Nation und ein Vorbild. Und natürlich geht es auch um eine Frage der Glaubwürdigkeit. (…) Ich kann nur dafür plädieren, dass diese Glaubwürdigkeit, die sich über viele, viele Dinge, aber auch über Geld definiert, entsprechend gewahrt und aufrechterhalten wird.“

ZDFheute: Mit US-Präsident Joe Biden verabschiedet sich bald ein bedeutender Transatlantikpolitiker. Die USA werden sich zunehmend von Europa abwenden und mehr von Deutschland verlangen.

Badia: In allen Gesprächen, die ich in Washington führe, spürt man immer noch eine sehr starke transatlantische Beziehung, transatlantisches Denken und auch eine sehr positive Zusammenarbeit zwischen Europa und Amerika. Auch im politischen Washington ist völlig klar, dass es ohne Partner, ohne Koalition nicht funktionieren kann. Aber wer auch immer der Präsident der USA ist:

Europa muss einen viel größeren Beitrag zur Sicherheit Europas leisten als bisher.

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ZDFheute: Könnte Europa die Aufgaben übernehmen, die die USA bisher übernommen haben?

Badia: Es wird immer bestimmte Fähigkeiten geben, bei denen die USA ein Alleinstellungsmerkmal haben werden. Die Frage ist, ob Europa mehr Fähigkeiten erreichen wird. Dabei geht es nicht um einzelne Staaten, sondern um die europäischen Staaten in der Gemeinschaft.

Ein sehr gutes Beispiel ist die deutsche Initiative European Sky Shield, der Raketenabwehrschild über Deutschland und ganz Europa.

Das sind die Initiativen, die Europa braucht. Und natürlich ist Deutschland ein sehr, sehr starker Motor, den wir brauchen.

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ZDFheute: Wie wird der Stand der „Wende“ derzeit in den USA und im Bündnis gesehen? Was sind die Erwartungen?

Badia: Zunächst einmal wurde die neue Ära sehr, sehr positiv aufgenommen. Der zweitgrößte Beitragszahler und die zweitgrößte Nation innerhalb der NATO entwickeln sich genau in diese Richtung. Aber die Erwartung aller anderen Nationen ist, dass es nachhaltig ist. Der Schwung muss erhalten bleiben.

ZDFheute: Es gibt auch das Szenario, dass die USA unter Präsident Donald Trump tatsächlich aus der NATO austreten werden.

Badia: Ich glaube nicht, dass das passiert. Denn egal, wer in den USA Präsident wird, die Menschen kennen den Wert der NATO und wissen sehr wohl, welche Verlässlichkeit ein solches Bündnis bietet.

Wenn der große Partner USA ausscheiden würde – und ich sage es noch einmal ganz deutlich, ich gehe nicht davon aus –, dann müssten natürlich ganz andere Mechanismen geschaffen werden, um das auffangen zu können. Das wäre sehr, sehr, sehr zum Nachteil der NATO und natürlich zum Nachteil Europas, wenn das passieren würde. Und ich kann nur dafür plädieren, dass wir alles tun, um das zu verhindern.

Das Interview führte Ines Trams, ZDF-Hauptstadtkorrespondentin.

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