Der Weltstar und die Mittelschichtsfrau

Der Weltstar und die Mittelschichtsfrau

Als Leonard Cohen erfuhr, dass seine große Liebe Marianne Ihlen bald sterben würde, schrieb er ihr einen bewegenden Brief: „Da ich weiß, dass ich Dir so nahe bin, kannst Du einfach Deine Hand ausstrecken und ich denke, Du wirst meine erreichen.“ Marianne Ihlen starb im Juli 2016, Leonard Cohen nur wenige Monate später, im November desselben Jahres.

Da hatten sich die Wege der beiden längst getrennt. Der Kanadier Cohen war zum Weltstar geworden, zur größten lyrischen Kraft aller Singer-Songwriter seiner Zeit, der Norweger Ihlen hingegen lebte ein bürgerliches Leben, war verheiratet, arbeitete in einer Personalabteilung und war gelegentlich als Maler tätig.

Das klingt nach einer totalen Trennung, nach dem Finale einer ungleichen Beziehung, die 1960 auf der griechischen Insel Hydra begann. Und das ist die größte Leistung der Serie „Marianne, mach’s gut“ (ARD Mediathek, NDR Fernsehen ab 2. Oktober): Was in acht 50-minütigen Segmenten erzählt wird, ist tatsächlich die Geschichte, die Liebesgeschichte zweier Menschen Anfang 20, die sich erkennen, unterstützen, aushalten und sich gegenseitig die Kraft geben, zur endgültigen Version ihrer selbst zu werden.

Damals, Anfang der 1960er Jahre, war die griechische Insel Hydra ein Treffpunkt für Künstler aller Art, ob Schriftsteller, Maler, Musiker, ein sehr liberaler Ort mit viel Alkohol und anderen Drogen; wer mit wem schlief, war kein Geheimnis. Dreh- und Angelpunkt der Expat-Community war das australische Paar Charmian Clift (Anna Torf) und George Johnston (Noah Taylor). Sie lebten bereits seit einigen Jahren auf der Insel, waren etablierte Schriftsteller, konnten davon aber nur mittelmäßig leben.

Leonard Cohen (Alex Wolff) will dem engen jüdischen Familienleben entfliehen und soll in der Textilfabrik seines Onkels arbeiten, obwohl er sich selbst als Dichter und Romanautor sieht. Marianne Ihlen (Thea Sofie Loch Næss) ist mit dem Autor Axel Jensen (Jonas Strand Gravli) auf die Insel gekommen. Eine toxische Beziehung, die Marianne nicht aufgeben will, auch wenn Jensen sie immer wieder betrügt und sie alleinerziehende Mutter mit dem gemeinsamen Kind wird.

Die Insel Hydra liegt 65 Kilometer südwestlich von Athen.

© Angelos Tzortzinis/dpa

Leonard hat einen eigenwilligen Sinn für Humor, er hadert mit sich selbst, mit Worten und Texten, er ist voller Testosteron und seine ersten Songs fesseln sein Umfeld. Was dann passiert, und das ist das Epizentrum der Serie, ist der gegenseitige Freispruch von Leonard und Marianne. Erst als er Cohen kennenlernt und eine Beziehung mit ihm beginnt, bringt Ihlen sich dazu, mit Jensen Schluss zu machen und mit Cohen eine Liebe zu leben, in der es keine besitzergreifenden Ansprüche gibt. „Komm schon, Marianne“ ist der Appell zur Veränderung in der ersten Version des Songs.

Als Cohen dann einige Jahre später seine ersten Alben veröffentlichte und sich in zahllosen Affären und Drogenrauschzuständen in New York verlor, im legendären Hotel Chelsea, half ihm Marianne und brachte ihn zurück zu Hydra. Doch ihre gemeinsame Zeit war kurz. „Ich habe auf meine Weise versucht, frei zu sein“, heißt es in der Schlusszeile des Cohen-Songs „Bird On The Wire“, der ebenfalls von Cohens Beziehung zu Ihlen inspiriert wurde. Ruhm bedeutet auch, die Liebe aufzugeben.

Die Serie ist eine griechisch-kanadisch-deutsch-norwegische Koproduktion. Sie ist leicht voreingenommen. Das Buch wurde von den Norwegern Øystein Karlsen („Exit“) und Jo Nesbø (dem Thriller-Autor, der auch Texte für die norwegische Popband Di Derre schreibt) sowie dem Kanadier Tony Wood geschrieben, Regie führten Karlsen und die Kanadierin Bronwen Hughes. Dieses Zusammenspiel garantiert die Legitimität des Serientitels „A Leonard Cohen Series“, und es schafft zudem die spannende Balance, dass Marianne Ihlen nicht als bloße Muse, als Frau an Cohens Seite gezeigt wird, sondern als gleichberechtigte Partnerin, als Betreuerin und als unabhängige Frau, als nie vergessene Einflussnehmerin in Cohens Leben.

Die Coming-of-Age-Serie lässt sich Zeit, viel passiert in den ersten Folgen noch nicht, dafür erzählen sich die Figuren umso mehr, berichten voneinander, übereinander, gegeneinander. Haben diese Dialoge je stattgefunden? Egal, für die Autoren sind sie eminenter Ausdruck der Figuren. „So long, Marianne“ will keine sklavische Hagiographie der Cohen-Ihlen-Beziehung sein, nicht einmal ein Biopic, sondern eine intensive, verdichtete Schilderung einer Liebe, ihrer Gefahren, ihres Glücks, ihrer befreienden Momente. Amor vincit omnia? Ja! Nein! Ja, nein, nein, ja.

Alex Wolff spielt Leonard Cohen, Thea Sofie Loch Næss spielt Marianne Ihlen. Und so wie sie Cohen und Ihlen spielen, zeigen sie keine kulturellen Ikonen, sondern zwei besondere Menschen auf dem Weg, sich selbst zu finden. Das Publikum wird Zeuge beeindruckender Schauspielkunst und begleitet dieses Entdecken und Selbstfinden. Die Nähe zu den Schauspielern ist sofort da, aber sie ist nicht aufdringlich.

Wer die Serie gesehen hat, wird das Lied „So long, Marianne“ anders hören. Denn er weiß, was in ihm steckt und was daraus hervorgeht. Sowohl Marianne Ihlen als auch Leonard Cohen wären in diesem Jahr 90 Jahre alt geworden.

PS: Wem die Serie nicht reicht, dem empfehlen wir den fünfteiligen NDR-Podcast „Mach’s gut, Cohen“.

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