Angriff mit Korruptionsvorwürfen
Ungarischer politischer Newcomer will Viktor Orbán stürzen
Von Kevin Schulte
27. Oktober 2024, 14:25 Uhr
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In Ungarn wird der Regierung erneut Vetternwirtschaft vorgeworfen. Offenbar hat die Regierung leerstehende Bürogebäude gekauft, die dem Schwiegersohn von Ministerpräsident Viktor Orbán gehören. Ein ungarischer politischer Newcomer nutzt den Fall aus.
Innerhalb kurzer Zeit ist Péter Magyar zum größten Herausforderer von Viktor Orbán in der ungarischen Politik geworden. Magyar ist ehemaliges Mitglied von Orbáns Fidesz-Partei und war als Ex-Ehemann der langjährigen Justizministerin Judit Varga selbst ein „Favorit der Regierungspartei, die alle Macht im Land kontrolliert“, wie die „NZZ“ es ausdrückt . Doch der 43-Jährige ist ein Neuling in der Spitzenpolitik.
Die erst drei Jahre alte Tisza-Partei des Anwalts trifft offenbar einen Nerv beim ungarischen Volk. In landesweiten Umfragen liegt die neue Partei derzeit nur wenige Prozentpunkte hinter Orbáns regierendem Fidesz. Bei der Europawahl im Juni trat Tisza erstmals überhaupt in ganz Ungarn an – erhielt prompt knapp 30 Prozent der Stimmen und erreichte damit einen klaren zweiten Platz. Péter Magyar zog zusammen mit sechs weiteren Abgeordneten ins EU-Parlament ein.
Doch der ungarische Polit-Neuling hat ein anderes Ziel: Er will Viktor Orbán stürzen. Ein saftiger Fall von Vetternwirtschaft sollte helfen.
Pikante Verdachtsmomente gegen Orbáns Schwiegersohn
Was ist passiert? In der ungarischen Hauptstadt Budapest wurden drei teure Bürokomplexe gebaut. Der Gedanke: Nach dem Ende der Corona-Krise würde die Wirtschaft schnell florieren und Büroflächen würden wieder in großer Zahl benötigt. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die ungarische Wirtschaft erholt sich nur langsam, die Inflation belastet Konsum und Nachfrage und viele Bürogebäude stehen noch immer leer. Unter anderem drohte ein Bauprojekt im Budapester Stadtpark zur Katastrophe zu werden. Eine finanzielle Katastrophe für Anleger.
Doch dann fanden Investoren und Eigentümer plötzlich einen Käufer für die Neubauten: die ungarische Regierung. Das sollen Dokumente belegen, die der Organisation Transparency International zugespielt wurden und die das Wirtschaftsportal Bloomberg einsehen konnte.
Der Fall ist interessant, weil der Fonds, dem die Gebäude gehörten, offenbar mit dem ungarischen Geschäftsmann István Tiborcz verbunden ist. Das ist der Schwiegersohn von Viktor Orbán.
Regierung über Verkäufer? „Irrelevant“
Péter Magyar vermutet Vetternwirtschaft. Es sei „eine Art Großzügigkeit gegenüber der Familie des Premierministers“. Magyar prangert an, dass Machenschaften wie diese Ungarn im Korruptionsranking von Transparency International auf den letzten Platz der EU-Mitgliedstaaten gebracht haben.
Die ungarische Regierung weist die Vorwürfe zurück. Sie sagt, man wolle die Arbeitsbedingungen der Staatsbediensteten verbessern. Viele Regierungsgebäude sind veraltet. Deshalb habe man eine günstige Gelegenheit zum Kauf der Bürogebäude genutzt, erklärte das Wirtschaftsministerium gegenüber Bloomberg. Wer die Verkäufer seien, sei „irrelevant“, fügte Staatskanzleichef Gergely Gulyás hinzu. Auch der Preis dürfte angemessen sein: „Gemeinsamer Markt im Vergleich zur Region“, sagt Granit Asset Management, der Vermögensverwalter von Orbáns Schwiegersohn Tiborcz, auf Bloomberg-Anfrage.
Allerdings gab die Regierung nach Berechnungen von Péter Magyar bis zu 650 Milliarden Forint für die drei Gebäude aus – umgerechnet rund 1,6 Milliarden Euro. Orbáns Kontrahent fragte kürzlich, wie es sein konnte, dass die Regierung einerseits ein Sparprogramm in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Kultur ankündigte und andererseits „völlig unnötige Bürogebäude von Orbáns Schwiegersohn kaufte“. .“
Auch Magyar ist nicht unumstritten
Die starken Umfragewerte der Tisza-Partei zeigen, dass es offenbar viele Ungarn genauso sehen wie die Magyaren. Ob das ehemalige Fidesz-Mitglied und seine neue Partei tatsächlich eine nationale Wahl gegen das Orbán-System gewinnen können, scheint weiterhin fraglich. Die nächsten Parlamentswahlen sind noch zwei Jahre entfernt.
Und Orbán scheint den Medienapparat erfolgreich umstrukturiert zu haben. „Ich konnte nicht länger als 210 Tage im Staatsfernsehen auftreten. So sieht die Demokratie von Ministerpräsident Orbán aus“, kritisierte Magyar kürzlich auf einer Pressekonferenz in Brüssel mit EVP-Fraktionschef Manfred Weber.
Aber auch Magyar ist keine unumstrittene Figur. 15 Jahre nach seiner Hochzeit mit Judit Varga, Justizministerin in Ungarn von 2009 bis 2023, gab das Paar im März 2023 seine bevorstehende Scheidung bekannt. Ein Jahr später, im März 2024, explodierte die Sache, als Magyar eine Audioaufzeichnung eines privaten Gesprächs zwischen ihnen veröffentlichte Das Paar auf Facebook, um auf Korruption in der ungarischen Regierung aufmerksam zu machen.
Varga wirft ihrem Ex-Mann vor, sie ein Jahr lang mit der Audioaufnahme erpresst zu haben. Während ihrer Ehe wurde er immer wieder verbal und körperlich aggressiv. Die Veröffentlichung der Audioaufnahme wenige Monate vor der Europawahl und damit kurz vor Beginn seiner großen politischen Karriere hat zumindest einen Vorgeschmack.
EU hält weiterhin 20 Milliarden Euro zurück
Mittlerweile ist Magyars Tisza-Partei nicht nur Mitglied des EU-Parlaments, sondern auch Teil der Europäischen Volkspartei, zu der auch die CDU/CSU gehört. Anfang des Monats trat Tisza der EVP-Fraktion im EU-Parlament bei, nachdem Fidesz vor drei Jahren ausgetreten war. Mit dem Parlament in Brüssel verfügt der politische Neuling nun über eine Bühne, auf der er Orbán prominent ansprechen und angreifen kann. In Ungarn selbst haben Magyaren dieses Jahr Massendemonstrationen gegen die Regierung angeführt.
Es ist nicht das erste Mal, dass Orbán Vetternwirtschaft vorgeworfen wird. Auch in Brüssel gibt es seit langem Bedenken. Deshalb hält die Europäische Union weiterhin 20 Milliarden Euro an Geldern zurück. Magyar will dieses eingefrorene Geld zurückbekommen. Der Tisza-Chef kündigte an, dass eine Regierung unter seiner Führung im Gegensatz zu Orbán der Europäischen Staatsanwaltschaft beitreten und gegen Korruption vorgehen werde.
Orbán selbst weist alle Vorwürfe zurück. „Wie und wer ein Projekt abschließt, ist nicht Sache der Regierung und ich möchte mich auch nicht damit befassen“, sagte der ungarische Ministerpräsident auf einer Pressekonferenz in Brüssel.
Ob Orbán das Thema aussitzen kann, wird auch davon abhängen, wie gefährlich ihm Péter Magyar tatsächlich wird.
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