Eine überkonfessionelle Sozialarbeiterin bewarb sich erfolglos bei der Diakonie. Nach vielen Verfahren steht nun die Rechtsprechung von EuGH und BAG dem BVerfG entgegen. Dieser verkündet nun seine Entscheidung.
„Egenberger“ – das ist mittlerweile ein Fachbegriff im kirchlichen Arbeitsrecht. Es ist der Name einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), die das kirchliche Arbeitsrecht bereits erheblich verändert hat (Urteil vom 17. April 2018, Aktenzeichen C-414/16). Und es ist der Nachname von Vera Egenberger, einer heute 63-jährigen Sozialarbeiterin, die für dieses Urteil gekämpft hat. Das Verfahren ist seit sechs Jahren beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängig. Am Donnerstag wird der Zweite Senat seine Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde der Diakonie (Az. 2 BvR 934/19) bekannt geben.
Dann wird das BVerfG entweder seine Rechtsprechung an die des EuGH angleichen. Oder es manifestiert das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen gemäß seiner bisherigen Rechtsprechung – und weicht damit erneut vom EuGH ab. Aber dazu später mehr.
Mit der Stellenausschreibung fing alles an: Vor rund 13 Jahren bewarb sich Egenberger um eine Stelle bei der Diakonie. Es handelte sich um eine auf zwei Jahre befristete 60-Prozent-Stelle für ein Forschungsprojekt zum Thema Antirassismus. Doch Egenberger hatte die Kirche verlassen. Sie bekam den Job nicht – und klagte vor dem Arbeitsgericht Berlin (ArbG), wo sie ihren Anspruch auf Abfindung nach § 15 AGG geltend machte und obsiegte (Urteil vom 18.12.2013, Az. 54 Ca 6322/13). Beide Parteien wollten sich damals nicht einigen.
Das ArbG entschied bereits, dass die Diakonie die Erwerbstätigkeit nicht von der Kirchenmitgliedschaft hätte abhängig machen dürfen. Das Thema Antirassismus ist auch im Hinblick auf religiöse und diakonische Werte wichtig; Eine Religionszugehörigkeit ist für die ausgeschriebene Stelle jedoch nicht erforderlich. Die Diakonie berief sich daher nicht auf das in Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 140 GG gewährleistete Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. V. m. Art 137 II Weimarer Reichsverfassung (WRV). Eine nach § 9 AGG zulässige Ungleichbehandlung aufgrund der Religion liegt daher nicht vor. Egenberger bekam eine Entschädigung von rund 2.000 Euro zugesprochen. Rückblickend hätte es an diesem Punkt enden können – diese wesentlichen Aussagen wurden auch viel später vom Bundesarbeitsgericht (BAG) und vom EuGH getroffen.
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg sah das damals anders, beschränkte die gerichtliche Kontrolle über die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts auf Missbrauchskontrolle – das Bundesverfassungsgericht (BVerfG nennt sie Plausibilitätskontrolle) – hob die erstinstanzliche Entscheidung auf und wies die Klage pauschal ab (Urteil vom 28.05.2014, Az. 4 Sa 157/14, 4 Sa 238/14).
Egenbergers erste Eingabe des BAG zur Ausnahmeregelung für Kirchen
Also ging es weiter nach Erfurt zum Bundesarbeitsgericht (BAG), das den EuGH in Luxemburg um eine Vorabentscheidung bat. Dieser Egenberger-Fall war somit die erste Vorlage und die erste Entscheidung zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung aus religiösen Gründen auf der Grundlage der in Artikel 4 Abs. 2 der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie (2000/78/EG) vorgesehenen Ausnahmeregelung für Kirchen (u. a.) – und eines von insgesamt vier Verfahren in diesem Rechtskomplex mit bisher nur zwei Urteilen des EuGH – das zweite war der Chefarztfall (IR, EuGH, Urteil vom 11. 2018, Az.: C-68/17) einige Monate später. In einem dritten – ebenfalls vom BAG eingereichten – Fall einer Hebamme hat die Caritas nach entsprechenden Erkenntnissen vor dem EuGH einen Vergleich geschlossen. Nun gibt es bei der Tätigkeit in der Schwangerschaftsberatung noch das Kündigungsverfahren wegen Kirchenaustritts.
Der EuGH entschied: Die Gerichte müssen auch kirchliche Entscheidungen überprüfen können (Urteil vom 17.04.2018, Aktenzeichen C-414/16). Sie müssen entscheiden können, ob die Kirchenmitgliedschaft in der konkreten Position objektiv notwendig und verhältnismäßig ist. Darüber hinaus muss die Kirchenmitgliedschaft „wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt“ sein.
Zwar legt Artikel 17 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) fest, dass die EU den Status der Kirchen in den Mitgliedstaaten und die sie betreffenden nationalen Regelungen respektiert und nicht beeinträchtigt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Kirchen vom Geltungsbereich des EU-Rechts ausgeschlossen sind.
Das Verfahren ging zurück an das BAG, das Egenberger wenig überraschend eine Entschädigung zusprach (Urteil vom 25.10.2018, Aktenzeichen: 8 AZR 501/14), die Diakonie legte daraufhin Berufung beim BVerfG ein.
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BVerfG gegen EuGH und BAG
Der Fall Egenberger gelangte direkt vom BAG zum EuGH, sodass er dort deutlich schneller ankam als der ältere Fall des Chefarztes, der wegen Wiederverheiratung entlassen wurde.
Das BAG entschied den Chefarztfall zunächst selbst und beurteilte seine Kündigung als diskriminierend und damit rechtswidrig (Urteil vom 8. September 2011, Az.: 2 AZR 543/10) – und gab damit seine bisher gültige Rechtsprechung auf Basis von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) auf. Doch der katholische Träger des Arztes rief das BVerfG an – und dieses hob die Entscheidung des BAG wegen des Selbstbestimmungsrechts der Kirchen auf (BVerfG, Beschluss vom 22.10.2014, Az. 2 BvR 661/12). Die Kirchen sollen über ihre Angelegenheiten selbst entscheiden können. Das Verfahren ging zurück zum BAG, das jedoch nicht aufgab und auch in diesem Fall den EuGH anrief.
Auch der EuGH blieb bei seiner Linie mit dem Chefarzt, ebenso wie das BAG: Dieses erklärte erneut die Chefarztkündigung für diskriminierend und rechtswidrig (BAG, Urteil vom 20.02.2019, Az.: 2 AZR 746/14) – der katholische Anbieter rief das BVerfG im Chefarztfall nicht erneut an.
Zum kirchlichen Arbeitsrecht liegen mittlerweile zwei EuGH-Entscheidungen vor, die beide im Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung des BVerfG stehen. Dies gibt den Kirchen seit Jahrzehnten mit Blick auf das verfassungsrechtlich verankerte Selbstbestimmungsrecht auch das Recht, die Arbeitsverhältnisse ihrer Mitarbeiter nach dem Vorbild der „Christlichen Dienstgemeinschaft“ auszurichten (Urteil vom 4. Juni 1985, Nr. 2 BvR 1703/83, 1718/83 und 856/84) – auch mit Regelungen für das Privatleben. Das BAG folgte lange Zeit der Rechtsprechung dieses Gerichts.
Am Donnerstag wird das BVerfG seine Entscheidung in der Sache Egenberger veröffentlichen, dann wird sich zeigen, ob sich die Karlsruher Richter an diese Grundsätze halten (Az. 2 BvR 934/19).
„Ich war mir der Auswirkungen bewusst“
Für Vera Egenberger endet das Verfahren am Donnerstag nach gut 13 Jahren – auch wenn sie keine Partei mehr vor dem BVerfG ist. „Als der EuGH und das BAG die Klage zu meinen Gunsten entschieden, wurde mir und nicht nur mir klar, dass die bisherige Einstellungspraxis konfessioneller Arbeitgeber, in allen Fällen eine Kirchenmitgliedschaft zu verlangen, nicht mehr aufrechterhalten werden konnte“, erzählt sie LTO. Durch die Klage konnte sie ihren Beitrag für etwas mehr Diskriminierungsfreiheit leisten – sie war sich der Auswirkungen bewusst. „Ich hatte Unterstützung von sehr guten Anwälten, aber auch von meiner Verdi-Gewerkschaft, die die Kosten des Rechtsstreits übernommen hat. Das hat mir den langen Weg durch die Gerichte sehr erleichtert.“
An ihrer Seite standen der Hamburger Rechtsanwalt Dr. Klaus Bertelsmann, dies ist der letzte Fall für den heute 76-Jährigen, sowie Professor Dr. Christian Walter von der LMU München. Darüber hinaus hat das sogenannte Institut für Weltanschauungsrecht, das mit sehr renommierten Rechtswissenschaftlern und Verfechtern einer säkularen Rechtspolitik besetzt ist, in dem Fall ein Gutachten erstellen lassen und dieses dem BVerfG vorgelegt. Darin kamen Prof. Dr. Bodo Pieroth und der Studienrat Dr. Tristan Barczak zu dem Schluss, dass die Verfassungsbeschwerde der Diakonie unbegründet sei.
Aber auch namhafte Professoren waren für die Diakonie vertreten: vor dem EuGH durch Dr. Matthias Sandmaier von Littler, Prof. Dr. Matthias Ruffert von der HMU Berlin und Prof. Dr. Gregor Thüsing von der Universität Bonn.
„Für Kirche und Diakonie geht es um eine in der Verfassung verankerte Rechtslage, die über den Umweg des europäischen Antidiskriminierungsrechts gefährdet ist. Deshalb blieb der Diakonie eigentlich nichts anderes übrig, als zu kämpfen. Schließlich geht es um das Selbstbestimmungsrecht der Kirche. Und für die Gegenseite geht es auch um eine grundsätzliche Frage“, teilte Dr. „Unabhängig vom Inhalt der Entscheidung lässt sich schon jetzt sagen, dass sich voraussichtlich nicht viel ändern wird. Die Rechtslage im evangelischen Kirchenrecht hat sich mit der neuen Kooperationsrichtlinie (vormals Loyalitätsrichtlinie) im Vergleich zur Rechtslage zur Zeit Egenbergers deutlich verändert sollen.“
Die Kirchen selbst haben bereits vor einigen Jahren gehandelt und ihre Einstellungsvoraussetzungen an die europäischen Anforderungen angepasst: Die katholische Kirche hat 2022 eine neue Kirchengrundordnung verabschiedet. Das bedeutet, dass die Religionszugehörigkeit nur dann ein Einstellungskriterium ist, wenn sie für die jeweilige Position erforderlich ist. Auch die Diakonie hat ihre Regelungen zum kirchlichen Arbeitsrecht im Jahr 2023 angepasst. Mit diesen Änderungen begann das noch beim EuGH anhängige Schwangerschaftsberatungsverfahren der Frau.
Zitiervorschlag
BVerfG zu konfessionslosen Antragstellern: . In: Legal Tribune Online, 22. Oktober 2025, https://www.lto.de/persistent/a_id/58444 (abgerufen am: 23. Oktober 2025)
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