Besetzt Israel den Libanon?

Besetzt Israel den Libanon?

Es sollte eine abschreckende Botschaft sein, als am Sonntag Raketen der Hisbollah in der Nähe der israelischen Hafenstadt Haifa einschlugen, mehrere Zivilisten verletzten und einen Luftwaffenstützpunkt trafen.

Die schiitische Miliz wollte vor allem eines beweisen: Trotz jüngster Rückschläge durch israelische Angriffe kann sie vom Libanon aus tief ins Innere Israels feuern.

Internationale Beobachter warnen vor einer Eskalation des Krieges

Wegen des Einschlags von Hisbollah-Raketen rund 70 Kilometer südlich der israelisch-libanesischen Grenze musste Israel im Norden des Landes zahlreiche Schulen schließen, Großveranstaltungen verbieten, Sicherheitsmaßnahmen für Krankenhäuser anordnen und den Flugverkehr einschränken.

In den letzten Monaten hat die israelische Armee rund 17 Manöver zur Vorbereitung einer Invasion des Libanon durchgeführt.

Simon Wolfgang FuchsNahost-Experte

Der Beschuss folgte auf israelische Luftangriffe in der Nacht zuvor im Südlibanon, bei denen nach Angaben der israelischen Armee fast 300 Stützpunkte und Kampfstellungen der Hisbollah getroffen wurden.

Die israelischen Angriffe enthielten auch eine Botschaft: Der jüdische Staat will die Hisbollah zum Rückzug von der israelischen Grenze zwingen. Die Angriffe auf die Hisbollah würden weiter zunehmen, teilte die israelische Armee (IDF) mit.

Seit Tagen weitet Israels Armee ihre Angriffe auf den Libanon aus. Letzte Woche explodierten im ganzen Land angeblich vom israelischen Geheimdienst manipulierte Pager und Walkie-Talkies, seit Freitag mehrten sich die Luftangriffe. Plant Israel nun, noch tiefer ins nördliche Nachbarland vorzudringen?

In Kiriat Bialik nahe der Hafenstadt Haifa wurden mehrere Häuser vom Beschuss der Hisbollah getroffen.

© AFP/Jack Guez

„Mit rund 17 Manövern hat sich die israelische Armee in den vergangenen Monaten auf eine Invasion des Libanon vorbereitet“, sagte Simon Wolfgang Fuchs, Professor für Nahoststudien an der Hebräischen Universität in Jerusalem, dem „Tagesspiegel“.

Die israelischen Streitkräfte haben in jüngster Zeit wiederholt gezielte Übungen in Gebieten durchgeführt, die der Landschaft im Libanon ähneln.

Dennoch gibt es derzeit keine Anzeichen für eine israelische Bodenoffensive im Libanon. Gleichzeitig warnen internationale Beobachter, dass die gegenseitigen Angriffe mit Kampfjets und Raketen schnell zu einem neuen Krieg eskalieren könnten.

Die Region stehe „am Rande einer Katastrophe“, sagte die UN-Koordinatorin für den Libanon, Jeanine Hennis-Plasschaert. Eine militärische Lösung gebe es nicht.

Israels Armeeführung gespalten

Israels Regierung sieht das offenbar anders. Mit den Luftschlägen und Geheimdienstoperationen will sie die Lage mit der Hisbollah wieder in den Zustand versetzen, der vor dem 7. Oktober vergangenen Jahres herrschte: Vor Ausbruch des Gaza-Kriegs war die Lage an der israelisch-libanesischen Grenze relativ stabil.

Besonders Kiriat Bialik nahe der Hafenstadt Haifa wurde vom Beschuss der Hisbollah getroffen.

© AFP/JACK GUEZ

Seit letztem Oktober feuert die Hisbollah fast täglich Raketen und Drohnen auf Israel ab, um die Hamas im Gazastreifen zu unterstützen.

Israel reagierte mit Luftangriffen. Zehntausende Zivilisten in Israel und im Libanon mussten das Grenzgebiet verlassen. Mit zunehmendem militärischen Druck will Israel die Hisbollah zum Rückzug aus dem Grenzgebiet zwingen, wie es eine UN-Resolution verlangt.

Doch ob ein weiterer Vorstoß im Libanon wirklich sinnvoll ist, darüber ist sich die Armeeführung noch immer uneinig, meint Simon Wolfgang Fuchs.

„Politisch ist noch keine Entscheidung gefallen – Benjamin Netanjahu hat alle Forderungen von Verteidigungsminister Yoav Gallant nach einem entscheidenden Schlag gegen die Hisbollah unmittelbar nach dem 7. Oktober und darüber hinaus konsequent zurückgewiesen.“

Klar ist allerdings auch: Solange der Krieg im Gazastreifen andauert, wird die Hisbollah ihre Angriffe nicht einstellen.

Simon Wolfgang FuchsNahost-Experte

Erst vergangene Woche hatte Gallant eine „neue Phase des Krieges“ angekündigt. Nach dem Krieg gegen die Hamas werde sich der Fokus durch die Umleitung von Ressourcen und Kräften nach Norden verlagern, sagte er. Von einem größeren Einsatz im Libanon war allerdings nicht die Rede.

Hisbollah-Chef zögert mit „Vergeltungsschlag“

„In Israel scheint man derzeit abzuwarten, ob die Hisbollah ihre Angriffe ausweiten wird – und ob der massive Pager-Angriff und die großangelegten Luftangriffe der vergangenen Tage bereits Wirkung zeigen“, vermutet Politikwissenschaftler Fuchs.

Bei den Pager-Angriffen letzte Woche starben Dutzende Menschen und Tausende wurden in Krankenhäusern behandelt.

© AFP/Unbekannt

Auch Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah kündigte Vergeltung für die jüngsten israelischen Angriffe an, erklärte Israel jedoch keinen Krieg. Nasrallahs Schirmherr, der iranische Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei, rief ebenfalls nicht zu Waffen.

In einem Appell auf Plattform X rief Khamenei zu mehr Zusammenarbeit zwischen den islamischen Staaten gegen Israel auf.

Doch Khamenei zögert weiterhin mit einem iranischen Vergeltungsschlag für die israelische Ermordung des Hamas-Führers Ismail Hanija in Teheran vor knapp zwei Monaten. Auch Nasrallahs Zurückhaltung dürfte mit der Führung in Teheran abgesprochen gewesen sein.

„Klar ist auch“, sagt der Politikwissenschaftler Simon Wolfgang Fuchs, „dass die Hisbollah ihre Angriffe nicht einstellen wird, solange der Krieg in Gaza anhält.“ In seiner jüngsten Rede kündigte Hisbollah-Chef Nasrallah erneut Vergeltung an:

Doch sowohl der iranische Revolutionsführer Khamenei als auch Hisbollah-Chef Nasrallah sind in dem Konflikt im Nachteil.

Ihre Truppen und Waffen sind denen Israels unterlegen und ihre Kommunikationsnetze sind vom Mossad infiltriert. Beide schießen vor allem rhetorische Angriffe gegen Israel ab. Israel wird sich davon nicht beeindrucken lassen.

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