Alte Pläne in Paris: Innenminister will neues Migrationsgesetz einführen

Bruno Retailleau läuft die Zeit davon. Reformen, die Macron im Frühjahr verhindert hatte, werden unabdingbar. Die innere Sicherheit erfordert es. Manches von dem, was der Minister sagt, klingt radikal – etwa die Abkehr vom Territorialprinzip in der Staatsbürgerschaft.

Frankreichs Innenminister Bruno Retailleau, Paris, 23. Oktober 2024

picture-alliance / abaca | Lafargue Raphael/ABACA

Beim Konservativen Figaro man glaubt nicht mehr, dass die Franzosen noch großes Vertrauen in ihre Herrscher haben. Dadurch hören die Franzosen gar nicht mehr, was aus den Pariser Lautsprechern auf sie herabregnet. Sie glauben einfach nicht mehr daran. Emmanuel Macrons Umgang mit den Verfassungsorganen Parlament und Regierung gilt als fahrlässig, als „Russisches Roulette“ – obwohl er eigentlich gar nicht so schlimm war. Es gab ernsthafte Anzeichen dafür, dass der Präsident die relative Mehrheit (im engeren Sinne: Nichtmehrheit) im Parlament verlieren könnte. Und er hatte Recht, als er das Urteil der (bei den EU-Wahlen favorisierten) Franzosen überprüfte. Weniger recht hatte er, den Erfolg des Rassemblement national (RN) mit allen Mitteln zu vereiteln und mit willkürlichen Partnern zu paktieren. Aber das ist Politik. Macron spielte weniger russisches Roulette als „Grand without four“ (und mit viel Beton).

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Jetzt hat Frankreich eine Regierung rechts von der Mitte, weil im Grunde das Ergebnis der nationalen Wahlen immer noch so war, dass nicht die Linke die absolute Mehrheit erreichte, sondern ein – ebenfalls nicht existierender – Block aus Mitte, Rechten und Patrioten Parteien Parteien, die das Links-Rechts-Schema ablehnen. Die Regierung von Michel Barnier ist eine Minderheitsregierung, die „im Geiste“ bereit ist, Marine Le Pen zu unterstützen. Hier wurde Bruno Retailleau zum Innenminister ernannt, der als Siegel des Rechtskonservatismus unter den Républicains gilt.

Emmanuel Macron hat nun „seinen“ Innenminister getroffen. Retailleau ist immer noch Macrons Innenminister, vielleicht sogar Macrons Innenminister „seiner Wahl“. Aber das wissen Sie nicht. Retailleau seinerseits sprach von „verdienter Loyalität“, was eher wie eine Vernunftehe klingt. Das macht Sinn, denn der derzeitige Innenminister war zuvor als Senator vom Präsidenten sehr enttäuscht worden, insbesondere in Fragen der Einwanderung. Doch das stört den Minister nicht. Er will offenbar Ergebnisse sicherstellen, unabhängig von den Konstellationen und Bedingungen.

„Man kann nicht mehr Franzose werden, ohne es zu merken“

Für Bruno Retailleau hat die Einwanderung keine Vorteile, für Macron jedoch schon. Der Innenminister will das von Macron im Frühjahr entkernte und enthauptete Einwanderungsgesetz wieder einführen – mit Hilfe des Verfassungsrates. Darüber hinaus muss Retailleau wie Faeser in Deutschland auch die EU-Asylreform mit einem Gesetz umsetzen. Vielleicht wird er für beide Zwecke auch ein neues Gesetz schreiben und darin etwas Neues einbauen. Auch er scheint die Sache noch etwas verschärfen zu wollen, hat aber noch ein paar Trümpfe im Ärmel, etwa ein Referendum und eine Verfassungsreform, die viele Konservative aus pragmatischen Gründen wollen.

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Retailleau gibt sich bescheiden: „Ich schlage nichts anderes vor als das, was bereits vor einigen Monaten von der Mehrheit von Gabriel Attal beschlossen wurde.“ Die Haft für ausreisepflichtige Ausländer sollte verlängert, die Familienzusammenführung und das Territorialprinzip der Staatsbürgerschaft (Jus soli) eingeschränkt werden. Das Gegenteil ist das jus sanguinis, das die Staatsbürgerschaft nach Abstammung verleiht und in Deutschland lange Zeit vorherrschend war.

„Man kann nicht mehr Franzose werden, ohne es zu merken“, fordert der Minister. Und das würde bedeuten, dass kein Kind von Ausländern durch die Geburt auf französischem Boden automatisch die französische Staatsbürgerschaft erhalten würde. Das wäre ein radikaler Schritt für die Republik, die bisher glaubte, Menschen aus allen Teilen der Welt auf ein und dieselbe französische Identität einschwören zu können. Retailleau will vorerst keine Verfassungsreform vorschlagen, die Teile der Rechten fordern.

Retailleau weist darauf hin, dass die parlamentarische Mehrheit, die damals für den Gesetzentwurf gestimmt hatte, ihn offenbar für „nützlich“ hielt. Zudem wünschen sich laut einer Umfrage 71 Prozent der Franzosen den Inhalt des Gesetzes. Im Frühjahr hat der Verfassungsrat große Teile des Gesetzes aufgehoben, nur weil die Absicht des Gesetzes nicht dem entsprach, was Republikaner und Lepenisten dachten und wozu sie es umgeschrieben hatten. Und so wurden bestimmte Regelungen, die an sich möglich waren, wieder gestrichen. Das musste und musst du nicht verstehen.

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Darüber hinaus soll die medizinische Versorgung illegal in Frankreich lebender Migranten gestrichen und der Straftatbestand des illegalen („irregulären“) Aufenthalts wieder eingeführt werden. Dies macht Frankreich für Migranten ohne Abschluss äußerst attraktiv. Das sei sogar weltweit einzigartig, sagt Retailleau. Retailleau nennt dies „Bestbieter“. Allerdings müsste dann Deutschland der beste Bieter sein. Die Abschaffung dieses freien Instituts ist längst überfällig.

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Der Minister hält sich vorerst mit seiner Forderung nach einem Referendum über die illegale Migration zurück, die seiner Meinung nach eines der Phänomene ist, „die die französische Gesellschaft in den letzten 50 Jahren am meisten erschüttert haben“, ohne dass die Franzosen jemals dazu konsultiert wurden darüber. Diese Aussage stammt erst von Ende September. Laut Retailleau ist „Einwanderung keine Chance“. Macron verwies – als Reaktion auf Retailleau – auf die polnische Marie Curie und die armenischen Vorfahren von Charles Aznavour. In Frankreich gibt es Millionen Doppelstaatler und mindestens ebenso viele Franzosen mit Migrationshintergrund. Aber diese Zahlen bedeuten nichts.

Der Trick besteht darin, dass die beiden Politiker über unterschiedliche Ausmaße der Einwanderung sprechen. Die Vorfahren von Marie Curie und Aznavour gehörten derselben Kultur an wie die Franzosen. Etwas ganz anderes ist die heutige muslimische Einwanderung, die nicht aufgrund der Zahlen, sondern auch aufgrund der Besonderheiten der Kultur zur Integration führt.

Abstiegsstrecke an Sicherheitsstopps

Unterdessen berichtet das Magazin Aktuelle Wertedass fast ein Drittel der Franzosen inzwischen gegen neue Sozialwohnungen in der Nähe ihrer Nachbarschaft sind. Dieser Prozentsatz war noch nie so hoch. Im Jahr 2005 waren es nur elf Prozent, die dies sagten. Der Wert hat sich in zwanzig Jahren verdreifacht. Noch kritischer sind junge Menschen: 53 Prozent der 25- bis 34-Jährigen wollen keinen neuen Sozialwohnungsbau in ihrer Gegend.

Die Flut an „gemischten Berichten“ geht weiter, in denen Schüler ihre Lehrer schikanieren, die Polizei in Marseille verfällt zunehmend in den „Blues“, dass Rentner erdrosselt werden und „Meinungsverschiedenheiten“ gewaltsam, etwa mit Eisenstangen, ausgetragen werden Schusswaffen. Diese Liste ließe sich fortsetzen: Eine 17-Jährige aus einer „sensiblen Nachbarschaft“ wurde von ihren Eltern „rasiert, verbrüht und geschlagen“, weil sie Kontakt zu Jungen hatte. Mittlerweile wird die Justiz träger und verfolgt weniger Straftaten, weil sie sonst nicht mithalten kann. Der abfallende Weg ist noch nicht verlassen. Innenminister Retailleau, der vor allem die „Wiederherstellung der Ordnung“ versprochen hat, wird über einen längeren Zeitraum allein an diesem Ziel arbeiten müssen.

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