Die wichtigste Säule ist seit langem die Industrie. Fast 60 Prozent des weltweiten Silberbedarfs stammen heute aus industriellen Anwendungen – Tendenz steigend. Nach Angaben des Silberinstitut Der Industrieverbrauch erreichte um das Jahr 2024 herum ein Rekordhoch 680 Millionen Unzeneine Steigerung von vier Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das Wachstum wird durch mehrere Megatrends vorangetrieben: Elektrifizierung, Digitalisierung, Energiewende. Im Photovoltaik allein waren zuletzt fast 200 Millionen Unzen konsumiert – doppelt so viel wie vor zehn Jahren. Hinzu kommt rund 90 Millionen Unzen pro Jahr für den AutomobilbereichInsbesondere aufgrund der rasanten Verbreitung von Elektrofahrzeugen und der zunehmenden Anzahl elektrischer Kontakte, Sensoren und Ladeinfrastruktur. Zusätzliches Silber steckt in Smartphones, 5G-Komponenten, Hochleistungschips und Medizintechnik, was insgesamt jedes Jahr Hunderte Millionen Geräte betrifft. Der entscheidende Punkt: Dieses Silber ist in der Regel dauerhaft „verbraucht“. Es verschwindet in Bauteilen, die technisch schwer zu recyceln sind oder sich nicht wirtschaftlich recyceln lassen.
Schmuck, Tradition und Investoren – die anderen SäulenDie zweite Säuleder fast ein Viertel der Nachfrage ausmacht, ist der klassische Consumer-Bereich – Schmuck, Silberwaren und auch Fotografie. Weltweit ist dieser Sektor leicht rückläufig, bleibt aber kulturell verankert, insbesondere in Indien, wo Silber sowohl als Schmuckstück als auch als Investition geschätzt wird. Dort stabilisieren Schmuckverkäufe den Weltmarkt und bilden ein Gegengewicht zur rückläufigen Nachfrage in westlichen Ländern.
Die dritte Säule ist endlich das Investitionsnachfrage. Münzen, Barren, ETFs und außerbörsliche Käufe machten auch 2024 mit rund 18 Prozent einen großen Anteil aus, wenn auch etwas weniger als in den Rekordjahren 2020–2022. Das Umfeld hoher Inflation und geopolitischer Spannungen hält die Nachfrage hoch und zum ersten Mal seit Jahrzehnten zeigen sogar Zentralbanken wieder Interesse an dem Metall – allen voran Russland, das künftig Silber in seine Reserven aufnehmen will.
Für das Jahr 2025 geht das Silver Institute davon aus, dass die Gesamtnachfrage für alle drei Säulen weiterhin robust bei etwa liegt 1,2 Milliarden Unzen.
Wenn die Nachfrage an Grenzen stößt
Also zu den Konsequenzen: Seit 2021 produziert der Silbermarkt jedes Jahr weniger Metall, als verbraucht wird. Laut World Silver Survey 2025 beliefen sich die Defizite bis Ende 2024 auf rund 678 Millionen Unzen – das entspricht fast einer gesamten Jahresproduktion. Die Minenproduktion stagniert und die Recyclingmenge kann das Delta nicht ausgleichen. Im Jahr 2024 betrug die weltweite Produktion 820 Millionen Unzen und das Recycling 194 Millionen Unzen, also nur rund ein Sechstel des Bedarfs. Dadurch entsteht Jahr für Jahr eine Lücke, die bisher nur durch den Abbau vorhandener Lagerbestände geschlossen werden konnte.
Tatsächlich fungieren diese Lager – beispielsweise in den LBMA-Tresoren in London oder in den COMEX-Depots in den USA – als stille Puffer. Aber sie schrumpfen. In London sanken die Lagerbestände von rund 35.000 Tonnen Anfang 2021 auf rund 24.600 Tonnen im Herbst 2025. Auch die lieferbaren Mengen an der COMEX sind seit Jahren rückläufig. Noch sind genügend Vorräte vorhanden, um die Defizite abzufedern, aber die Richtung ist klar: Der Puffer wird dünner.
Dies ist die stille Kraft, die den Silberpreis grundsätzlich stützt. Die industrielle Nachfrage zehrt unaufhaltsam an den Lagerbeständen, während das Recycling an seine technischen Grenzen stößt. Ein Großteil des Silbers, das in Solarzellen, Leiterbahnen oder medizinischen Anwendungen landet, geht wirtschaftlich verloren. Im Gegensatz zu Gold wird Silber nicht gehortet, sondern tatsächlich verbraucht. Selbst wenn die Minenproduktion leicht wächst, bleibt das strukturelle Defizit bestehen – und der „Lagerberg“ nimmt jedes Jahr ab, was bislang beruhigend wirkt.
Insgesamt hat sich die Nachfrageseite von Silber in den letzten 15 Jahren radikal verändert. Ein Edelmetall mit zyklischem Anlagecharakter ist zu einem wichtigen Industrierohstoff geworden, dessen Verbrauch weitgehend nicht mehr umkehrbar ist. Dies erklärt, warum der Markt trotz Rekordproduktion weiterhin angespannt bleibt. Für Anleger bedeutet das: Solange die Energiewende, die Digitalisierung und der Umbau der globalen Infrastruktur an Dynamik gewinnen, dürfte Silber einen wachsenden inneren Wert entwickeln – unabhängig von kurzfristigen Preisschwankungen.
Ausblick: Wie schnell kann die Angebotsseite reagieren?
Aber egal wie stark die Nachfrageseite ist, die entscheidende Frage nach dem „fairen Preis“ von Silber bzw. nach der möglichen zukünftigen Preisdynamik kann nur beantwortet werden, wenn man sie versteht Angebotsseite
Ein genauerer Blick: Wer fördert eigentlich Silber, wie abhängig ist das Angebot von anderen Metallen, wie preissensitiv und wie erweiterbar ist das Angebot und welche Rolle spielt Recycling in Zukunft wirklich? Darum geht es im nächsten Teil dieser Serie.
Über den Autor: Tim Broning ist Diplom-Ökonom und Betriebswirt und seit über 30 Jahren am Börsen- und Finanzmarkt tätig. Er war viele Jahre bei der Siemens AG sowohl im Energiesektor als auch im Zentralvorstand in den Abteilungen Strategie und M&A tätig und beschäftigte sich dort schon früh mit der Marktanalyse, der strategischen Ausrichtung und der Unternehmensbewertung. In den letzten 15 Jahren war er ausschließlich in leitenden Managementpositionen im Finanzdienstleistungsmarkt tätig, wo er sich unter anderem auf makroökonomische Fragestellungen, Fondsanalyse und Fondsauswahl konzentrierte. Ein besonderer Fokus liegt seit Jahren auf dem Rohstoffmarkt.
Klicken Sie hier für Teil 1 der TiAM-Serie zum Thema Silber: „Silber auf Rekordkurs: Anstoß zur zweiten Halbzeit„
Nächste Woche lesen Sie an gleicher Stelle Teil 3 der TiAM-Serie zum Thema Silber: „Silber am Limit – Warum selbst hohe Preise kein neues Angebot schaffen“