Analyse
Wüsts sehr deutlich zum Ausdruck gebrachte Unterstützung für Merz ist ein klares Signal an Söder. Es wird interessant sein zu sehen, wie sich die anderen Spitzenpolitiker der Union in den nächsten Tagen verhalten.
Hendrik Wüst hält sich an sein Drehbuch: Er will nichts dem Zufall überlassen, ihm will kein unbedachtes Wort herausrutschen. Und wenn Journalisten ihn fragen, muss er freimütig antworten, ohne Drehbuch bleibt er wortkarg. So bleibt unklar, ob das, was er verkündet, in irgendeiner Weise mit anderen CDU/CSU-Landeschefs, vor allem mit dem in München, abgesprochen war.
Für Bayerns Ministerpräsident Markus Söder dürfte sich die Ankündigung seines nordrhein-westfälischen Kollegen wie ein Schlag ins Gesicht anfühlen: Dass er selbst nicht Kanzlerkandidat der Union werden will und stattdessen CDU-Chef Friedrich Merz unterstützt – das beschloss der Vorstand der NRW-CDU am Montagnachmittag. Nicht per Abstimmung, sondern per Nicken, wie man später nebenbei erfuhr.
Unterstützung für Merz vom Heimatverband
In Bayern ist man offenbar überrascht: Aus München gab es zunächst keine offizielle Reaktion. Markus Söder war offenbar davon ausgegangen, dass das Kandidatenaufstellungsverfahren anders ablaufen würde. Er werde sich einem Aufruf nicht ducken, hatte er gesagt. Aus Düsseldorf wird er jedenfalls nicht aufgerufen: Der größte Landesverband der CDU setzt auf einen Kandidaten aus den eigenen Reihen.
„Für die Christdemokraten in Nordrhein-Westfalen ist Friedrich Merz nicht nur unser Bundesvorsitzender. Friedrich Merz ist einer von uns, tief verwurzelt im Sauerland. Friedrich Merz hat politische Verantwortung übernommen. Er war bereit, in einer für die deutsche Christdemokratie sehr schwierigen Zeit die Führung und damit das Ruder zu übernehmen. Er hat unsere Partei wieder geeint und in ruhigere Gewässer gebracht“, heißt es darin. Und weiter: „Friedrich Merz kann auf die Unterstützung seines Heimatverbandes bauen.“ Rund ein Dutzend Mal fällt der Name Merz in der 20-minütigen Rede.
„Das Vertrauen in die Demokratie ist in Gefahr“
Der Bogen, den Wüst zu den entscheidenden Sätzen zu seinem Rücktritt spannt, ist weit. Es sehe nicht gut aus für Deutschland im Spätsommer 2024 nach dem Terroranschlag in Solingen und den Wahlen in Sachsen und Thüringen: „Deutschland erlebt eine Krise, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt und das Vertrauen in unsere Demokratie gefährdet.“
Es zeige sich, dass die Fundamente der drei zentralen Versprechen der deutschen Demokratie beschädigt seien: „Erstens das Versprechen der Sicherheit nach innen und nach außen. Zweitens das Wohlstandsversprechen der sozialen Marktwirtschaft. Drittens das Versprechen des Aufstiegs durch Bildung. In den Augen vieler Menschen haben diese zentralen Versprechen ihre Gültigkeit verloren. Wir müssen diese Fundamente reparieren, um unsere Demokratie zu sichern.“
Ersetzen Sie die „schlechteste Regierung“
Um dieses Fundament wiederherzustellen, sei ein Regierungswechsel nötig, sagte Wüst: „Es ist geradezu tragisch, dass in dieser Zeit historischer Herausforderungen die schlechteste Bundesregierung der Geschichte Deutschland regiert.“ Nur einer starken und geeinten Union werde es gelingen, die Ampel-Regierung abzulösen.
Und hier wird die Argumentation etwas holprig und Wüst bleibt bei den Worten im Manuskript:
Als Vorsitzender des größten Landesverbandes der CDU ist es meine Pflicht, diese Einheit zu fördern und zu sichern. Deshalb habe ich heute den Landesvorstand der CDU Nordrhein-Westfalen darüber informiert, dass ich unter den gegebenen Umständen nicht als Kanzlerkandidat der Union für die Bundestagswahl 2025 zur Verfügung stehe. Meine Aufgaben liegen hier in Nordrhein-Westfalen. Zugleich habe ich den Landesvorstand gebeten, unseren Bundesvorsitzenden Friedrich Merz als Kanzlerkandidat zu unterstützen.
Bitte kein Stören
Und seine Worte, er erinnere sich gut an die Gründe, warum die Union den letzten Bundestagswahlkampf verlor, kann man in München als Warnschuss deuten: „Die Lehre aus 2021 ist, dass es eine Grundvoraussetzung für gemeinsamen Wahlerfolg gibt: die Geschlossenheit von CDU und Union als Ganzes.“ Also bitte keine Störfeuer und Sticheleien von CSU-Chef Söder wie damals gegen den Spitzenkandidaten Armin Laschet.
Wüst: „Sag niemals, niemals, nie“
Ob und wann weitere CDU/CSU-Landeschefs Wüsts Beispiel folgen, ist noch unklar. Am kommenden Sonntag ist in Brandenburg Wahl. Die CDU könnte dort auf Platz drei oder vier landen. Es wird allerdings erwartet, dass Merz am kommenden Montag offiziell seine Kanzlerkandidatur bekannt gibt.
Und wie sehen Wüsts weitere Karrierepläne aus? Beobachter interpretieren diese Sätze als Bewerbung für 2029 oder spätestens 2033: „Ein Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen ist immer ein möglicher Kanzlerkandidat. Wer das große Land Nordrhein-Westfalen regiert, muss auch bereit sein, Verantwortung für unsere gesamte Nation zu übernehmen. Das gilt auch für mich. Mit anderen Worten: Man sollte niemals ,nie, nie‘ sagen.“
Evi Seibert, ARD Berlin, tagesschau, 17.09.2024 07:59 Uhr