Wieder einmal droht der „Squadra Azzurra“ der gefährliche Weg in die WM-Playoffs, der zuletzt gleich zweimal zum Albtraum wurde. Zwei ehemalige Nationalspieler haben im Sportschau-Interview Alarm geschlagen.
Wenn die italienische Nationalmannschaft am Donnerstag um 20.45 Uhr in Chisinau ihr vorletztes WM-Qualifikationsspiel gegen die Republik Moldau bestreitet, dürfte ihr Schicksal so gut wie besiegelt sein. Norwegen hat sein Heimspiel gegen Estland bereits absolviert (Donnerstag, 18:00 Uhr) und mit den geplanten drei Punkten den Weg zum Gruppensieg geebnet.
Drei Punkte und 16 Tore trennen Italien derzeit vom Team von Erling Haaland – eine zu große Belastung, als dass die „Azzurri“ drei Tage später im direkten Duell am nordischen Rivalen vorbeiziehen könnten. Dadurch wird Italien als Gruppenzweiter aller Voraussicht nach den Umweg über die Playoffs in Kauf nehmen müssen. Auch Giuseppe Bergomi weiß, dass es kaum noch ein Wunder geben wird.
Italiens Trauma: erst Schweden, dann Nordmazedonien
„Wir sind in diese Situation geraten, weil wir das Spiel verloren haben, das wir auf keinen Fall hätten verlieren dürfen – in Norwegen„, bedauert der Weltmeister von 1982. Die 0:3-Niederlage in Oslo Anfang Juni, damals unter dem inzwischen entlassenen Trainer Luciano Spalletti, verfolgt die Mannschaft bis heute.
Hat 81 Länderspiele für Italien absolviert: Giuseppe Bergomi
„Unsere Qualifikationsgruppe ist eigentlich recht einfach und unser Ziel sollte es sein, alle Spiele zu gewinnen„, sagt Bergomi, als „Sky“-Experte immer noch eines der bekanntesten Gesichter im italienischen Fernsehen: „Aber da die Tordifferenz zählt, wird es für uns schwierig, denn traditionell war Italien nie eine Mannschaft, die viele Tore schießt.„Mit seinen 35 Toren, die er zwischen 1965 und 1974 erzielte, ist Gigi Riva immer noch Italiens Rekordtorschütze.“Bis heute hat ihn niemand übertroffen“, klagt der ehemalige Inter-Star: „Das sagt viel aus.“„
Nicht zuletzt aufgrund dieser Tordürre hat sich bei der einst stolzen Fußballnation nun ein Trauma eingestellt, nachdem die letzten beiden WM-Turniere in den Playoffs verloren wurden: gegen Schweden 2018 und gegen Nordmazedonien 2022. Die Tifosi haben sich daran gewöhnt, im November über Rechenspiele statt über große Träume zu diskutieren. Und da die Playoffs am Horizont stehen, schleicht sich die Angst, die zu einer lästigen Vertrauten geworden ist, wieder hoch.
Der Schuh drückt, besonders bei Sturm
„Wir befinden uns in einer noch nie dagewesenen Situation„, sagt Aldo Serena, der zwischen 1984 und 1990 Stürmer für Italien war: „Nach zwei verpassten Turnieren droht nun das dritte WM-Aus in Folge.„Fast eine ganze Fußballgeneration ist gekommen und gegangen, ohne dass die Hymne der „Fratelli d’Italia“ (Brüder Italiens) bei einer Weltmeisterschaft gespielt wurde. Was einst undenkbar war, ein Turnier ohne Italien, ist zu einer erschreckenden Normalität geworden.“
Die Stimmung im Land ist widersprüchlich und schwankt zwischen Stolz auf den EM-Triumph 2021, diesem kurzen Glückssommer und Scham über das Davor und Nachher. In den Bars von Mailand bis Palermo redet man weniger über Gegner als über Identität: Was ist die „Squadra Azzurra“ sonst, wenn sie beim größten Turnier immer nur Zuschauer ist?
Die Qualität ist zumindest bruchstückhaft vorhanden. Keeper Gianluigi Donnarumma verkörpert internationale Klasse. Verteidiger Riccardo Calafiori hat sich bei Arsenal prächtig entwickelt und auch das Mittelfeld mit Nicolò Barella und Marco Tonali kann sich sehen lassen. Doch im Sturm muss der eingebürgerte Mateo Retegui, der mittlerweile in Saudi-Arabien sein Geld verdient, allzu oft den Alleinunterhalter spielen – womit wir wieder beim größten Dilemma wären.
Hat in der WM-Qualifikation bisher fünf Tore geschossen: Mateo Retegui
Bergomi: Die Angst wird zurückkehren
„Wir haben Qualität im Mittelfeld, solide Ansätze in der Verteidigung, aber im Angriff suchen wir immer noch nach einem Anführer, einem echten Bezugspunkt„Serena bedauert:“Zumindest haben wir die Basis, um wieder voranzukommen.Mehr als eine vage Hoffnung vermitteln die Worte des 65-Jährigen allerdings nicht, denn die Mannschaft des neuen Trainers Gennaro Gattuso steckt in einer Endlosschleife: ein Land mit endloser Fußballkultur, aber keinem klaren Weg.
Das Spielsystem schwankt zwischen Moderne und Tradition, zwischen Ballbesitz und Pragmatismus. Der Nachwuchs zeigt Talent, doch oft fehlt der Mut, ihm zu vertrauen. Schließlich ist Gattuso gut darin.jedem Spieler das Gefühl zu geben, wichtig zu sein und den Kreis der Nationalspieler zu erweitern„, sagt Bergomi: „Doch nach der Auslosung der Playoffs (20. November, Anm. d. Red.) wird diese Befürchtung erneut ins Spiel kommen. Selbst wenn man auf dem Papier stärker ist, hindert es einen manchmal daran, frei zu spielen.„
Gefangen im Glanz der Vergangenheit?
Befreit wie damals im deutschen Sommermärchen, als Italien zum letzten Mal Weltmeister wurde. Irgendwo in Coverciano, dem Trainingszentrum der Nationalmannschaft, hängen noch Fotos aus dem Jahr 2006, als Fabio Cannavaro, Andrea Pirlo und die anderen Nationalhelden sich unsterblich machten.
Vielleicht ist genau das das Problem: Der Mythos ist zu groß für die heutige Fußballgeneration, jeder neue Versuch wird zum Vergleich mit der goldenen Vergangenheit. Am Ende bleibt uns ein Land, das den Fußball zu sehr liebt, um aufzugeben. Italien wird wieder an einer Weltmeisterschaft teilnehmen. Irgendwann. Bis dahin bleibt der November ein Monat voller Rechenspiele, immer mit der Angst im Hinterkopf.
