„Packen Sie Ihre Sachen und gehen Sie, bevor wir sie für Sie packen“: Mit diesem unverwechselbaren Banner wandten sich Fans der Glasgow Rangers beim jüngsten Ligaspiel gegen Dundee United an die Vereinsführung. Keine Frage: Es gab bessere Zeiten im Ibrox-Stadion – und eine bessere Atmosphäre.
Ein ehemaliger Vertrauter von Hansi Flick hat nun die Aufgabe, die kriselnden schottischen Giganten wieder in die Erfolgsspur zu bringen: Der 36-jährige Danny Röhl übernimmt den Cheftrainerposten bei den Rangers.
Obwohl der gebürtige Zwickauer bereits Erfahrungen in Leipzig, München und beim DFB gesammelt hat, ist es erst seine zweite Position als Cheftrainer – und zweifellos die größte Herausforderung seiner bisherigen Karriere.
Ein großer Traditionsverein im freien Fall
Denn Röhl übernimmt Glasgow in einer prekären Situation: Nach einem Fehlstart mit nur neun Punkten aus acht Spielen liegt der schottische Rekordmeister in der Premiership nur auf dem sechsten Platz und hat in der Europa League zwei Niederlagen in zwei Spielen einstecken müssen.
Das Gesamtbild ist noch ernster: Der Traditionsverein kämpft seit Jahren im ewigen Duell mit dem Erzrivalen Celtic um die Wettbewerbsfähigkeit. In den vergangenen 14 Spielzeiten konnten die Rangers nur einmal den Titel gewinnen und müssen nach der 55. Meisterschaft von Celtic sogar befürchten, als Rekordmeister abgelöst zu werden.
Also steigt Röhl in ein Pulverfass. Die Geduld der Fans ist – wie das eingangs erwähnte Poster zeigt – längst am Ende. Der bisherige Trainer Russell Martin musste Anfang Oktober unter Polizeischutz das Stadion verlassen, während wütende Anhänger versuchten, den Mannschaftsbus der Rangers zu blockieren.
Prekäre Situation: „Ich liebe diese Herausforderung“
Die aufgeheizte Atmosphäre scheint Röhl nicht abzuschrecken. Im Gegenteil: „Die Erwartungen sind hoch und ich liebe diese Herausforderung, weil ich auch hohe Ansprüche an mich und das Team stelle“, sagte er bei seiner Vorstellung.
Übereinstimmenden Berichten zufolge lehnte Röhl die Rangers nach der Freilassung von Martin zunächst ab. Der Club prüfte ohnehin mehrere Kandidaten.
Ihr Umfeld hoffte vor allem auf eine Rückkehr von Fanliebling Steven Gerrard, der die Rangers 2021 zum bislang letzten Meistertitel führte. Doch der frühere Liverpool-Profi sagte nach intensiven Gesprächen ab – der BBC sprach von einem „Schock“ für die Rangers.
Röhl: „Vertrauen muss man sich verdienen“
Jetzt ist Röhl da: Als vierter Trainer im laufenden Kalenderjahr unterschrieb er einen Vertrag bis 2028. Er sagte, es sei „ein großes Privileg“, als Cheftrainer bei einem weltweit anerkannten Verein zu arbeiten.
Doch viel Zeit, sich daran zu gewöhnen, bleibt ihm nicht: Röhls Debüt an der Seitenlinie ist für Donnerstag geplant, wenn er in der Europa League gegen Brann Bergen antritt.
„Wir haben keine Zeit zu verlieren, wir legen sofort los. Ich weiß, dass Vertrauen verdient werden muss und für mich ist klar, dass wir den Fans von Beginn an auf dem Platz zeigen müssen, dass sie Vertrauen in unsere Arbeit haben können“, betonte Röhl.
Über Leipzig und Southampton zum FC Bayern
Laut Sportdirektor Kevin Thelwell ist der Deutsche genau der richtige Mann für neue Impulse: „Danny hat in einigen der anspruchsvollsten Umgebungen gearbeitet, in denen der Sieg die einzige Erwartung war. Das hat ihn gut auf die Rangers vorbereitet.“
Röhls Karriere abseits des Platzes begann bereits mit knapp über 20 Jahren, als ein Kreuzbandriss seine Spielerkarriere vorzeitig beendete: 2010 startete er als Videoanalyst in der Jugend von RB Leipzig. In dieser Funktion arbeitete der gelernte Sportwissenschaftler später unter Ralf Rangnick bei den Profis, bevor er 2016 zum Co-Trainer von Ralph Hasenhüttl aufstieg.
Der Österreicher holte seinen Assistenten im Dezember 2018 zum FC Southampton. Auf Initiative des damaligen Bayern-Trainers Niko Kovac landete Röhl im Sommer 2019 beim FC Bayern. Nach 15 Spielen unter dem Kroaten arbeitete er anschließend im Trainerteam von Hansi Flick.
„Relevanter Beitrag“ in der Triple-Staffel
In der Triple-Saison 2020 wurde Röhl zum wichtigen Mann hinter Flick. Er war einer der wenigen, die den Cheftrainer kritisieren oder korrigieren durften.
Der damalige FCB-Sportdirektor Hasan Salihamidzic lobte Röhls Vertragsverlängerung im Jahr 2020: „Als Assistent von Hansi Flick hat Danny maßgeblich dazu beigetragen, dass unsere Mannschaft wieder erfolgreichen und attraktiven Fußball spielt.“
2021 begleitete Röhl Flick in die deutsche Nationalmannschaft. Als Pressingexperte der Leipziger Schule sollte der damals erst 32-Jährige dazu beitragen, dem DFB-Team einen modernen Spielstil zu verleihen. Nationalmannschaftsdirektor Oliver Bierhoff attestierte ihm damals „große Fußballkompetenz und Innovationsfreude“.
Moderne Methoden und Pressschule
Röhl selbst beschrieb darin einmal seinen Stil KickerInterview als „geprägt vom Red-Bull-Fußball mit viel Pressing in Kombination mit Ballbesitzphasen, in denen Lösungen gefunden werden können, wie es beim FC Bayern praktiziert wurde“.
Doch seine Methoden fanden nicht überall Anklang. Nach dem Debakel bei der WM 2022 geriet auch der aufstrebende Co-Trainer in die Kritik.
„Ich glaube, dass Flick bei der WM durch seinen Co-Trainer-Schüler, der ihn ständig mit dem iPad abgelenkt hat, in den Wahnsinn getrieben wurde“, sagte der bekennende Laptop-Trainer-Skeptiker Mehmet Scholl 2024: „Hansi hat ein bisschen den Überblick verloren, weil er dem falschen Mann vertraut hat.“
Sensationeller Abstieg in England
Im Oktober 2023 trat Röhl erstmals als Cheftrainer bei Sheffield Wednesday in der englischen Meisterschaft an. Auf dem letzten Tabellenplatz, ohne Sieg und mit nur drei Punkten nach elf Spielen, übernahm er die Owls und führte sie sensationell zum Klassenerhalt.
Röhl wurde mit einer umgeschriebenen Version von „Daddy Cool“ von Boney M. gefeiert: „Danny, Danny Röhl“, hallte es durch die Kabine und von der Tribüne.
In der Saison 2024/2025 belegte er mit seinem Team am Ende einer sorgenfreien Saison den zwölften Platz. Doch kurz vor Saisonbeginn gab Röhl seinen Rücktritt vom finanziell angeschlagenen Traditionsverein bekannt.
Das muss Röhl bei den Rangers verbessern
Zwischen Röhls beiden Amtsantritten in Sheffield und Glasgow lassen sich durchaus Parallelen erkennen: In beiden Fällen befand sich der Verein in der Krise – doch während es in England ums Überleben ging, ging es in Schottland tatsächlich um Titel.
Zudem gebe es bei den Rangers kein technisches oder taktisches Problem, wie Röhls Vorgänger Martin kurz vor seiner Entlassung diagnostizierte: „Es ist eine Frage der Mentalität.“
Qualität im Kader ist auf dem Papier vorhanden: Mit einem Kaderwert von rund 105 Millionen Euro liegen die Rangers im internen Liga-Ranking auf Platz zwei hinter Celtic (133 Millionen), die nächsten Klubs folgen mit rund 20 Millionen nur noch.
Stattdessen kritisiert die heimische Presse derzeit das Fehlen grundlegender Tugenden: Leidenschaft, Engagement, Kampfgeist – und die Fähigkeit, über 90 Minuten konstant zu bleiben.
„Auf höchstem Niveau“: Röhl verfolgt große Ziele
Es bleibt abzuwarten, ob Röhl als junger, moderner Taktikexperte in den harten Alltag der schottischen Premiership passt und einer mental schwachen Mannschaft neues Leben einhauchen kann.
An dem nötigen Selbstvertrauen mangelt es ihm offensichtlich nicht: „Ich habe keinen Hehl daraus gemacht, dass ich in naher Zukunft gerne auf dem höchstmöglichen Niveau arbeiten möchte – mit den besten Spielern“, betonte Röhl im Juni Bildals Gerüchte über ein Interesse aus der Bundesliga aufkamen.
Glasgow steht vielleicht noch nicht ganz oben auf der Liste – aber es könnte für ihn der richtige Zwischenschritt sein, um endlich zu beweisen, dass er zu mehr bereit ist.