Es ist lobenswert, dass in deutschen Talkshows endlich die wirklich drängenden Probleme der Sozialversicherungssysteme thematisiert werden. Aussagekräftiger werden die Sendungen dadurch allerdings nicht, wie die Talkshow von Maybrit Illner am Donnerstagabend beweist. Die ZDF-Sendung in der TV-Rezension.
Die Gäste
- Tim Klüssendorf, SPD-Generalsekretär
- Johannes Winkel (CDU), Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender der Jungen Union
- Katja Kipping, Geschäftsführerin des Joint Association
- Clemens Fuest, Ökonom und Präsident des ifo Instituts
- Julia Friedrichs, Journalistin
Endlich weg vom Bürgergeld
Wer erfahren möchte, wie schnell sich der Wind in der Talkshow-Landschaft drehen kann, muss am Donnerstagabend nur den Fernseher einschalten. In einem Clip beklagt ein dramatischer Off-Kommentar, was aus dem Wirtschaftswunder Deutschland geworden ist: Stagnation, Stellenabbau und steigende Sozialausgaben.
„Es braucht ein Wunder. Stattdessen: endlose Debatten über Bürgergelder über minimale Einsparungen“, kritisiert die Sprecherstimme. Doch wer hat monatelang den Anschein erweckt, als gäbe es kaum ein wichtigeres Thema? Dass Illner und ihr Redaktionsteam nun ohne mit der Wimper zu zucken die gleichen endlosen und sinnlosen Debatten um Bürgergelder beklagen, die sie selbst beharrlich geführt haben, ist einfach dreist.
Unser Rentensystem ist eine Art Kettenbrief.
Clemens FuestÖkonom und Präsident des ifo Instituts
Jetzt stehen also die Renten auf der Tagesordnung, das große Sorgenkind. Schnell wird klar, was die meisten Menschen wahrscheinlich bereits wissen: Sicher ist, dass die Rente nicht sicher ist. Oder wie es die Journalistin Julia Friedrichs ausdrückt: „Die Wahrheit ist, dass wir ein riesiges Problem haben.“ Es wäre „fatal und fahrlässig“, die Lösung des Problems in die Zukunft zu schieben.
Friedrichs übernimmt in der Gruppe die Rolle des Warners, ebenso wie der Ökonom Clemens Fuest. Letzterer erklärt, warum die Rentensituation so prekär ist, mit einem einfachen Vergleich: „Unser Rentensystem ist eine Art Kettenbrief.“ Wenn es zu wenige junge Menschen für zu viele alte gebe, „dann gibt es nichts zu verteilen.“ Die Demografie ist gnadenlos.
Die Probleme sind klar, die Lösungen jedoch nicht
Und was nun? Die beiden Politiker der Gruppe scheuen sich nicht davor, Lösungsvorschläge vorzulegen. Allerdings sind sie so abgedroschen, dass sie auf heftige Kritik stoßen.
SPD-Generalsekretär Klüssendorf besteht darauf, dass das Rentenniveau nicht gesenkt werden dürfe, sondern stabil bleiben müsse. Zwischen einer Kürzung der Rentenleistungen und einer Verlangsamung des Rentenanstiegs liegen allerdings zwei Paar Schuhe, wie Klüssendorf von verschiedenen Seiten hört.
„Die Renten werden künftig nicht mehr steigen können wie die Löhne, Punkt“, meint Ökonom Fuest. Ob das als Kürzung gewertet wird, wie es die SPD gerne tut, liegt im Auge des Betrachters.
Auch von Klüssendorfs Vorschlag, Beamte und Selbstständige in die gesetzliche Rentenversicherung zu integrieren, hält Fuest nicht viel: „Wir können die Rentenversicherung nur entlasten, wenn wir den Menschen etwas wegnehmen.“ Eine Erweiterung des Einlegerkreises wird auf Dauer nicht helfen, da dadurch langfristig zusätzliche Rentenansprüche entstehen würden.
Etwas besser schneidet auf den ersten Blick der Chef der Jungen Union, Johannes Winkel, ab. Er kann sich als Anwalt der Jugend präsentieren und auf den sogenannten Nachhaltigkeitsfaktor pochen. Doch irgendwann wird ihm die Rente seiner Mutter um die Ohren fliegen.
Winkel kann das teure Traumprojekt der CSU nur angemessen verteidigen. „Warum hast du nichts dagegen unternommen?“ fragt Journalist Friedrichs. „Warum hast du Markus Söder nicht am Lenkrad geschnappt?“ sie neckt. Winkel sagt, dass er persönlich kein Befürworter der Mütterrente sei, der Koalitionsvertrag stehe aber. Eine überzeugende Antwort klingt anders.
Agenda-Nostalgie
Als der als Putin-Freund diskreditierte Altkanzler Gerhard Schröder plötzlich wieder zum Vorbild wird, wird schnell klar, worum es geht: um die ach so tolle Agenda 2010. „Ich hoffe, dass Friedrich Merz und Lars Klingbeil irgendwann zusammenkommen, so wie Gerhard Schröder und Joschka Fischer Anfang der Nullerjahre“, sagt Winkel.
Er habe sich kürzlich noch einmal die Aufzeichnung von Schröders Agenda-Rede angehört, „und ich denke, das ließe sich eins zu eins auf heute übertragen“, sagte Winkel. Er nennt die Reformen von damals „wirklich mutig“: „So einen Moment braucht Deutschland jetzt.“
Es ist das Versprechen des Autoritarismus, das bei einer solchen Agenda-Nostalgie immer mitschwingt. Anscheinend wünscht man sich nichts mehr als einen Mann (!) an der Spitze, der sich an den Tisch setzt und Debatten beendet, anstatt sie auszufechten. Basta als Politiker-Ersatz.
Wenn einem demokratisch gewählten Abgeordneten wie Winkel (und vielen anderen) tatsächlich nichts Besseres einfällt, als die Verantwortung für die politische Lösungsfindung an die Spitze zu übergeben und auf einen Alleinentscheider zu hoffen, zeugt das – gelinde gesagt – nicht gerade von politischem Willen.
„Glauben Sie, dass so etwas möglich ist: Zwei Männer in einem Raum und es gibt so eine Superzeitung für die Zukunft?“ Auch Illner will es aus Klüssendorf wissen. „Ich weiß nicht, ob zwei Männer in einem Raum immer die beste Lösung bringen“, bemerkt der SPD-Generalsekretär amüsiert.
Allerdings hält er auch einen „Agenda-Moment“ für wünschenswert: „Das nicht zu kopieren, sondern den Mut zu haben, nicht den geringsten Kompromiss einzugehen.“ Endlich das Kleine und Kleine der Tagespolitik hinter sich zu lassen und das große Ganze zu sehen – das ist ein verständlicher Wunsch. Aber sowohl Klüssendorf als auch Winkel wissen nur zu gut, dass ihr Job anders ist.
