Der Ex-Chef des VW-Konzerns Müller kritisiert politische und unternehmerische Fehler bei der Mobilitätswende. Er fordert einen reibungslosen Übergang zur E-Mobilität.
Wiesbaden – Matthias Müller, ehemaliger Chef von Porsche und des Volkswagen-Konzerns, macht sich Sorgen um den Industriestandort Deutschland. „Die Deindustrialisierung ist in vollem Gange“, sagte er in einem Interview mit dem Magazin Turi.Moove. Dies zeigt sich am Stellenabbau in der Automobilindustrie und an der sinkenden Auslastung der Werke. „Wir erleben derzeit ein Jobmassaker, insbesondere bei Zulieferern.“
Ex-VW-Chef macht sich Sorgen um die Autoindustrie in Deutschland: Für einen pragmatischen und ausgewogenen Ansatz
Als einen Grund für die Entwicklung nennt Müller falsche politische Entscheidungen. Er kritisiert, dass vielen Politikern das Verständnis für komplexe Zusammenhänge fehlt. Er führt dies auf den Streit um den Verbrennungsmotor zurück. „Wir haben ein Jahrzehnt verloren, weil sich Ideologen und Eurokraten durchgesetzt haben“, sagte Müller. Deshalb setzen Unternehmen wie VW zu stark auf E-Mobilität.
Stattdessen hätte der Ansatz „pragmatisch und ausgewogen“ sein sollen. Müller plädiert für den parallelen Einsatz von E-Mobilität und Verbrennungsmotoren mit Hybridantrieben oder synthetischen Kraftstoffen in einer Übergangszeit. Dies würde den Kunden einen reibungslosen Übergang zur Elektromobilität ermöglichen.
Müller hat bereits in der Vergangenheit davor gewarnt, sich künftig ausschließlich auf Elektromobilität zu konzentrieren. In einem Interview mit der Handelsblatt Im Februar 2021 sagte er, dass Fahrzeuge mit Diesel- und Benzinmotoren nicht tot seien, sondern „durch technologieoffene Lösungen eine Zukunft hätten“. Ihm bangen Arbeitsplätze, wenn Verbrennerfahrzeuge zu schnell auf dem Schrottplatz landen.
Ex-VW-Chef sorgt sich um die Autoindustrie in Deutschland: Managementfehler haben Bewährtes zerstört
Weitere Gründe für die aktuelle Bedrohung des Industriestandorts Deutschland sind laut Müller die schwierigen internationalen Wirtschaftsbedingungen, etwa die US-Zollpolitik. Aber auch strategische Managementfehler würden eine Rolle spielen. Die Folge sind „Störaktionen“, durch die Altbewährtes zerstört wurde und nun aufwändig repariert werden muss.
Müller sieht auch Defizite in der Personalpolitik der Unternehmen. „Die richtigen Leute müssen an den richtigen Stellen sein. Und man muss sorgfältig darüber nachdenken, woher man Talente nimmt.“ Der Versuch von Audi, Führungskräfte von BMW zu holen, scheiterte mehrfach daran, dass die beiden Unternehmen völlig unterschiedliche Kulturen hatten.
Ex-VW-Chef macht sich Sorgen um die Autoindustrie in Deutschland: Nachfrage nach verlässlichen Rahmenbedingungen
Angesprochen auf die Lage des VW-Konzerns wies Müller auf die bevorstehenden Veränderungen in den Aufsichtsräten hin. Die Nachfolger von Wolfgang Porsche, Hans-Michel Piëch und Hans Dieter Pötsch, sind für die Zukunft des Konzerns und seiner Mitarbeiter von großer Bedeutung. Aber auch der Einfluss von Aktionären wie Katar spielt eine Rolle.
Um die Wende herbeizuführen, fordert Müller von der Politik, für „verlässliche Rahmenbedingungen“ zu sorgen, damit Unternehmen planen können. Die Energiekosten müssen sinken und die Bürokratie muss abgebaut werden. Unternehmer hingegen müssen technische Fehler vermeiden. Auch die Sozialpartner sieht der Ex-Manager in der Pflicht. Notwendige Sparmaßnahmen würden sofort blockiert. „Man wartet also auf schlechte Zeiten – und dann wird es doppelt so teuer.“
Ex-VW-Chef sorgt sich um die Autoindustrie in Deutschland: Reformen ohne große Umbrüche
Konkret möchte Müller, dass alle Akteure erkennen, dass es sich um ein ernstes Problem handelt. Wahrscheinlich muss es für uns richtig schlecht laufen, bevor es wieder besser wird.“ Es braucht Reformen ohne große Umwälzungen. „Evolution ist besser als Revolution. Man muss die Leute mitnehmen. Aber wir müssen wieder fleißiger werden.“
Insbesondere im Hinblick auf China sieht er deutliche Nachteile. „Deutsche Entwicklungsingenieure arbeiten durchschnittlich sechs bis acht Stunden am Tag, während sie in China drei Schichten arbeiten. Damit sind sie dreimal so schnell.“ Hinzu kommen hohe Lohnkosten, die immer seltener durch eine hohe Produktqualität kompensiert werden können. Wenn China auch Vertrieb und Marketing perfektioniere, „wird es ernst – nicht nur für die Hersteller, sondern auch für die Zulieferer.“
Ex-VW-Chef sorgt sich um die Autoindustrie in Deutschland: Zehnmal für tot erklärt, zehnmal genesen
Dennoch ist Müller angesichts der enormen Kompetenz der deutschen Zulieferer optimistisch. „In den letzten 100 Jahren wurde die deutsche Automobilindustrie zehnmal für tot erklärt – und sie hat sich zehnmal erholt.“ Das wird auch dieses Mal der Fall sein.
Er rät heutigen CEOs in der Automobilindustrie, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren: Produkt- und Kundenorientierung entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
