Hintergrund
China arbeitet systematisch daran, die USA als führende Weltmacht abzulösen. Dafür baut Peking ein ganzes Gerüst neuer internationaler Organisationen auf – und wirbt dabei insbesondere um die Länder des globalen Südens.
Es sei an der Zeit, einige historische Ungerechtigkeiten zu korrigieren, sagte UN-Generalsekretär António Guterres vor wenigen Wochen beim großangelegten China-Afrika-Gipfel in Peking. Der Gast des chinesischen Staats- und Parteichefs Xi Jinping meinte damit, dem afrikanischen Kontinent solle innerhalb der Vereinten Nationen eine stärkere Stimme gegeben werden.
Dies ist der wohl heikelste Punkt in den Debatten um die Zukunft der UNO: Schwellen- und Entwicklungsländer fühlen sich in ihrem Bedürfnis, ihre Entwicklung voranzutreiben, vom Westen unterrepräsentiert und nicht ausreichend respektiert.
Genau diese Wahrnehmung vieler Länder des Globalen Südens greift die chinesische Staats- und Parteiführung auf und bietet sich als Gegenentwurf zum westlich geprägten Modell an. Eine Alternative, in der das Recht auf Entwicklung im Vordergrund steht und universelle Menschenrechte, wie das Recht auf individuelle Freiheit, relativiert werden. Doch wie gut hat sich dies bisher durchgesetzt?
Bilateralismus als echte Multilateralismus
Dieser Vorstoß in Richtung einer alternativen Weltordnung manifestierte sich vor zwei Jahren in der Solidarität – und in einer „grenzenlosen Freundschaft“ – mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Moskau.
In einer gemeinsamen Erklärung wurde von einem notwendigen Wandel der Weltordnung gesprochen: Die westlichen Mächte würden sich „in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einmischen, deren legitime Rechte und Interessen verletzen und so die Entwicklung und den Fortschritt der Menschheit gegen den Widerstand der internationalen Gemeinschaft behindern.“
„Wahrer Multilateralismus“ im chinesischen Stil sieht also so aus: Nichteinmischung in die Angelegenheiten anderer Länder, mit denen man unter dem Dach verschiedener Organisationen bilaterale Beziehungen unterhält.
China baut Parallele Strukturen An
Die chinesische Staats- und Parteiführung betreibt beharrlich den Aufbau paralleler Strukturen mit einem ganzen Netz unterschiedlicher Institutionen und Initiativen, bei deren Treffen die Botschaft vermittelt werden soll, China fördere das Modell einer besseren Weltordnung.
Mantraartig wiederholt Xi Jinping die „Schicksalsgemeinschaft der Menschheit“ und den Beginn einer „neuen Ära“, oft verbunden mit Kritik am Westen. So auch beim jüngsten Gipfel des Forums für China-Afrika-Kooperation, zu dem rund 50 afrikanische Staats- und Regierungschefs nach Peking gereist waren.
Zu dieser Struktur gehören außerdem die Belt and Road Initiative, die von China geförderte BRICS-Allianz, zu deren Gründungsmitgliedern China, Brasilien, Russland, Indien und Südafrika gehören, sowie die Asiatische Infrastrukturinvestitionsbank (AIIB). Darüber hinaus gibt es die Global Security Initiative und als zentrales Element die Global Development Initiative (GDI).
„NEIN Universal- Vorbild für den Schutz der Menschenrechte“
Kurz vor dem heute in New York zu Ende gegangenen UN-Zukunftsgipfel erinnerte das chinesische Außenministerium noch einmal an den außerordentlichen Erfolg dieser Entwicklungsinitiative. Rund 100 Länder und Institutionen unterstützen die GDI. In New York gibt es einen Freundeskreis aus 80 Ländern.
Wang Wen von der Renmin-Universität erläutert im Interview das Ziel der Initiative: Es gehe darum, das „Recht auf Entwicklung“ zu manifestieren. Als ob das nicht schon das Ziel der UN wäre. „Die GDI will einen Konsens über die gemeinsamen Werte aller Länder schaffen und diese so weit wie möglich integrieren“, sagt Wang.
In ihrem Entwurf für den Uno-Gipfel machte die chinesische Staats- und Parteiführung ihre eigenen Werte deutlich, die mit der Unverzichtbarkeit und Unveräußerlichkeit universeller Menschenrechte wenig zu tun haben. So heißt es etwa: „Es gibt kein universelles Modell für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte.“ Vielmehr müssten die Länder „das Prinzip der Universalität der Menschenrechte mit ihren nationalen Gegebenheiten und ihrer edlen traditionellen Kultur in Einklang bringen“.
Ziel: Die USA als führende Weltmacht ablösen
Der chinesische Ansatz scheint in mancher Hinsicht durchaus erfolgreich zu sein. Michael Bröning von der Friedrich-Ebert-Stiftung in New York glaubt, dass der Globale Süden China als Verbündeten in Sachen wirtschaftlicher Entwicklung betrachte – und zwar ohne lästige politische Einmischung. Chinas Rolle werde überwiegend als konstruktiv und legitim wahrgenommen, auch wenn China nachdrücklich seine eigenen Interessen vertrete.
Eine Studie seiner Stiftung zum chinesischen Engagement in der UN, für die verschiedene Experten und Diplomaten befragt wurden, kommt zum Schluss, der Westen müsse diese Konkurrenz mit China annehmen und den Schwellen- und Entwicklungsländern bessere Angebote machen. Ihr Bedürfnis nach einer Kooperation auf Augenhöhe sei schon zu lange nicht befriedigt.
Der chinesische Ansatz, dessen ultimatives Ziel es ist, die USA als führende Weltmacht abzulösen, kommt bei vielen Staats- und Regierungschefs gut an. So auch bei der linksgerichteten Regierung in Brasilien. China ist der wichtigste Handelspartner des Landes. Fast ein Drittel der Exporte gehen nach China.
Die Vision des brasilianischen Präsidenten Lula da Silva bestehe darin, als Großmachtpolitiker wahrgenommen zu werden, sagt Mauricio Santoro, Experte für brasilianisch-chinesische Beziehungen an der Staatlichen Universität in Rio de Janeiro. Lula wolle sein Modell einer Weltordnung, in der der Westen keine so große Rolle mehr spiele, gemeinsam mit den BRICS-Staaten und anderen aufbauen.
UN-Experten sind sich zwar einig, dass das chinesische Engagement und die chinesische Stimme lauter und selbstbewusster geworden seien. Doch ist sich etwa Bröning sicher, dass der Weg zu einer wirklich chinesisch geprägten Weltordnung noch sehr weit sei: Schließlich tagen die Staatschefs aus aller Welt nach wie vor in New York – und nicht in China.