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Rui Marques ist Portugiese und Nachfolger des Deutschen Niels Wittich
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Ich dachte zunächst, ich hätte nicht richtig gehört, als Oliver Oakes, der Chef des Alpine-Teams, am späten Sonntagabend in Doha allen Ernstes sagte, dass FIA-Rennleiter Rui Marques die Sache mit den Rückspiegeln „wirklich gut“ gemeistert habe und dass er es getan habe „Eine verdammt gute Arbeit.“
Mr. Oakes muss bei allem Respekt ein anderes Rennen gesehen haben. Weil ich die Situation völlig anders einschätze. Und es wundert mich wirklich, dass die Kritik an der Entscheidung, das Rennen trotz herumliegendem Rückspiegel laufen zu lassen, in den deutschsprachigen TV-Nachberichten und im Fahrerlager nicht lauter wurde.
Es ist derzeit unklar, warum Alexander Albons rechter Rückspiegel überhaupt unabhängig wurde. Aber es gibt eine berechtigte Vermutung: Die Randsteine des Losail International Circuit lösen subtile Vibrationen aus, stärker als auf anderen Rennstrecken und bei durchschnittlich höheren Kurvengeschwindigkeiten. Das war schon 2023 ein Problem, Stichwort Pyramidenkerb, als Pirelli die Teams aus Angst vor Reifenschäden de facto zu mindestens drei Boxenstopps zwang.
Diese subtilen Vibrationen könnten zu einer Materialermüdung am Williams geführt haben. Und dass es ausgerechnet einen Williams getroffen hat, ist vielleicht kein Zufall. Nach den vielen Unfällen der vergangenen Wochen war das britische Team erstens mit Ersatzteilen am Limit und musste zweitens mehr Teile austauschen als jeder andere Rennstall. Aber letztendlich spielt das überhaupt keine Rolle.
Fakt ist: Ab Runde 29 gab es am Start und im Ziel sowie in der Mitte der Geraden einen Rückspiegel. Auf einer Strecke, „auf der die Wahrscheinlichkeit sehr groß ist, dass jemand darüber fährt“, wie Alexander Wurz, der Vorsitzende der Fahrergewerkschaft GPDA, später sagte ORF analysieren sollte.
Ich war sicher nicht der einzige Zuschauer, der sofort gemerkt hat, dass das Ding raus muss! Auch Ralf Schumacher nahm an der Live-Übertragung teil Himmel Im zweiten wurde zum ersten Mal der herumliegende Rückspiegel gezeigt: „Jemand muss tatsächlich raus und das Ding entfernen.“
So lange hat die Rennleitung für die Entscheidung gebraucht
Nur der Rennleiter sah das offenbar anders. Ganze sechs Minuten und 14 Sekunden vergingen, bis Valtteri Bottas in seinem Sauber am Start und im Ziel nach rechts ausscherte und das Unvermeidliche passierte, er überfuhr den Rückspiegel und zerriss ihn in unzählige kleine Teile. Jeder einzelne von ihnen hat scharfe Kanten und ist ein potenzieller Reifenkiller.
Es vergingen weitere Minuten und 40 Sekunden, bis die Williams-Crew, die den Vorfall offenbar zunächst nicht bemerkt hatte (zumindest laut Boxenfunk), Albon warnte: „Achten Sie auf die Randsteine. Es gab zwei Reifenschäden.“ die letzte gegebene Runde.“ Ich gehe immer noch davon aus, dass die rauen Bordsteine den Pirellis zerrissen hatten und nicht, was mittlerweile viel wahrscheinlicher ist, die kleinen Teile seines eigenen Rückspiegels.
Das war der Moment, als Lewis Hamilton und Carlos Sainz sprühend über die Strecke humpelten. Und weitere 45 Sekunden vergingen, bis Marques endlich den Knopf drückte und das Safety Car aktivierte. Satte neun Minuten und 39 Sekunden (!) nachdem Albon seinen Rückspiegel verloren hatte.
Wurz: Marques hätte „sofort“ handeln sollen.
Für Alex Wurz ist klar, dass er als Rennleiter das virtuelle Safety-Car „sofort“ aktiviert hätte, als klar war, dass dort ein Spiegel war, denn „Trümmer auf der Strecke waren schon im Laufe der Zeit für viele Menschen ein Problem.“ letzten zehn oder zwölf Jahren Reifenschaden verursacht“. Und er mutmaßt (meiner Meinung nach zu Recht): „Vielleicht hätte ein anderer Rennleiter schon sehr früh Gelb gegeben, das Rennen neutralisiert, das Teil entfernt und das Rennen dann weiterlaufen lassen.“
Das wäre keine bessere Entscheidung gewesen. Es war die einzige Entscheidung. Es gibt keine Alternative, wie Angela Merkel sagen würde (die übrigens gerade ihre 736-seitigen Memoiren veröffentlicht hat, die man online bei Amazon.de bestellen und als Geschenk unter den Weihnachtsbaum legen kann).
Ehrlich gesagt fällt es mir schwer, jemanden wie Rui Marques, den ich nicht kenne, so scharf zu kritisieren. Doch seine Fehleinschätzung beim Großen Preis von Katar ist eigentlich unentschuldbar. Wenn selbst TV-Experten und, noch extremer, ein Pseudo-Couch-Besserwisser wie ich sofort ahnen würden, wie die Situation ausgehen würde, dann wäre der wichtigste Renndirektor der Welt mit all seinem Können und seiner Erfahrung aus unzähligen Autorennen sollte das auch können.
Alex Wurz drückt es etwas freundlicher aus als ich, meint aber dasselbe, wenn er sagt: „Ich hoffe, dass Rui Marques, unser neuer Rennleiter, heute hier die Lektion lernt, auf Nummer sicher zu gehen. Für mich als GPDA-Direktor Aber auch als Fahrer ist es sehr wichtig, erst einmal kurz zu neutralisieren, das Ding wegzustellen und dann einfach weiter zu rennen.“
Es hätte so einfach sein können.
Warum auch bin Sulayem eine Verantwortung trägt
Was man Marques zu seiner Verteidigung anerkennen muss, ist, dass Katar nach Las Vegas erst das zweite Formel-1-Wochenende unter seiner Verantwortung war. Der Portugiese war vor Vegas überraschend als Nachfolger von Niels Wittich nominiert worden, der von FIA-Präsident Mohammed bin Sulayem selbst entlassen worden sein soll.
Bis heute weiß niemand außerhalb der FIA genau, warum, und der Präsident scheint kaum das Bedürfnis zu verspüren, seine Entscheidung zu erklären. „Das geht die Fahrer nichts an“, sagte er in einem sehenswerten Interview, das mein Kollege Jonathan Noble mit ihm führte und das am Sonntagmorgen vor dem Rennen in Katar für Schlagzeilen sorgte.
Ein Interview, auf das einer meiner Redaktionskollegen beim ersten Lesen reagierte: „Sympathisch.“
Der Kollege hat einen ziemlich guten Sinn für Zynismus, der als Humor getarnt ist.
Fanartikel von Michael Schumacher
Übrigens, um Missverständnissen vorzubeugen: Ich glaube nicht, dass es Rui Marques an der Kompetenz mangelt, ein guter Formel-1-Rennleiter zu sein. Fakt ist aber, dass die vielen personellen Veränderungen hinter den Kulissen der FIA den Schiedsrichtern des Sports nicht dabei geholfen haben, mit ruhiger Hand und Gelassenheit zu arbeiten. Aber genau das braucht es, um in der Formel 1 eine so verantwortungsvolle Position einzunehmen.
Während viele immer noch um den viel zu früh verstorbenen Charlie Whiting trauern, entgegne ich: Whiting war so herausragend gut in dem, was er tat, weil er jahrzehntelang den gleichen Job gemacht und aus jedem Fehler gelernt hat, der ihm passiert ist. Ohne dass ein egozentrischer Präsident ihn feuern wollte.
Dein

Ein Hinweis: Es liegt in der Natur der Sache, dass diese Kolumne meine subjektive Wahrnehmung widerspiegelt. Wer anderer Meinung ist, kann gerne mit mir auf meiner Facebook-Seite „Formel 1 inside mit Christian Nimmervoll“ diskutieren. Dabei handelt es sich nicht in erster Linie um „Breaking News“ aus dem Grand-Prix-Zirkus, sondern vielmehr um streng subjektive und teils recht bissige Einordnungen der wichtigsten Entwicklungen hinter den Kulissen der Formel 1.
