Wer hat das Fenster in der Nationalgalerie von Mies van der Rohe eingeschlagen? Warum ist vor dem berühmten Glaspavillon ein riesiges Tarnnetz gespannt?
Die Tarnnetze sind aus Stoffresten zusammengeflochten; Der Künstler Fabian Knecht hat diese provisorischen Netze aus der Ukraine mitgebracht, wo sie überall in gemeinschaftlichen Knüpfveranstaltungen auf die gleiche Weise hergestellt werden. Im Gegenzug ließ er professionelle Tarnnetze in die Ukraine schicken. Jetzt weht die Frage nach Solidarität und Gemeinschaft im Wind.
Hier geht es um zukünftige Gegenwart, das „Festival of Future Nows“ findet drei Tage lang in der Neuen Nationalgalerie statt. Kunstinstallationen, subtile Interventionen, Filme und Bühnen für Performances und Klangexperimente werden den oberen und unteren Saal, das Café und die Terrasse einnehmen.
© Raul Walch, Foto: David von Becker
Mehr als hundert Künstler, Kollektive, Performer und Musiker vergnügen sich hier, alle auf die eine oder andere Weise mit Ólafur Elíassons „Institut für Raumexperimente“ verbunden. Daraus gingen aufstrebende Künstler wie Julian Charrière, Andreas Greiner, Sophie Erlund, Fabian Knecht und Julius von Bismarck hervor, die die Wahrnehmung der Umwelt durch spektakuläre Naturerkundungen, Explosionen, Algen, Bakterien und Tiefseetauchen erweiterten.
Als der dänisch-isländische Künstler Ólafur Elíasson, bekannt für seine Inszenierung von Naturphänomenen, 2009 sein Institut für Raumexperimente an der Universität der Künste gründete, stellte es eine neue, experimentelle Form der Lehre dar. Das Institut war im selben Gebäude im Prenzlauer Berg untergebracht wie Elíassons eigenes Atelier.
Die Schüler arbeiteten mit Lehrern, Gästen, Studiomitarbeitern, Wissenschaftlern und Gemeindegruppen zusammen. Die Regeln für diese Art der Kunstproduktion waren unbekannt und sollten sich durch die Evolution ergeben. Dementsprechend wild und chaotisch ging es beim „Festival of Future Nows“ zu, bei dem Elíasson vor allem jungen Menschen die Möglichkeit bot, sich in seiner Experimentiermaschine in einem großen Setting wie der Neuen Nationalgalerie zu präsentieren.

© Louise Yeowart
Bei der diesjährigen zehnten Ausgabe geht es immer noch um die Zukunft, Chaos ist immer noch willkommen, nur haben sich die Parameter geändert. Elíassons Institut für Weltraumexperimente existiert nicht mehr. Von Anfang an war eine Laufzeit von nur fünf Jahren vorgesehen. Mittlerweile gibt es einen gleichnamigen Verein, der das Archiv verwaltet und die internationale Zusammenarbeit fortführt.
Ein lebendiges Netzwerk
Mittlerweile nehmen auch etablierte Künstler am Festival teil, die Teil des großen Netzwerks sind, etwa der Musiker und Minimalist Arnold Dreyblatt, der ein Konzert spielen wird. Gastgeber sind Nationalgalerie-Direktor Klaus Biesenbach und Ólafur Elíasson.
Letzterer feiert das 30-jährige Jubiläum seines 1995 in Berlin gegründeten Studios lieber auf diesem Festival als mit einer weiteren Party. Wo könnte das lebendige interdisziplinäre Netzwerk, das sich im Laufe der Zeit entwickelt hat, besser genutzt werden?
Von morgens bis Mitternacht werden drei Tage lang Aufführungen gezeigt, eine mobile Kücheneinheit zum Einsatz kommen, Klangexperimente und Konzerte zu hören sein. Der Künstler Álvaro Urbano hat zwei Gummibäume mit gelben, abgefallenen Blättern – aus Eisen – in der Nähe des Fensters der Nationalgalerie aufgestellt.
Ein Trompe-l’œil namens „Inés und Silvia“, benannt nach den Galeristen des Künstlers. Álvaro verwischt die Grenzen zwischen Pflanze, Skulptur und Lebewesen. Im Anthropozän – und in Elíassons Institut für Raumexperimente – ist der Künstler zugleich Gestalter, Zerstörer und Bestandteil der Natur.
Spielen Sie mit der Wahrnehmung
Das zerbrochene Fenster ist übrigens auch eine optische Täuschung. Die Künstlerin Nina Schuiki simuliert mit einem Film die Risse in der großen Glasfront der Nationalgalerie. Das Glas ist nur eine äußerst fragile Barriere. Auch im Inneren der Nationalgalerie hat Schuiki einen glitzernden Teppich aus Glassteinen ausgelegt, der sich scheinbar auf der Terrasse fortsetzt; Das Glas stammt aus zerbrochenen Scheiben im Berliner Stadtraum.

© Nina Schuiki, VG Bild-Kunst Bonn 2025, Foto: David von Becker
Dieses Spiel mit der Wahrnehmung findet sich in fast allen seinen Werken wieder. Sei es Jonas Wendelins umprogrammierter Reinigungsroboter, der mithilfe eines austretenden Wasserstrahls den Schattenwurf des Gebäudes nachahmt.
Oder wiederum mit Julian Charrières „Calls for Action“-Projekt. Der Elíasson-Student überträgt per Livestream einen Blick auf einen tropischen Wald im Amazonas. Er stellt eine visuelle Verbindung zu einem Ökosystem her, das durch menschlichen Einfluss bedroht ist und nun gleichzeitig von Mensch und Kunstsystem gerettet wird.
Im Rahmen einer Kooperation des Künstlers mit brasilianischen NGOs soll das tropische Gebiet erhalten bleiben – soll aber auch ein Ausstellungsstück sein. Besucher können sogar in den Wald hineinsprechen oder ihm über Mikrofone zuhören.
Alles ist miteinander verbunden, Stadt und Natur, Regenwald und Nationalgalerie, Menschen und Flora. Hier beeinflussen Handlungen das Leben in ganz anderen Teilen der Welt und umgekehrt. Das Nachdenken über die Bedingungen des Kunstmachens und über den Raum, in dem man als Mensch und damit auch als Künstler agiert, ist der rote Faden des Instituts für Raumexperimente.
