Eine ungewöhnliche Nachricht erreichte die Bundeskanzlerin und den Wirtschaftsminister Anfang September. Ein Bewohner der idyllischen Insel Rügen berichtete in einer Mail an die Behörden Olaf Scholz und Robert Habeck von seiner aktuellen Notlage: „In den letzten Tagen war es ruhiger, aber heute gegen 19.20 Uhr sprang der Generator wieder an. Zumindest ist der Höllenlärm, das Donnern und Rumpeln wieder da. Das kann nicht sein. Es ist jetzt 19.50 Uhr und es sieht so aus, als ob hier an erholsamen Schlaf keine Chance ist. Die Schule fängt an und die Kinder können nicht schlafen. Eine ganze Bucht bebt. Heute Nacht wird der Wind drehen, dann bebt wieder ganz Sassnitz.“ Ein anderer Sassnitzer sagte der Berliner Zeitung: „Es rumpelt so laut, dass die Häuserwände vibrieren. In einem Erholungsgebiet hat das Monsterschiff nichts zu suchen.“ Eine solche Anlage sei „menschenverachtend und gehört irgendwo ans Ende der Welt, aber bitte nicht in Wohn- und Erholungsgebiete“, heißt es in der Mail.
Bei der Anlage handelt es sich um das neue LNG-Terminal im Hafen Mukran. Es wurde in großer Eile errichtet, um die drohende Gaskrise in Deutschland abzuwenden. Grundlage für den Betrieb der Anlage ist das LNG-Beschleunigungsgesetz. Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine beschloss die Bundesregierung, von russischer Energie unabhängig zu werden. Flüssigerdgas (LNG) ist eine der Alternativen zum russischen Pipelinegas. Doch anders als Länder wie Italien, Spanien und Kroatien verfügt Deutschland nicht über eine Terminalstruktur, die den reibungslosen Einsatz von LNG-Schiffen ermöglicht. Um schnell handeln zu können, setzte die Bundesregierung auf sogenannte FSRUs (Floating Storage and Regasification Units), also Wiederverdampfungsschiffe für den Import von Flüssigerdgas. Drei dieser FSRUs betreibt der Bund selbst, in Brunsbüttel, Wilhelmshaven und Stade. Am Standort Mukran werden zwei Schiffe von der privaten Deutschen ReGas betrieben.
Für die von den Sassnitzer Anwohnern beklagten Lärmbelästigungen ist eine Spezialeinheit zuständig: die sogenannte Gas Combustion Unit (GCU). Dass das Gerät laut ist, ist unstrittig. Strittig ist allerdings, wann es überhaupt eingesetzt werden darf. Laut einer Stellungnahme des Landesamtes für Landwirtschaft und Umwelt Vorpommern (StALU) ist der Einsatz der GCU „nur bei einem ungewöhnlichen, unvorhersehbaren, plötzlichen und vom Willen des Betreibers unabhängigen Ereignis zulässig, das die Gefahr unverhältnismäßiger Schäden mit sich bringt.“ Nachdem bei der StALU rund 400 Beschwerden von Anwohnern eingegangen waren, räumte das Amt in einer Stellungnahme, die der Berliner Zeitung vorliegt, ein, dass die „Beschwerde über unzumutbare Lärmbelästigung berechtigt“ sei.
Die Deutsche ReGas hatte Anwohnern zuvor mitgeteilt, dass die GCU „im Rahmen des Testbetriebs“ zum Einsatz kommen werde: Zur Vorbereitung auf die Schiffe „Neptune“ und „Energos Power“ würden „die Tanks einer der Regasifizierungsanlagen auf minus 163 Grad heruntergekühlt und so für den Betrieb und die Einspeisung ins Gasleitungsnetz vorbereitet“. Sobald beide Schiffe abgekühlt seien „und anschließend Einspeisungen ins landseitige Gasleitungsnetz erfolgen, ist der Einsatz der GCU nicht mehr erforderlich“. Während des „regulären Betriebs ist der Einsatz der GCU ebenfalls nicht erforderlich“.
Nun hoffen die Sassnitzer auf einen Regelbetrieb. Wie ein Sprecher der Deutschen ReGas der Berliner Zeitung sagte, läuft dieser seit dem 2. September. Der Sprecher bestätigte, dass die GCU nur im Notfall zum Einsatz kommen werde. Die Deutsche ReGas hofft, dass das LNG-Geschäft im Hafen Mukran künftig anzieht. Bisher wurden am Energieterminal „Deutsche Ostsee“ vier LNG-Transporte verladen. Laut Genehmigung könnten jährlich bis zu 110 LNG-Tanker am Energieterminal „Deutsche Ostsee“ anlegen. Als Infrastrukturbetreiber und Dienstleister von Regasifizierungskapazitäten „hat die Deutsche ReGas keinen Einfluss auf die tatsächliche Nutzung der gebuchten Regasifizierungskapazitäten ihrer Kunden.“ Diese Klarstellung bezieht sich darauf, dass das LNG-Terminal offenbar nicht nur zur Gasversorgung Deutschlands, sondern auch als Handelsplatz für den Ostseeraum genutzt wird.
Die Sassnitzer bleiben skeptisch, sie wollen keinen Lärm in der Nacht. Norbert Dahms, Sprecher einer Bürgerinitiative, kündigt eine Guerilla-Taktik an. Er beklagt die bisherige Untätigkeit der Wasserschutzpolizei und sagt: „Die tun so, als ginge sie das nichts an. Ab jetzt rufen wir die nachts an und sagen ihnen, sie sollen nachschauen, woher der Discolärm kommt. Wir werden sie beschäftigen.“