Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) widersprach Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU), dass es ein Problem im Stadtbild deutscher Großstädte gebe, das auf die Migrationspolitik zurückzuführen sei. „Berlin ist eine vielfältige, internationale und weltoffene Stadt. Das wird sich immer im Stadtbild widerspiegeln“, sagte Wegner dem Tagesspiegel am Rande seiner Geschäftsreise in Namibias Hauptstadt Windhoek. Es gebe ein Problem „mit Gewalt, Müll und Kriminalität in der Stadt. Aber das kann man nicht auf die Nationalität stützen.“
Der Regierende Bürgermeister warnte vor allzu pauschalen Aussagen, insbesondere im Hinblick auf Kriminalität und Tätergruppen. „Man sollte Kriminalität nie mit Gefühl angehen, sondern immer mit verlässlichen Zahlen.“ Es ist wichtig, Tätergruppen dort zu identifizieren, wo sie in der Statistik auftauchen. „Aber ich halte es für falsch, das zu pauschal zu sagen.“
Gleichzeitig räumten die Machthaber ein, dass die hohe Zahl an Asylbewerbern in Berlin in den vergangenen Jahren zu einer enormen Belastung geführt habe. „Wir stoßen bei unserer Integrationsfähigkeit an unsere Grenzen“, sagte er.
Mit Blick auf die Entwicklung der Abschiebezahlen passiere „in Berlin deutlich mehr“, fügte Wegner hinzu. Obwohl die Zahlen in letzter Zeit gestiegen sind, hat Berlin mit diesem Thema immer noch Probleme. „Der Bund muss die Länder noch besser unterstützen, wir brauchen Rückführungsabkommen mit anderen Ländern.“ Die Länder könnten dann mehr ausreisepflichtige Menschen abschieben, sagte der CDU-Politiker.
Bei einer Pressekonferenz am Dienstag in Potsdam verwies Merz auf die Migrationspolitik, als er nach der Strategie gegen die AfD gefragt wurde. Da sei man „sehr weit“, sagte Merz. Er sagte unter anderem, dass bisherige Versäumnisse in der Migrationspolitik nun korrigiert würden und Fortschritte erzielt würden. „In dieser Bundesregierung haben wir die Zahlen vom August 24./25. August im Vergleich um 60 Prozent gesenkt.“
Merz fügte hinzu: „Aber natürlich haben wir immer noch dieses Problem im Stadtbild und deshalb ist der Bundesinnenminister jetzt dabei, Rückführungen in ganz großem Umfang zu ermöglichen.“ Die Äußerungen wurden in den sozialen Netzwerken heftig kritisiert und als Ablehnung gegenüber Migranten gewertet.
Ende September warb Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) im „Münchner Merkur“ für mehr Abschiebungen nach Afghanistan und Syrien – und forderte, dass sich das Stadtbild noch einmal ändern müsse.
SPD-Kandidat Steffen Krach ist fassungslos
Der SPD-Politiker Steffen Krach wirft Merz vor, mit seinen Äußerungen rechte Ressentiments zu bedienen. „Dass nach Markus Söder nun auch Bundeskanzler Friedrich Merz eine solche Aussage macht, schockiert mich“, erklärte der designierte SPD-Spitzenkandidat für die Berlin-Wahl 2026.
„Zwei führende Christdemokraten haben innerhalb weniger Tage Menschen mit Migrationsgeschichte bewusst als Problem im Stadtbild bezeichnet und in diesem Zusammenhang auch von Rückführungen gesprochen.“ Beides sorgte dafür, dass sich Menschen mit Migrationshintergrund hierzulande unerwünscht fühlten.
„Ich frage mich, welches Stadtbild die Union genau im Sinn hat?“ Krach fügte hinzu. „Mein Standpunkt ist ganz klar: In Berlin leben Menschen aus aller Welt, wir sind alle das Gesicht der deutschen Hauptstadt – und das ist gut so.“
Für Grüne und Linke ist eine Entschuldigung von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) fällig. Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge fragte Merz im Bundestag: „Wie sehen Sie das ‚Problem‘ anders als die Hautfarbe der Menschen?“ Die Äußerung der Kanzlerin war verletzend, diskriminierend und unanständig.
Die Aussagen „stellen in Frage, ob Menschen mit Migrationsgeschichte wirklich nach Deutschland gehören – auch wenn sie hier geboren sind, hier leben, hier arbeiten, hier Steuern zahlen“, sagte Grünen-Chef Felix Banaszak. „Friedrich Merz sollte sich bei den Menschen entschuldigen.“
Der Linken-Fraktionschef Sören Pellmann schloss sich den grünen Forderungen nach einer Entschuldigung im Bundestag an. „Der offensichtliche Ausrutscher in Ihrer Formulierung war nicht nur fehl am Platz, sondern hat unserer Demokratie einen weiteren Dorn im Auge bereitet“, sagte er.
Regierungssprecher: „Nicht zu viel hineininterpretieren“
Auf die Frage nach dem von Merz hergestellten Zusammenhang zwischen Rückführungen und dem Stadtbild versuchte Regierungssprecher Stefan Kornelius am Mittwoch, die Wogen zu glätten. „Ich denke, Sie interpretieren zu viel hinein.“
Der Kanzler äußerte sich zum veränderten Kurs der neuen Bundesregierung in der Migrationspolitik – „übrigens in seiner Funktion als Parteivorsitzender, die er auch ausdrücklich deutlich gemacht hat.“ (mit dpa)