Einen ganzen Sommer lang verzauberte es Paris, seine Bewohner und Besucher, als Symbol einer Zeit, die leichter und fröhlicher war als der Alltag. Jeden Abend erhob sich der Feuerring mit der olympischen Flamme aus dem Tuileriengarten nahe dem Louvre 30 Meter in den Himmel, bewundert und bejubelt von Tausenden Menschen. Es wurde zu einer weiteren Attraktion neben den sportlichen Höchstleistungen, die an glamourösen Orten wie dem Feld unter dem Eiffelturm oder auf dem Place de Concorde zu sehen waren, der sich vom vielbefahrenen Verkehrsknotenpunkt zum coolen Zentrum für urbanen Sport mauserte.
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Doch der Flammenring sollte nur von kurzer Dauer sein. Am vergangenen Wochenende, als auf den Champs-Élysées die französischen Medaillengewinner in einer „Champions Parade“ gefeiert wurden, erhob sich der Ballon zu den Klängen von Édith Piafs Lied „La Foule“ ein letztes Mal in die Luft. Seitdem bauen Techniker ihn ab und geben nach und nach 6000 Kubikmeter Helium ab. Endlich ist sie vorbei, diese „magische Pause“, wie in Frankreich die Olympischen und Paralympischen Spiele zwischen Ende Juli und Anfang September genannt wurden.
Publikumsmagnet: Tausende Besucher filmen mit ihren Handys, wie der Ballon mit der olympischen Flamme in den Pariser Abendhimmel steigt.
Quelle: IMAGO/Photo News
Die Olympiabegeisterung hatte die Stadt erst spät erreicht. Tagelang überwogen Sorgen, Angst vor einem Anschlag – tatsächlich konnten laut Behördenangaben drei Anschläge verhindert werden – oder einem Zusammenbruch des öffentlichen Nahverkehrs. Viele Bewohner verließen vorsorglich den Großraum Paris – und bereuten die Entscheidung beim Anblick der Bilder der friedlichen und ausgelassenen Feiernden teils bitter. „Vielleicht war die Stimmung deshalb so gut, weil die grantelnden Pariser weggingen und die entspannten Franzosen aus der Provinz kamen“, kommentiert Isabelle, selbst Pariserin und ehrenamtlich mitgeholfen. Ihre Vermutung ist eine subjektive, doch weit verbreitet ist der Eindruck, die Spiele seien ein echter Erfolg gewesen.
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Die Verantwortlichen selbst schienen bei ihrer abschließenden Bilanz regelrecht überwältigt. „Wir sind stolz und beeindruckt“, sagte Tony Estanguet, Präsident des Organisationsteams von Paris 2024, ein mehrfacher Medaillengewinner im Kanuslalom. Mit mehr als zwölf Millionen verkauften Tickets sei ein Olympia-Rekord gebrochen worden, die Sportstätten seien zu 95 Prozent ausgelastet gewesen. Doch jenseits der Zahlen habe ihn vor allem die außergewöhnlich gute Stimmung beeindruckt. „Frankreich war mutig, verrückt, großzügig und hat die Welt mit Lächeln und Tränen empfangen.“ Tränen der Freude, wie Estanguet hinzufügte.
Regenfälle bereiteten den Veranstaltern große Sorgen
Die Organisation des weltgrößten Events mit insgesamt 15.000 Athleten sei keine leichte Aufgabe gewesen, gestand der 46-Jährige. Die Triathlon-Wettkämpfe waren aufgrund der hohen Bakterienbelastung in der Seine gefährdet und mussten verschoben werden. Am Abend der Eröffnungszeremonie am 26. Juli, einer Parade auf dem Fluss, regnete es in Strömen – eigentlich ein Grund zur Verzweiflung für die Organisatoren, wie Theatermacher Thomas Jolly, der sowohl für die Eröffnungs- als auch für die Abschlusszeremonie verantwortlich war, bestätigte. „Ich habe den ganzen Tag geweint“, sagte er in einem Interview. „Aber in Wahrheit waren wir alle unter demselben Wasser vereint – das Publikum, die technischen und sportlichen Teams – es hat uns noch näher zusammengebracht.“
Estanguet erwähnte weitere Rekorde, die bei dieser 33. Ausgabe der Sommerspiele gebrochen wurden, etwa die Zuschauerzahlen bei den Basketball- und Handballspielen sowie mehreren paralympischen Wettbewerben. Über eine Million Menschen verfolgten das Straßenradrennen von den Bürgersteigen aus. Auch die Fanzonen und andere Feierbereiche waren gut besucht. Weltweit wurden mehr Zuschauer vor ihren Fernsehern und Computern gezählt als jemals zuvor. „Der halbe Planet“ habe die diesjährigen Olympischen Spiele verfolgt, prahlte Estanguet. Mittel- und langfristig werde dies der internationalen Ausstrahlung von Paris zugutekommen.
Die Frage nach den konkreten positiven Effekten für die Stadt und ihre Menschen stand schon bei der Kandidatur im Zentrum. Das Organisationskomitee hatte eine eigene Arbeitsgruppe für das „Vermächtnis“ der Spiele eingerichtet. Diese verwies auf einen Fonds mit 47 Millionen Euro zur Finanzierung sozialer Projekte. Im sozial schwachen Département Seine-Saint-Denis nördlich von Paris, wo die Hälfte der Elfjährigen nicht schwimmen kann, erhielten dank der Förderung seit 2020 rund 10.000 Kinder entsprechenden Unterricht. In Marseille organisiert ein Verein Kanukurse für Jugendliche aus benachteiligten Stadtvierteln. Auch die Kampagne „Mehr Bewegung“ wurde ins Leben gerufen, mit dem Ziel, dass alle Französischklassen täglich mindestens eine halbe Stunde Sport treiben. 181.000 Menschen fanden durch die Spiele laut Veranstaltern zudem Jobs, etwa bei privaten Sicherheitsfirmen, Reinigungsunternehmen oder im Hotel- und Gaststättengewerbe. 10 Prozent der geleisteten Arbeitsstunden wurden von Langzeitarbeitslosen geleistet, um diese insbesondere in Bereichen mit Fachkräftemangel dauerhaft wieder in den Arbeitsmarkt zu integrieren.
Die Spiele von Paris hätten einen Wendepunkt in Sachen „soziales Erbe“ dargestellt, sagt Éric Monnin, Vizepräsident der Universität Franche-Comté und Direktor eines wissenschaftlichen Zentrums für universitäre Olympiaforschung. „Es ist jetzt klar, dass Olympia der Gesellschaft dienen muss, sonst wird es irgendwann nicht mehr akzeptiert“, erklärt der Forscher, der im April selbst die olympische Flagge in Griechenland tragen durfte. „Die Spiele müssen mehr Nachhaltigkeit, Geschlechtergerechtigkeit und Inklusion fördern und mit der Umwelt und den öffentlichen Geldern so respektvoll wie möglich umgehen.“ Dies sei erreicht worden. Mit Gesamtkosten von rund 10 Milliarden Euro sei diese Ausgabe weitaus „günstiger“ gewesen als frühere und habe sich weitgehend selbst finanziert. Und vor allem sei das „Danach“ stets mitgedacht worden.
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Besonders umweltfreundlicher Bau des Athletendorfes
Da viele Sportbauten bereits vorhanden waren, kam es vergleichsweise wenig zu Neubauten. Im Norden der Hauptstadt entstanden eine Sportarena, ein großes Schwimmzentrum und das Olympische Dorf, das später in ein modernes Wohnviertel umgewandelt werden soll. Der staatliche Bauträger rühmte sich einer besonders umweltfreundlichen Bauweise für das Dorf, unter anderem der Verwendung vieler natürlicher Materialien und CO2-armem Beton, der vor Ort produziert wurde.
Soll ein Wohngebiet werden: Das Olympische Dorf.
Quelle: IMAGO/GEPA Bilder
Wo die Sportler untergebracht waren, sollen bald Wohnungen für 6000 Menschen, Büros für 6000 Angestellte, Geschäfte, eine Kindertagesstätte und eine Schule entstehen. Auch ein großer Park soll entstehen. In den betonierten Vororten Saint-Denis, Saint-Ouen und L’Île-Saint-Denis, auf deren Grundstücken das Dorf lag, wurden insgesamt 9000 Bäume und Sträucher gepflanzt und der Zugang zu den Seine-Kais nach dem Vorbild von Paris gestaltet, wo sich die einst viel befahrenen Uferstraßen zu Promenaden entwickelten. Ab nächstem Jahr wird es möglich sein, im aufwendig gereinigten Fluss zu schwimmen – den Spielen sei Dank.
Olympische Ringe bleiben – mindestens bis 2028
Auch andere Spuren der Olympischen Spiele werden erhalten bleiben. Der Place de la Concorde und der Trocadéro gegenüber dem Eiffelturm, wo während der Spiele ein „Park der Champions“ für Feierlichkeiten eingerichtet wurde, werden nur teilweise für den Autoverkehr geöffnet sein, Fußgängern wird mehr Platz eingeräumt. Darüber hinaus hat die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo angekündigt, dass die olympischen Ringe – in einer leichteren Version – an der Fassade des Eiffelturms verbleiben werden, bis Los Angeles 2028 die nächsten Spiele ausrichtet, „vielleicht sogar darüber hinaus“. Die Agitos, das Symbol der Paralympischen Spiele, das den Arc de Triomphe schmückte, werden am Rand der Champs-Élysées aufgestellt.
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Was den Feuerring betrifft, ist noch nicht klar, ob die Nostalgiker ihm wirklich „Adieu“ oder nur „Au revoir“ sagen müssen. Hidalgo ist auch für die Idee einer dauerhaften Installation. Sie möchte, dass die Menschen in Paris immer „an diesen historischen Moment erinnert werden“, schrieb sie in einem Brief an Präsident Emmanuel Macron. Da der Tuileriengarten nicht Eigentum der Stadt, sondern des Staates ist, liegt die endgültige Entscheidung in dieser Frage bei niemand anderem als dem Präsidenten. Macron versprach, darüber nachzudenken.
Der Mann, der die Struktur entworfen hat, Designer Mathieu Lehanneur, war skeptisch. Er wollte, dass der Ring intakt blieb – sei es in der Erinnerung oder in der Realität, aber nur, wenn er seine „Magie“ behielt. Aber die technischen und finanziellen Herausforderungen waren groß, und eine Anpassung an alle Wetterbedingungen war notwendig. „Der olympische Feuerring ist ein lebendiges Objekt, nicht nur ein Denkmal“, sagte Lehanneur. Er sollte nicht „zu einer Reliquie werden, die mit der Zeit verschleißt.“ Die Debatte zeigt, wie schwer es manchen fällt, sich von der „verzauberten“ Phase zu verabschieden. Immerhin haben die Spötter einen Trost: „Wir müssen nur ein Jahrhundert warten.“ Immerhin war Paris 1924 Gastgeber der Olympischen Spiele.