Während sich Deutschland auf die Bundestagswahlen am 23. Februar 2025 vorbereitet, mischt eine neue Wettplattform die etablierte Welt der Meinungsforschungsinstitute auf. Die 2020 gegründete Plattform Polymarket hat sich innerhalb weniger Jahre zu einem der bedeutendsten Prognosemärkte für relevante Ereignisse in Politik, Sport und Gesellschaft entwickelt.
Das Geschäftsmodell von Polymarket kombiniert Prinzipien aus den Bereichen Wettmärkte, Finanzmärkte und Blockchain-Technologie. Nutzer können auf binäre Fragen wetten, zum Beispiel: Wird Kandidat X die Wahl gewinnen? Im Gegensatz zu traditionellen Wettmärkten können auf Polymarket Wettanteile ge- und verkauft werden. Dadurch können die Nutzer ihre Einschätzungen zu politischen Ereignissen mit echtem Geld untermauern und die Preise der Anteile spiegeln – in Echtzeit – die kollektive Wahrscheinlichkeit wider, die der Markt einem bestimmten Ereignis beimisst.
Besondere Aufmerksamkeit erlangte Polymarket durch die präzisen Vorhersagen der US-Präsidentschaftswahl. Während traditionelle Meinungsforschungsinstitute bis zum Wahltag keinen eindeutigen Favoriten ausmachen konnten, zeichnete sich auf Polymarket bereits deutlich vor der Wahl ein klarer Sieg von Donald Trump ab.
Die Plattform taxierte Trumps Siegchancen mehrere Wochen vor der Wahl bereits auf 55 Prozent, am Morgen des Wahltags sogar auf 67 Prozent. Insgesamt wurden im Zusammenhang mit der US-Präsidentschaftswahl fast 3,7 Milliarden US-Dollar auf Polymarket gewettet, mehr als auf allen anderen etablierten Wettmärkten.
Für die deutsche Bundestagswahl bewegen sich die Wetteinsätze mit einem niedrigen zweistelligen Millionenbetrag noch in einem überschaubaren Rahmen. Dennoch zeichnen sich bereits erste Tendenzen ab: Die Wettmärkte auf Polymarket prognostizieren mit einer Wahrscheinlichkeit von 93 Prozent, dass die Union mit Friedrich Merz den nächsten Bundeskanzler stellen wird. Die AfD gilt überraschend deutlich mit einer Wahrscheinlichkeit von 76 Prozent als zweitgrößte Partei. Ihr wird ein Wahlergebnis von 20 bis 25 Prozent zugetraut, was in etwa einer Verdopplung im Vergleich zur letzten Bundestagswahl entspräche.
Bemerkenswert ist die schwache Position der aktuellen Regierungsparteien. Die Fortführung der Kanzlerschaft von Olaf Scholz gilt mit einer Wahrscheinlichkeit von 2,9 Prozent als sehr unwahrscheinlich – selbst Alice Weidel, Spitzenkandidatin der AfD, wird eine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit auf die Kanzlerschaft eingeräumt. Die FDP wird in den Prognosen teilweise nicht einmal mehr eigenständig aufgeführt, sondern der Kategorie „Andere“ zugeordnet.
Polymarket bietet eine innovative Möglichkeit, kollektives Wissen in Echtzeit zu nutzen und daraus Vorhersagen für relevante Ereignisse abzuleiten. Die Nutzung der Plattform bewegt sich allerdings in einer regulatorischen Grauzone. Die Anonymität der Nutzer eröffnet Möglichkeiten für Missbrauch und Manipulation. In den USA ist das Wetten auf Polymarket verboten, auch in Deutschland könnte es als illegales Glücksspiel eingestuft werden.
Vor allem bei kleinen und illiquiden Wettmärkten wie denen zur Bundestagswahl könnten Quoten durch gezielte Investments verzerrt und damit die Meinungsbildung beeinflusst werden. Dafür sind aktuell vermutlich bereits wenige Millionen US-Dollar ausreichend. Dies wäre vor allem dann problematisch, wenn Polymarket im Vorfeld der Bundestagswahl – ähnlich wie in den USA – eine breite mediale Aufmerksamkeit erfahren würde. Im Rahmen der US-Präsidentschaftswahlen wurden die Quoten regelmäßig von führenden Medien aufgegriffen und sogar über Bloomberg verbreitet.
In einer solchen Situation ergäbe sich unter dem Schutzmantel der Anonymität durch gezieltes Wetten auf gewisse Ereignisse eine Möglichkeit, die Wahlen in Deutschland zu beeinflussen. Die Herausforderung bei Polymarket ist daher typisch für digitale Finanzinnovationen: Es gilt, die Effizienzvorteile der neuen Technologie zu nutzen, ohne dabei die notwendigen regulatorischen Sicherheitsstandards zu vernachlässigen.
Dislaimer: Die Inhalte des Artikels spiegeln die privaten Meinungen der Autoren und nicht grundsätzlich die der Serafin Asset Management oder DWS wider.
Dr. Alexander Bechtel
Alexander Bechtel ist für die Digitalstrategie der DWS verantwortlich. Er hat an der Universität St. Gallen und Stanford University promoviert und in unterschiedlichen Rollen im Bereich Geldmarkt und digitale Währungen bei der EZB und Deutschen Bank gearbeitet.
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Jonas Felix Koch
Jonas Felix Koch ist Corporate Development Manager der Serafin Asset Management in Zürich. Er hat an der London School of Economics (LSE) studiert und zuvor im Digital Asset Bereich bei der Deutschen Bank und dem Fintech-Unternehmen Sygnum Bank gearbeitet.
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