Bereits in der ersten Sekunde des Spiels zeigt Aiman Dardari, Mittelstürmer aus Luxemburg, was seine Mannschaft an diesem Abend mit dem Ball machen will: Nichts, zumindest nichts Interessantes. Als der Schiedsrichter im Stadion in Sinsheim das WM-Qualifikationsspiel zwischen Deutschland und Luxemburg anpfiff, passte Dardari den Ball nicht wie sonst üblich zu einem Mitspieler zurück, sondern schoss ihn sofort in die deutsche Spielfeldhälfte. Der Ball rollt zur Eckfahne und dann in die Seitenlinie. Das Bild und die Botschaft: Lasst es uns loswerden!
Als der Ball in der 18. Spielminute nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal in die luxemburgische Spielfeldhälfte und sogar in den Strafraum fliegt, stoppt Linksverteidiger Dirk Carlson ihn absichtlich mit dem Oberarm, sodass der Schiedsrichter auf Elfmeter für Deutschland und einer Roten Karte für Carlson entscheidet. Aus einem frühen 1:0 (Freistoß David Raum, 12. Minute) wird ein frühes 2:0 (Elfmeter Joshua Kimmich, 21. Minute). Und so wird aus einem Gegner mit elf Spielern, der den Ball möglichst schnell wegschießen will, ein Gegner mit zehn Spielern, der den Ball möglichst schnell wegschießen will.
Das muss man wissen, wenn man diskutieren will, was man aus dem 4:0-Sieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft an diesem Freitagabend ziehen soll. Und was nicht.
Als Jeff Strasser, Nationaltrainer aus Luxemburg, das Spiel später mit den Journalisten analysierte, sagte er, dass seine Mannschaft noch etwas mehr machen wolle, aber nicht mehr könne. Seine Spieler sollten weiter vorne stehen, ließen sich dann aber zurückdrängen. Das Wort, das Strasser sagt, ist: „zerquetscht“.
Das ist heute Abend wohl das größte Kompliment für die deutsche Nationalmannschaft, die aufgrund der Niederlage im ersten WM-Qualifikationsspiel in der Slowakei nicht nur einen Sieg braucht, sondern im Idealfall einen Sieg mit möglichst vielen Toren. Bundestrainer Julian Nagelsmann, der weiterhin auf Jamal Musiala und Kai Havertz verzichten muss, hat dafür derzeit seine vier besten Angreifer aufgestellt: Florian Wirtz, Serge Gnabry, Karim Adeyemi und Nick Woltemade. Doch wie groß kann das Kompliment wirklich sein, das dieser Mannschaft mit diesen Angreifern gemacht wird, die dann dank drei Standardtoren mit 4:0 gegen Luxemburg gewinnt?
Wirtz spielt ganz gut (wenn auch immer noch etwas Pech), Gnabry sogar sehr gut. Doch der deutsche Mittelstürmer Woltemade hatte zur Halbzeit nur neun Ballkontakte – einen weniger als Dirk Carlson, also weniger als der Spieler, der seit der 21. Minute nicht mehr spielen durfte.
Nagelsmann nennt Gnabry einen „Vorbildspieler“
Als Julian Nagelsmann anschließend mit den Journalisten das Spiel analysierte, sagte er, dass eine Mehrheit nicht automatisch zu einer Mehrheit im und um den Strafraum führe. Deshalb sei die Situation „für alle Streikenden super schwierig“ gewesen. Super schwer? Das kann man sagen, wenn man ohne Bundestrainergehalt eine Immobilie am Tegernsee kaufen möchte. Aber das kann man nicht sagen, wenn man mit Wirtz, Gnabry, Adeyemi und Woltemade gegen die seit der 21. Minute in Unterzahl stehende Nationalmannschaft aus Luxemburg spielen muss.
In der 48. Minute erzielten die Deutschen dann ihr drittes Tor. Es ist, wie man so schön sagt, das erste, was aus dem Spiel hervorgeht. Adeyemi vorbei, Gnabry angeschossen. Nicht nur der Bundestrainer hob später den Stürmer des FC Bayern München hervor. Nagelsmann sagt, er sei ein „Vorbildspieler“ gegenüber Gnabry gewesen, denn wenn ein Spieler eines großen Vereins „Gier und Frechheit vorlebt, dann wird das auch jeder Spieler eines vermeintlich kleinen Vereins tun.“
Besonders hervorzuheben ist, wie Gnabry den Gegner in der eigenen Spielfeldhälfte zweimal daran hinderte, schnell anzugreifen. Doch wer sich diese Details anschaut, sollte das Detail vor dem 3:0 nicht übersehen. Da Adeyemis Pass nicht präzise genug war, konnte Verteidiger Eric Veiga den Ball wegschieben, doch der Ball prallte gegen Gnabrys Bein. Super glücklich.
Beim vierten Tor in der 50. Spielminute handelt es sich wieder um ein sogenanntes Standardtor. Ecke David Raum, der erste Luxemburger kann mit dem Kopf nicht klären, der zweite Luxemburger kann mit dem Fuß nicht klären, Tor Joshua Kimmich. Es ist das zweite Tor des Kapitäns, doch er steht an diesem Abend aus einem anderen Grund im Mittelpunkt: Weil er nicht mehr in der Mitte spielt. Oder besser gesagt, nur manchmal.
Plötzlich pfeifen die deutschen Fans
Gegen den Ball ist er wieder in der Rolle des Rechtsverteidigers, mit dem Ball rückt er im Rahmen der sogenannten 3-2-Struktur in die Mannschaftsmitte. Dass der Bundestrainer seinen Kapitän hin und her schubst, sagt etwas über Kimmichs Fähigkeit aus, sich kurzfristig anzupassen. Doch was sagt das über Nagelsmanns langfristigen Plan aus?
Im Mittelfeld spielen heute Abend Leon Goretzka und Aleksandar Pavlović, den Nagelsmann später lobt. Er habe eine „großartige Aktivität“, die „ansteckend sei, weil er jeden Ball haben will und sehr mutig ist“. Aber kann er es an einem Montagabend im Windsor Park in Belfast noch einmal schaffen?
Im Stadion in Sinsheim, wo es noch 4:0 steht, pfeifen plötzlich deutsche Fans in der Südkurve. Aber das liegt daran, dass die Laola-Welle, die sie seit mehreren Minuten immer wieder starten, immer ein paar Blocks entfernt stoppt. Im Stadion in Belfast, in dem die Deutschen am Montag (20.45 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur WM-Qualifikation und bei RTL) antreten, führt Nordirland zu diesem Zeitpunkt mit 1:0 gegen die Slowakei. Und weil das Spiel 2:0 endet, haben die Nordiren, die Slowaken und die Deutschen nach drei Spielen nun sechs Punkte in der Gruppe A. Nur der Tabellenerste kann sich direkt für die Weltmeisterschaft qualifizieren.
DFB-Elf ohne Leweling nach Nordirland
Die deutsche Fußballnationalmannschaft muss im WM-Qualifikationsspiel gegen Nordirland am Montag in Belfast auf Jamie Leweling verzichten. Der Profi vom Pokalsieger VfB Stuttgart verließ am Samstag die Mannschaftszentrale in Herzogenaurach und wird am Sonntag nicht auf die Grüne Insel fliegen. Leweling hatte wegen Adduktorenproblemen seit Dienstag einzeln trainiert und ist auf dem Weg der Besserung.
Um „kein Risiko mit Blick auf die laufende Saison einzugehen“, werde er auf das Spiel verzichten, teilte der DFB mit. Auch beim 4:0 (2:0)-Sieg gegen Luxemburg am Freitagabend in Sinsheim fehlte der 24-Jährige verletzungsbedingt. Als Ersatz wurde der England-Legionär Kevin Schade nominiert. Bundestrainer Julian Nagelsmann stehen in Belfast nun 25 Spieler zur Verfügung. (Seite)