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Was den ICE L auszeichnet – und was ihm fehlt

Tipp vom Chef: „Die Sitze muss man unbedingt ausprobieren!“ Michael Peterson, Leiter Fernverkehr der Deutschen Bahn (DB), präsentierte am Freitag auf Gleis 7 des Ostbahnhofs den neuen ICE L. Die Sitze seien etwas ganz Besonderes, schwärmt er. Dem neuen Hochgeschwindigkeitszug fehlt jedoch noch etwas: Stufen. Es ist der erste barrierefreie Intercity-Express. Nach dem Fahrplanwechsel Mitte Dezember wird der Zug seinen Betrieb aufnehmen – zunächst zwischen Berlin, Hannover und Köln. Doch die Operation beginnt mit zwei Jahren Verspätung. Auch ein anderes Thema verlief nicht wie erwartet.

Die Tour beginnt im Wagen 12. Das sind also die Sitze in der zweiten Klasse: Steckdosen, Klapptische und Tablet-Halter auf allen Plätzen, dunkelblau bezogen. Allerdings nicht übermäßig gepolstert – manche würden sagen, dass sie ziemlich hart sind. Die ergonomische Form der Kopfstützen verhindert, dass der Kopf nach dem Einnicken zur Seite fällt. Lichtsignale zeigen den Status an: Grün bedeutet, dass der Platz nicht reserviert ist. Gelb zeigt eine Reservierung an. Rot bedeutet: An diesem Ort hat jemand eingecheckt. In der zweiten Klasse gibt es 477 Plätze.

In der ersten Klasse können 85 Passagiere sitzend reisen, mit breiterer 2+1-Bestuhlung und dunkelgraubrauner Polsterung. „Mit Wollanteil“, wie ein Bahnsprecher erklärt. Außerdem gibt es Leselampen an den Kopfstützen und im Gegensatz zur zweiten Klasse auch Fußstützen. Die Bahn ist stolz auf die Sitze des neuen ICE L. „Wir haben ihn gemeinsam mit rund 1.600 Probanden entwickelt“, berichtet Fernverkehrsleiter Peterson.

Was die neue Bahn sonst noch bietet: Stellplätze für acht Fahrräder – die allerdings aufgehängt werden müssen, was E-Bike-Besitzern Schweiß ins Gesicht treiben wird. Drei Rollstuhlplätze. Fensterglas, das Handystrahlung durchlässt. „Der Zug braucht keine Verstärker“, sagt Peterson. Die größten Familienbereiche der ICE-Flotte: 46 Sitzplätze plus neun im Kleinkinderabteil. Ein Bordrestaurant mit Theke und zwölf Sitzplätzen.

Künftig auch von Berlin nach Hamburg und Westerland (Sylt)

Das L steht für die Hauptinnovation. Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) erklärte im Ostbahnhof, wofür der Buchstabe steht: „Low Floor“. „Das sind Niederflurzüge, die auf ihrer gesamten Länge einen stufenlosen Einstieg ermöglichen“, sagte Carlos de Palacio y Oriol. Er ist Chef des spanischen Herstellers Talgo, der in Friedrichshain im ehemaligen Ausbesserungswerk „Franz Stenzer“ der Deutschen Reichsbahn seit rund drei Jahrzehnten einen Wartungsbetrieb betreibt.

Bei der Medienveranstaltung zeigten Rollstuhlfahrer, dass sie im Gegensatz zu anderen Fernzügen beim Ein- und Aussteigen keinen Lift oder andere Unterstützung mehr benötigen. Einfach einrollen. „Ohne fremde Hilfe“, wie der Verkehrsminister erklärt. Vorausgesetzt, der Bahnsteig ist 76 Zentimeter hoch, wie auf Gleis 7 im Ostbahnhof.

Medienveranstaltung auf Gleis 7: Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) und die neue Chefin der Deutschen Bahn, Evelyn Palla, präsentieren den ersten stufenlosen ICE-Zug im Ostbahnhof.Tobias Schwarz/AFP

Auf den ersten Blick ist es ein schöner Zug. Da das 230 km/h schnelle und 256 Meter lange Fahrzeug vom spanischen Hersteller Talgo stammt und nach dessen Grundsätzen geplant wurde, sind die 17 Waggons relativ kurz. Im Inneren wirken sie intimer als die langen Großraumwagen herkömmlicher ICE-Züge, die im Inneren wie ein Airbus aussehen. Dies kann als weiterer Pluspunkt gewertet werden.

Anhand des pathetischen Inhalts der Reden konnten die Gäste abschätzen, wie prekär die Lage der Bahn noch immer ist. Als ob die neue Bahn der Tropfen wäre, mit dem sich die Bundesgesellschaft aus dem Sumpf ziehen wollte. Dieser ICE sei der erste Botschafter der neuen Bahn, sagte die neu ernannte DB-Chefin Evelyn Palla. „Ein Symbol einer Eisenbahn, auf die Deutschland wieder stolz sein kann.“ Minister Schnieder sprach von einem „Start in eine neue Ära“. Nebenan krächzten Krähen auf der Oberleitung.

Ein Blick in die zweite Klasse. In der ersten Klasse gibt es 2+1 Sitzplätze und graubraune Sitzkissen.

Ein Blick in die zweite Klasse. In der ersten Klasse gibt es 2+1 Sitzplätze und graubraune Sitzkissen.Tobias Schwarz/AFP

Wer die Bahn von Berlin aus ausprobieren möchte, muss früh aufstehen. Nach Angaben der Deutschen Bahn soll er ab dem 14. Dezember als ICE 1548 um 7:10 Uhr vom Berliner Hauptbahnhof nach Köln verkehren. Das Fahrzeug rollt außerdem täglich um 15:36 Uhr als ICE 1055 von Köln nach Berlin zurück. Ab dem 1. Mai 2026 verbindet der Zug Berlin mit Hamburg und Westerland (Sylt). Anders als der bisherige Intercity auf dieser Strecke kann die festgekuppelte ICE-Garnitur keine Durchgangswagen befördern, die in Niebüll abgekoppelt und von einem anderen Zug nach Dagebüll zu den Schiffen in Föhr und Amrum gebracht werden.

Ab dem 11. Juli 2026 verkehrt der ICE L auch zwischen Frankfurt am Main über Gießen und Hamburg nach Westerland sowie zwischen Köln und Westerland. Dortmund–Oberstdorf ist eine weitere Verbindung, auf der dieser Zug eingesetzt wird.

„Es ist flexibel einsetzbar, auch im grenzüberschreitenden Verkehr“, erklärt Minister Schnieder. Doch so weit sind die Bahnen und vor allem die Behörden noch nicht. Künftig soll das neue Fahrzeug auch nach Kopenhagen und Wien sowie – wie ursprünglich geplant – zwischen Berlin, Hannover, Osnabrück und Amsterdam verkehren, hieß es am Freitag. Allerdings gilt der ICE L längst als weiteres Beispiel dafür, wie kompliziert die Zulassung von Schienenfahrzeugen in Europa im Gegensatz zu Pkw weiterhin ist. Das gilt auch für Deutschland: Nach Angaben der Deutschen Bahn ist die Talgo-Lokomotive der Baureihe 105 noch nicht zugelassen. So lange würden Siemens-Vectron-Lokomotiven übernehmen, sagte der Bahnsprecher.

In den Niederlanden besteht das Hauptproblem angeblich darin, dass auf den Achsen mehr Gewicht lastet, als die dortigen Vorschriften zulassen. Die maximale Achslast beträgt 20 Tonnen, allerdings sind die ICE L-Wagen schwerer. Der Bistrowagen wiegt leer 21,3 Tonnen und voll beladen 22,1 Tonnen. Ist ein Kompromiss möglich? Wie würde er aussehen? Zur Genehmigungsfrage hüllte sich die Bahn am Freitag in Schweigen.

Das Fahrradabteil im neuen ICE L. Es bietet Platz für acht Fahrräder, die aufgehängt werden müssen.Peter Neumann/Berliner Zeitung

Die Bahn hatte die Züge bereits 2019 bestellt. Doch dann kam die Corona-Pandemie, die auch Spanien hart traf. Talgo produziert die Fahrzeuge in seinem Werk Rivabellosa in der Autonomen Gemeinschaft Baskenland. Eigentlich sollte die Auslieferung (zunächst sind 22 Zuggarnituren für 550 Millionen Euro fällig) bereits 2023 beginnen.

Nun kommt der neue ICE L deutlich später. „Wir haben die Zeit genutzt“, sagte der Bahnsprecher. Und einige Komfortdetails wurden verfeinert.

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