Ja, Clemens Meyers „Projektoren“ hätten den Deutschen Buchpreis gewinnen sollen. Aber davon auszugehen, dass Martina Hefters Roman „Hey, guten Morgen, wie geht es dir?“ von geringerer Qualität ist, ist ebenfalls falsch. Fehlte es der Jury an Mut?
Im Fußball ist etwas äußerst Seltenes passiert. In der Frauen-Bundesliga wird das Spiel zwischen dem SC Freiburg und Bayer Leverkusen wiederholt. Der Schiedsrichter hat eine falsche Entscheidung getroffen. Ich bin kein Träumer, der davon ausgeht, dass die Jury des Deutschen Buchpreises 2024 ihre Entscheidung widerrufen wird. Zu mehr Gerechtigkeit führt das Buch der Preisträgerin Martina Hefter, der Roman, nicht Hallo guten Morgen, wie geht es dir? als schwach oder sogar erfolglos gelten. Nein, das ist er auch nicht. Er stand aus gutem Grund auf der Shortlist.
Liebesbetrüger, das habe ich von ihr gelernt, sind Ehebetrüger, die Hochglanzbilder von sich erfinden, um die Frauen an ihrer Seite zu beeindrucken. Je größer der Eindruck, desto größer ist irgendwann auch die Geldnachfrage. Im Roman durchschaut die Ich-Erzählerin dieses Spiel und erfindet sich. Dass wer lügt, sich selbst schadet, ist eine kluge Idee, die dem Roman von Martina Hefter anhaftet. Aus wie vielen Lügen besteht das Leben in der anonymen Welt des Internets? – Wunderbar, ein Roman zu dieser Frage, dessen Form tänzerische Qualitäten hat.
Bei Clemens Meyer ist keine Zeile autofiktional!
Auch wenn meine Beschreibung des preisgekrönten Romans wie die Aussage einer anderen Jury klingt, darf nicht übersehen werden, dass der Roman nur einen kleinen Teil unserer Realität einfängt und nicht wie Clemens Meyer in seinen 1050 Seiten ins Herz der Dunkelheit blickt Roman -Roman Die Projektoren. Von hier aus hätte die Jury zustimmen und sich nicht einmal um das Argument der exorbitanten Länge kümmern sollen.
Meyer zieht eine Linie von der Besetzung Jugoslawiens durch die deutsche Wehrmacht im April 1941 bis zu den Zerfallskriegen Jugoslawiens ab Anfang der 1990er Jahre; Es gibt auch Geschichten von Söldnern, die als junge Rechte aus Deutschland dabei sein wollen, wenn das Böse freien Lauf hat – um seinen Lesern Luft zum Atmen zu geben, umgibt er das Ganze mit Kriegen auf Zelluloid. Genau an den Schauplätzen der legendären Winnetou-Filme der 1960er-Jahre nach Romanen von Karl May fanden die eigentlichen Kriege statt. Immer mit deutscher Beteiligung. Das Ergebnis ist ein großartiger Antikriegs- und Anti-Gewaltroman. Keine einzige Zeile ist autofiktional!
Dient der Deutsche Buchpreis nur dem Buchmarkt oder der Literatur?
Kein Schriftsteller unserer Zeit war in den letzten Jahren näher dran. Wollen wir das nicht von der Literatur? Sind Literaturpreise nicht dazu da, die Stimme der Besten – die meist auch die Wagemutigsten sind – zu verstärken und sie nicht abzulehnen, weil ein Roman über das Herz der Finsternis nicht auf den Nachttisch passt? Der Deutsche Buchpreis soll den schwächelnden Buchhandel ankurbeln?
Faule Kompromisse einzugehen ist unehrenhaft. Es gab andere, mutigere Jurys, die Romane wie den von Julia Franck im Jahr 2007 geschrieben haben Die Mittagsdame (432 Seiten) oder 2008 Uwe Tellkamp Der Turm (976 Seiten) oder 2015 Frank Witzels Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969 (817 Seiten) oder 2021 Antje Rávik Strubels Blaue Frau (432 Seiten) half beim Gewinn des Deutschen Buchpreises. Was ist mit Kim de L’Horizons Geschlechtsflüssigkeit im Jahr 2022 passiert? Blutbuch? Der Roman erreichte mich, aber nicht die Buchhandlungen.
Das waren die Zeiten, in denen inhaltlich und formal anspruchsvolle Literatur mit dem Titel „Roman des Jahres“ gewürdigt wurde. In einem Wiederholungsspiel wurde Clemens Meyer nicht dadurch zum Deutschen Buchpreisträger gekürt, dass er seine Mitbewerber herabwürdigte, sondern indem er ihn hervorhob und erkannte, dass sein Roman einer anderen literarischen Liga entstammt.
Erratum: In einer früheren Version wurde fälschlicherweise der Fußballverein FC Freiburg erwähnt. Gemeint ist natürlich der SC Freiburg. Außerdem handelte es sich nicht um einen Schiedsrichter, sondern um die Schiedsrichterin Theresa Hug