
Kolumne: Das Wort des Herrn
Weine leise, VW!
Arroganz und Gemütlichkeit haben VW in eine Abwärtsspirale geführt. Das Erstaunen darüber ist fast unerträglich.
Der Bibelvers Diese Woche im Buch der Sprüche, Kapitel 11, Vers 2: „Wo Stolz ist, da ist auch Schande; aber Weisheit ist bei den Demütigen.“
Die Liste ist lang. Kodak ist wahrscheinlich die bekannteste Marke. Dicht gefolgt von Nokia. Dahinter stehen deutsche Traditionsunternehmen wie Grundig, Neckermann, Hertie und Quelle. Sie alle waren Marktführer, einige sogar Weltmarktführer, mit vielen tausend Arbeitsplätzen. Aber irgendwann verpassten sie mehrere Innovationszyklen und wurden bequem und träge. Oft arrogant.
Wenn man mitten im Geschehen ist, merkt man manchmal erst aus dem Augenwinkel, wie die Konkurrenz aufholt, wie man Marktanteile verliert, wie man abgehängt wird. Aber irgendwann wird es offensichtlich. Und gleichzeitig schon zu spät. Der Weg in die Insolvenz ist kurz, 100 Jahre Firmengeschichte hin oder her. Oder wie man im Rheinland sagt: Was weg ist, ist weg.

© Boris Breuer
Zur Person
Stephan Anpalagan, 1984 in Sri Lanka geboren und in Wuppertal aufgewachsen, ist ausgebildeter Theologe, Autor und Musiker. Nachdem er zehn Jahre lang als Manager in der Wirtschaft tätig war, ist er heute Geschäftsführer einer gemeinnützigen Strategieberatung und Lehrbeauftragter an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung in Nordrhein-Westfalen. In seinen Texten beschäftigt er sich mit den Themen Heimat und Identität.
Und so muss ich an all diese ehemals glorreichen Traditionsmarken denken, wenn ich die schlechten Nachrichten über die wirtschaftliche Lage bei VW höre. Zumal sie kein Ende zu nehmen scheinen: Im dritten Quartal 2024 brachen die Gewinne um 64 Prozent ein. Absatzrückgang in China, dem weltgrößten Autoabsatzmarkt. Beim Thema Elektromobilität und User Experience liegt der gesamte Volkswagen-Konzern weit hinter seinen Wettbewerbern zurück. Die attraktivsten Elektroautos werden vom US-amerikanischen Unternehmen „Tesla“ gebaut, während die günstigsten Elektroautos von chinesischen Herstellern wie „BYD“ stammen. VW liegt irgendwo dazwischen. Nicht besonders attraktiv, aber teuer.
Laut Business Insider sagte Volkswagen-Chef Oliver Blume auf einer Betriebsversammlung, es handele sich um einen „Sanierungsfall“. Nun müssen mindestens drei Produktionsstätten in Deutschland geschlossen werden. Das Unternehmen muss sich auf harte Sparmaßnahmen einstellen. Einem Bericht des „Spiegel“ zufolge klafft derzeit eine Lücke von vier bis fünf Milliarden Euro in der Finanzplanung der Marken VW und VW-Nutzfahrzeuge. Glücklicherweise betrug die Dividende, die Volkswagen für das Geschäftsjahr 2023 an seine Aktionäre ausschüttete, genau 4,5 Milliarden Euro. Na so was.
Ist es am Ende … das Produkt, VW?
Allerdings kommt dem Vorstand nicht in den Sinn, dass die Größe der Automodelle, die Qualität der Fahrzeuge, das Nutzererlebnis, die digitale Vernetzung, die Antriebstechnik, der Spritverbrauch und, um Himmels willen, irgendetwas an einem Auto Das, was man ironischerweise Volkswagen nennt, könnte verbessert werden. Auf einer Betriebsversammlung im September sagte Finanzvorstand Arno Antlitz: „Uns fehlen Verkäufe von rund 500.000 Autos, Verkäufe für rund zwei Werke.“ Und das hat nichts mit unseren Produkten oder einer schlechten Vertriebsleistung zu tun. Der Markt ist einfach nicht mehr da.“ .“
Das hat nichts mit unseren Produkten zu tun? Der Markt ist einfach nicht mehr da? Der weltweite Automobilabsatz liegt auf dem höchsten Niveau seit Corona und steigt im zweiten Jahr in Folge. Doch eines stimmt tatsächlich: Die Zahl der Verbrennungsmotoren sinkt seit 2018 kontinuierlich und liegt auf dem niedrigsten Stand seit 15 Jahren, während die Zahl der Elektrofahrzeuge seit zehn Jahren exponentiell steigt.
In diesen kleinen Details steckt viel Wahrheit. Volkswagen hätte über Jahre und Jahrzehnte an alternativen, insbesondere sauberen Antriebstechnologien arbeiten können. Stattdessen manipulierten die Wolfsburger lieber die Abgaswerte ihrer eigenen Autos und schädigten Kunden und Umwelt nachhaltig. Irreführen statt Innovation, so schien es, lautete lange Zeit das Motto des weltgrößten Automobilherstellers.
Als der frühere VW-Chef Matthias Müller bei einer Veranstaltung 2017 nach Tesla gefragt wurde, nannte er, was für ein irrelevanter Konkurrent das US-Unternehmen sei. Tesla würde weniger Autos verkaufen als VW, weniger Umsatz machen als VW, seine Mitarbeiter schlechter behandeln als VW und sie sollten die Kirche eigentlich im Dorf lassen. Von dieser Aussage gibt es ein Video. Sie sollten es sich ansehen. Die Arroganz und Arroganz sind einfach bemerkenswert.
Als Müllers Nachfolger Herbert Diess am Rande einer Autoshow von einem BBC-Journalisten zu möglicher Zwangsarbeit in chinesischen Uiguren-Umerziehungslagern befragt wurde, tat Diess ernsthaft so, als hätte er die Frage nicht verstanden. Davon gibt es auch ein Video. Es ist einfach schwer zu ertragen.
Abgesehen von all den Skandalen, von denen es eine ganze Menge gibt, hat Volkswagen auch in einem anderen Bereich Probleme: seinem Kernprodukt. Das Auto.
Elektromobilität aus China
Um die Digitalisierung in seinen Fahrzeugen voranzutreiben, wurde die Softwareentwicklung von Volkswagen in der Firma „Cariad“ gebündelt. Das „Manager Magazin“ berichtet über genau diese Cariad, dass sie intern als „untragbares Risiko“ und „Fass ohne Boden“ behandelt werde. Ein Mitglied der Unternehmensspitze soll sogar gesagt haben, Cariad sei die „größte Bombe“, die das Unternehmen je getragen habe. Zu dieser Einschätzung passt die verheerende Qualität der Software in VW-Fahrzeugen. Auf der Social-Media-Plattform „Reddit“ versuchen VW-Besitzer ehrlich und ernsthaft zu verstehen, warum die VW-Software im Vergleich zu anderen Autos so schlecht ist. Besprochen werden Stromversorgung, Hardware, Fahrzeuginfrastruktur und Code. Auf der „X“-Plattform zeigt ein Nutzer, wie sein brandneuer VW ID.7 nach dem Neustart alle Klima-, Fahrprofil- und Navigationseinstellungen zurücksetzt. Medien wie Forbes und The Verge sind daran beteiligt, Probleme zu finden und mögliche Lösungen zu beschreiben. Die Häme über die Inkompetenz von VW ist jüngst dem Mitleid gewichen. Es ist schwer zu wissen, was schlimmer ist.
Als eine Besucherin der diesjährigen Automesse in Shanghai gefragt wurde, ob sie eine deutsche Automarke kaufen würde, lachte sie verlegen. Dann sagt sie Worte, die sich in Wolfsburg wie Peitschenhiebe anfühlen müssen: „Das glaube ich nicht. Das ist eher für die Generation meines Vaters.“
Wie gut chinesische Hersteller im Bereich Elektromobilität sind, zeigt eine symbolische Botschaft: „Bogestra“, die Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahn AG, hat in diesem Jahr zwei Dutzend Elektrobusse vom chinesischen Hersteller BYD gekauft. Im Herzen des Ruhrgebiets, der ehemaligen Heimat von Kohle und Stahl, versorgen chinesische Elektrobusse die Bevölkerung heute mit dem öffentlichen Nahverkehr.
Vor allem für die VW-Mitarbeiter wird es schmerzhaft
Den Preis für die Entmutigung, das Versagen des Managements und die mangelnde Weitsicht tragen die Mitarbeiter, die nun um ihren Arbeitsplatz bangen müssen. Die vom rechten Rand des politischen Spektrums geforderte „Eigenverantwortung“ trifft diejenigen, die am wenigsten für die gesamte Misere verantwortlich sind. „Der Markt regelt“ wird oft gesagt, ohne zu wissen, was das eigentlich bedeutet. Doch um Arbeitsplatzgarantien und Sozialpläne schert sich der viel zu lange nicht akzeptierte Markt kaum.
Wenn Volkswagen nicht wie Kodak, Nokia, Grundig, Neckermann, Hertie und Quelle enden will, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als auf die Gesundheit zu schrumpfen, sich neu aufzustellen, zu sparen und gleichzeitig zu investieren. Es wird schmerzhaft sein, vor allem für die Belegschaft, aber es wird keinen anderen Weg geben.
Volkswagen sollte vor allem aufhören, die Verantwortlichen in Politik und Medien zu belästigen und ihnen vorzuschreiben, was sie wollen. Jens Spahn, dessen ökonomische Kenntnisse noch viel zu hoch als „gering“ eingestuft werden, erklärt der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ allen Ernstes, dass VW in die Krise geraten sei, weil man „alles auf die Elektroauto-Karte gesetzt“ habe. Es ist so falsch, dass nicht einmal das Gegenteil der Fall ist.