Verwirrtes WeltbildTaleb A. will den Ausnahmezustand ausrufen
Seit heute steht der Täter des Weihnachtsmarkt-Angriffs in Magdeburg vor Gericht. Eine Anhörung vor Prozessbeginn lässt erahnen, wie er sich zu verteidigen gedenkt.
Der Magdeburger Weihnachtsmarkt-Attentäter Taleb A. will sich in dem heute beginnenden Prozess gegen ihn auf den „Ausnahmezustand“ nach §§ 34 und 35 StGB berufen. Darauf deuten Gerichtsunterlagen hin, die der „Stern“ einsehen konnte.
Demnach fand vor gut zwei Wochen eine Verhandlung für A. unter der Leitung des zuständigen Magdeburger Richters statt, um ihm Gelegenheit zu geben, sich zu den Straftaten zu äußern, die ihm die Staatsanwaltschaft vorwirft. Taleb A. wurde aus der Untersuchungshaftanstalt Berlin-Plötzensee eingeliefert und erläuterte seine Verteidigungsstrategie. Ob er dies vor Gericht umsetzt, wird der Prozess zeigen müssen.
Die §§ 34 und 35 StGB sehen Straffreiheit in den Fällen vor, in denen sich der Beschuldigte in einer „aktuellen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit“ befindet, die er nur durch die ihm zur Last gelegte Tat abwenden kann. Um diese Umstände aus seiner Sicht darzustellen, wird A. voraussichtlich selbst im Prozess aussagen.
In Verschwörungsgedanken verwickelt
Aus dem Protokoll der mehr als dreistündigen Verhandlung geht hervor, dass der aus Saudi-Arabien stammende und heute 51-jährige Angeklagte schon lange vor der Tat in verschiedene Verschwörungsgeschichten verwickelt gewesen sein muss. Er versteht sich als Islamkritiker. Er erklärte dem Richter, dass staatliche Behörden und Flüchtlingsinitiativen in Deutschland mit dem Regime in Saudi-Arabien kooperierten, um islamkritische Opposition auszuschalten. Die Magdeburger Polizei versuchte sogar, saudische Asylbewerber zu töten. Ziel einer umfassenden Verschwörung, von der er sich auch bedroht fühlt, ist die Islamisierung Europas.
Im Verlauf der Verhandlung erhob Taleb A. zunehmend verwirrende Vorwürfe, die darin gipfelten, dass die Polizei nicht die eigentlichen Täter des Amoklaufs auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt sei. Mit der offiziellen Darstellung des Geschehens würden die Opfer des Anschlags nachträglich getäuscht.
Taleb A., der vor seiner Tat als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie tätig war, sagte mehrfach, er habe in all seinen Konflikten mit Polizei, Gerichten und Behörden das Gefühl gehabt, nicht wie ein Mensch behandelt worden zu sein. Trotz seiner massiven Drohungen seit 2023 hat er stets versucht, eine friedliche Lösung zu finden.
Am Tag des Anschlags befand er sich gegen 16 Uhr, etwa drei Stunden vor der Tat, in einem „Edeka“-Supermarkt und hatte sich bereits gedanklich von der Welt verabschiedet, weil er damit rechnete, dass ein Polizist ihn bald erschießen würde. Laut Taleb A. hätte der Schmerz, den er nicht ertragen konnte, ein Ende gehabt.
Bei dem Überfall auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt am 20. Dezember 2024 fuhr A. mit einem schweren BMW-SUV in die Besuchermenge. Sechs Menschen kamen ums Leben und zahlreiche weitere wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt.
